Ich grüße seltenst bewusst oder inszeniert sondern meistens unbewusst spontan. Daher muss ich, um auf die Frage antworten zu können, das Grußverhalten von mir und anderen zuerst einmal analytisch aufarbeiten. Ich versuche das mal. Da gibt es zuerst einmal verschiedene Abstufungen. Ein Gruß soll entweder 1. dem anderen lediglich zeigen, dass ich ihn oder seine Tat wahrgenommen habe und akzeptiere. Dann ist mein Gruß für gewöhnlich eine knappe, wortlose Geste, etwa ein Kopfnicken oder ein Handheben (sehr beliebt beim Autofahren auch der bei uns sogenannte "Bauerngruß", bei dem der Kopf kurz nickt und der kleine Finger sich hebt. So genannt, weil die Bauern sich hier recht gern so grüßen. wenn sie sich auf dem Trecker begegnen - deshalb auch nur der kleine Finger: Der Rest hält den Lenker.) 2. dem anderen meine höfliche, aber weitgehend beiläufige Wertschätzung ausdrücken. Jetzt wird verbal gegrüßt. Meist das (im Süden) klassische "Grüß Gott". Ist mir der Gegrüßte persönlich bekannt, dann eher ein "Servus". Interessant ist hierbei der Unterschied zwischen Kopf kurz senken und Kopf kurz heben beim Grüßen: Senken bedeutet distanzierte Höflichkeit (Unterwerfungsgeste, Zeichen des Respektes und Dankes), Heben dagegen persönliche Verbundenheit (Entblößen der Kehle, Vertrauensbeweis, Ausdruck unbekümmerter Freude). 3. den Anderen einladen, eine gewisse körperliche Distanz zu unterschreiten. Das Zeichen hierfür ist stets eine Geste (Hand reichen, Arme ausbreiten, aber auch ein demonstratives Beiseitetreten und Hereinwinken, wenn jemandem gestattet wird, das eigene Haus zu betreten), die meist von einem verbalen Gruß/Aufforderung begleitet wird. Der konkrete (echte) Einladungsbeweis ist dabei aber die Geste. Diese Erlaubnis, Distanzen zu unterschreiten, ist wichtig, da jeder Mensch unbewusst drei Distanzen unterscheidet: - Die weite Distanz, außerhalb derer uns eine weitere Person nicht beunruhigt, ja meist gar nicht wirklich wahrgenommen wird. - Die Sicherheitsdistanz, ab der jemand individuell wahrgenommen und "beobachtet" wird, da er ab dieser Distanz eine potentielle Gefahr darstellen könnte. - Die persönliche/intime Distanz, in die wir nur äußerst ungern jemanden eindringen lassen, der uns nicht persönlich vertraut ist. Ab dieser Distanz (Armlänge) ist eine körperliche Berührung jederzeit möglich. Wenn Fremde unerlaubt in diese Zone eindringen, ist das den meisten Meschen sehr unangenehm (z.B. im Aufzug oder im Bus), man versucht dann unbewusst, sich eine größere Distanz einzureden, z.B. durch demonstratives Vorbeischauen an den Anderen. Man kann erkennen, dass verschiedene Stufen des Grußes sich gewöhnlich in verschiedenen Distanzen abspielen bzw den anderen einladen, Distanzgrenzen zu unterschreiten. Reine Wahrnehmungsgesten (Punkt 1.) werden meist nur in der weiten Distanz eingesetzt; wer sich bereits im Aufmerksamkeitsbereich der Sicherheitsdistanz befindet, dem wird bereits die höhere Stufe des verbalen Grußes (2.) zuteil. DIe oben angemerkte Situation im Bus ist dabei sehr interessant: Eigentlich müsste ich jemanden, der mich berührt, die Erlaubnis dazu gegeben haben, sonst würde ich das nicht zulassen. Umgekehrt ist es mir selbst unangenehm, jemanden zu berühren, der mir seinerseits die Erlaubnis dazu nicht gegeben hat. Durch das demonstrative Nichtgrüßen, ja sogar vorgetäuschtes Nichtwahrnehmen, wird hier die reale Situation quasi negiert. Ich tue so, als ob da gar niemand wäre, der mich folglich auch gar nicht berühren kann. Im Falle des Busses eine positive Schutzfunktion für beide (man definiert sich sozusagen gegenseitig einfach