Beinlinge um 1200 aus nicht dehnbarem Stoff?

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LotlBotl

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Es ist mal wieder soweit, ich will was nähen. Mein Landgraf besitzt inzwischen ein hübsches Brokatkleid und ein Brokatüberkleid und aus rotem und gelbem Stoff kann ich keinen blauweißen Mantel nähen, also möchte ich mir ein Paar neue Beinlinge gönnen. Jetzt macht mir allerdings die Passform Sorgen. Auf Abbildungen liegen Beinlinge immer hauteng an, was mit dehnbaren oder diagonal zugeschnittenen Stoffen auch leicht zu bewerkstelligen ist. Mit einem körpernahen Schnittmuster lassen sich Beinlinge anfertigen, die auch ohne Bruchenband einwandfrei sitzen. Brokatstoffe sind nun allerdings nicht dehnbar und sollten auch nicht diagonal zugeschnitten werden. Sieht man sich erhaltene Originale an, gibt es etwas kürzere rechteckige Varianten und lange trapezförmige Varianten, teilweise vorn oder hinten noch mit einem Dreieck erweitert. Da ich einen neuen Laptop habe und die Festplatte noch komplett leer ist, habe ich mal wieder Google bemüht und dabei folgendes Bild gefunden: http://www.tribur.de/blog/wp-content/uploads/2016/08/Strümpfe.jpg (Bildquelle tribur.de) Das ist natürlich nicht meine Zeit, aber die Beinlinge wirken erstaunlich wenig faltig. Es muss also möglich sein, enge Beinlinge auch aus nicht dehnbarem Stoff herzustellen. Nur wie mache ich das am klügsten? Wo ist da der Trick?
 
So würde ich das auch sagen....wie bei den Damen die Ärmel.
 
Einnähen ist keine Option. Was ich suche ist eine praxisnahe Variante die ich selbst herstellen kann und mit der man das hinterher auch alleine dreimal an einem Nachmittag an und ausziehen kann. So schön das mit dem einnähen auch klingt, heutzutage bringt man niemanden dazu das zu machen, es sei denn, man bezahlt ihn gut. Und ich würde das auch eher zu dem Bereich modischer Ausschweifungen zählen, zu dem auch meterlange Schuhspitzen gehören. Hat vielleicht jemand gemacht und es ist so sehr aufgefallen dass sich einer in geschriebener Vorm darüber beschwert hat, muss aber nicht unbedingt Alltag gewesen sein. Ein Markgraf Ekkehard von Meißen oder auch ein Graf Dietmar bei den Naumburger Stifterfiguren wird sogar mit deutlichem Ärmelschlitz dargestell, was wieder für praxisnähere Alltagslösungen spricht. Ein Gelenk in nicht elastischen Stoff einnähen fixiert dieses außerdem. Das Handgelenk ist davon nicht betroffen, da die Hand weiterhin frei bleibt, ein Knie oder Fußgelenk wird so aber ziemlich unbrauchbar.
 
Man kann sie auch schön eng am Bein abstecken lassen und dann nähen. Der abgebildete Herr scheint aber am Knie ein Band zu tragen?! Es schaut etwas hervor?! Gruss Chris
 
Also um die Wade und am Oberschenkel dürfte das mit sorgfältigem Abstecken direkt am Bein schon enganliegend möglich sein. Problematisch wirds aber am Knie, zwecks Beweglichkeit und um den Knöchel bzw. oberhalb davon, weil der Fuß und die Ferse eben einfach dicker sind als dieser Bereich und man irgendwie in den Beinling rein muss - Soviel zum Offensichtlichen :D Wäre es evtl. möglich die Beinlinge ohne Fußteil zu machen und den Steg relativ lang zu gestalten? Hängt natürlich von den darüber getragenen Schuhen ab. Bei Schuhen wie auf dem verlinkten Foto hat man ja etwas Spielraum, weil der kritische Bereich im Schuh verschwindet. (Belege hab ich dafür leider nicht :whistling: ) Kurzes Edit: Wobei die Beinlinge auf dem Bild im kritischen Bereich auch nicht sonderlich eng sind....
 