weg) kann ein solch demonstratives Nichtgrüßen, wenn es bewusst inszeniert wird, auch eine negative Botschaft sein. Euch das Nichtvorhandensein eines - in einer bestimmten Distanz eigentlich erforderlichen - Grußes ist also auf eine gewisse Weise ein Gruß. Womit wir bei den inszenierten Grüßen wären: Automatische, unbewusste Grüße sind ehrlich, weil sie eben nicht kontrolliert werden. daneben gibt es noch die inszenierten, oder die gespielten Begrüßungen, die streng genommen gar kein Gruß sind, sondern eine eigene Rolle in der Kommunikation haben. So drückt etwa der Bruderkuss sozialistischer Staatschefs beileibe keine echte enge, persönliche Zuneigung aus. Die Fußwaschung bei den Hospitalitern würde ich somit auch nicht zu den (spontanen) Grußformeln rechnen, sondern zu den (inszenierten) Begrüßungsritualen, die eine Aussage/Bedeutung weit über einen Gruß hinaus transportieren sollen. In unserem Hobby nun verwenden wir oft eben diese letzteren Grüße, da wir im Rahmen des Ambientes oder der Darstellung (die ja i.d.R. auch schon gespielt ist) zu Grußformeln greifen, die wir sonst nie verwenden würden. So bleiben derartige in-time-Grüße auch dann inszeniert und unecht, wenn sie sich tatsächlicher historischer Formeln bedienen, die, von einem echten Vertreter der Zeit gesprochen, ein echter Gruß gewesen wären. Echte Formeln, derer auch ich mich bediene, wären für die Frankenzeit etwa "goutes bitt ih" (wörtlich: "ich erbitte [von Gott] / wünsche [alles] Gute", ähnlich dem heutigen "alles Gute" zu speziellen Anlässen, damals allerdings eher eine allgemeine, anlassfreie Wunschformel) oder "ih gruoze dih /iuwi" ("wörtlich: "ich grüße Dich / Euch", analog zum heutigen "Grüß Dich"). Es gab sicherlich noch eine Menge weitere Grußformeln; ich kann bei Bedarf mit meinen bescheidenen ahd-Kenntnissen noch zahlreiche weitere kreieren; aber als konkret überliefert sind mir im Augenblick nur diese beiden bekannt. Dabei ist mir aber bewusst, dass derartige Sprüche stets nur ein Schauspiel sind, kein echter Gruß. Wenn ich auf dem Markt etwa einen echten alten Bekannten treffe, dann grüße ich diesen nicht mithilfe von ahd-Grußformeln oder inszenierten Ritualen, sondern auf jeden Fall klassisch modern. Dass ich jemanden einlade, sich zu setzen und bei mir/uns zu essen und zu trinken, seine Sachen abzulegen, sich zu erfrischen und sich wie zuhause zu fühlen, ist kein Gruß mehr, sondern die nächste Stufe nach dem Gruß: Die angewandte Gastfreundschaft. (So würde ich auch diverse Fußwaschungen interpretieren: als Einleitungsritual zur Aufnahme des Gastes und dessen offizielle und demonstrative Verleihung des Gastrechtes nebst allen Konsequenzen sozusagen. Das ist aber kein Gruß mehr.) Übrigens: Ich sage sehr gern "Gesundheit" wenn jemand niest. (Auch wenn das natürlich kein Gruß ist) Denn wenn er niest, schleudert er kurzzeitig alle bösen Geister aus sich heraus, die sonst die Macht guter Wünsche von ihm abblocken würden - zumindest die relativ kraftlosen, gesprochen von Laien wie mir. Zwar strömen diese rausgworfenen Geister/Mächte zwar sofort wieder in ihn zurück, aber unmittelbar nach dem Niesen ist er geisterfrei und damit für einen kurzen Augenblick empfänglich für gute Wünsche. Daher muss der Wunsch schnell ausgesprochen werden. muss sich aber beileibe nicht auf den Gesundheitszustand beziehen. Jeder gute Wusch ist hier sinnvoll. ("Gesundheit" ist halt nur der naheliegendste Wunsch) Ich finde diesen alten Volksglauben sehr charmant und sage deshalb von Herzen Gesundheit, auch wenn irgendwelche modernen Benimmpäpste meinen, das ummanagen zu müssen.