Die Frage ist, ob sich Material, Sitz und Verwendungszweck überhaupt in Einklang bringen lassen. UND wie oft man so etwas Damals überhaupt getragen hat. Vielleicht zu hohen Anlässen, da kann man sich dann schon mal sehr aufwendig einkleiden lassen. Ich könnte mir vorstellen, das Bildbelege geschönte Idealdarstellungen sind. Der Sitz also an der Steinfigur so ist, wie man es sich gewünscht hätte und nicht wie es war. Die wattierte Jacke von Carles de Blois, ist auch aus so einer Musterseide, dort ist das Muster am Tellerärmel auch mal kopfüber verarbeitet. Fällt von weitem nicht auf, ist auf den vielen Bildern mit wattierten Jacken auch nicht zu sehen. Ich fürchte Du musst Abstriche machen, entweder schlechteren Sitz in Kauf nehmen, oder beim Material pfuschen (wobei Du ja gerne das verwenden möchtest, was Du schon hast) oder aber die Ausstattung nur zu besonderen Gelegenheiten tragen. Gab es nicht irgendwo einen Beinling aus Muster Seide von einem Bischof ? Hab schon gesucht aber finde ihn nicht.
 
Auch wenn wir im LH Bereich sind - aber da das große "A" noch nicht angesprochen wurde, werf ich einfach mal 2 Worte in den Raum: breites Klettband :whistling: Bis Mitte Wade geht das mit dem eng nähen und dem Anziehen ja problemlos. Und sehr viel mehr wird man von den Beinlingen eh nicht sehen. Also könnte man ab da mit Klettband tricksen wenn man nicht jedesmal nähen bzw. trennen will und am Material keine Abstriche machen kann/will. Das gibts sehr dünn - somit drückt und buffelt da nix.
 
Die einzigen mir bekannten Beinlinge aus gemustertem Seidenstoff sind die hier aus dem 14. Jhdt., die sind aber soweit erkennbar auch nicht hauteng. Alles was andere sind Strümpfe aus dem klerikalen Bereich, die alle nicht sonderlich eng sind: http://www.kostym.cz/Anglicky/1_Originaly/01_Goticke/I_01_79.htm http://www.kostym.cz/Anglicky/1_Originaly/01_Goticke/I_01_73.htm http://www.kostym.cz/Anglicky/1_Originaly/01_Goticke/I_01_72.htm http://www.kostym.cz/Anglicky/1_Originaly/01_Goticke/I_01_14.htm Quelle für alle Links: http://www.kostym.cz/
 
Wenn ich mir das Bild genau ansehe sind die Beinlinge am Unterschenkel eingeschlagen. Und zwar sowohl hinten oberhalb der Archillessehne als auch vorne im Bereich Spann / unteres Schienbein. Hast du mal beim Betreiber der Webseite nachgefragt wem diese Beine gehören. Vielleicht bekommst Du ja auf diesem Weg die Antwort auf deine Frage.
 
Ich muss da an die Karottenjeans denken, die mal vor Ewigkeiten modern waren - die saßen doch auch eng am ganzen Bein - und seinerzeit war Jeansstoff ja auch noch vollig unelastisch.... Auf dem Foto sieht es auch so aus, als könnte der Stoff am Knöchel in vier Falten gelegt wurden sein, um der Kontur der Wade nach unten zu folgen - das meiste davon wird dann vom Schuhschaft verdeckt... Tante Edit sagt,dass der Heinrich schneller war... ;)
 
Einnähen ist keine Option. (...)
Wenn du es tatsächlich einigermaßen historisch UND hauteng haben möchtest, dann ist das Einnähen die einzige Variante, welche auch durchaus Anwendung fand. Gut geübt und vorausgesetzt der Herr steht still ist das Einnähen des Beins durchaus in einer Stunde machbar. Aber warum sollte man das 2 - 3 mal am Tag machen im adeligen Alltag? Auf einer historischen Modenschau macht das mehr Sinn - da gebe ich mich auch gern als "Einnäher" her. Wäre im Übrigen sicher ein tolles Projekt. :) Moderne alternativen gibt es viele, wie @Heinrich schon schrieb, Klettverschluss oder mit Haken & Ösen oder was zum Schnüren ginge auch... Oder eben Strickstoff mit Print... 8o Das Bild mit den Brokatbeinlingen ist "gut getroffen" denke ich und verleitet schlicht zu romantischen Vorstellungen. Schade, dass man bei dem Rapport die Naht nicht sieht. Die wenigen erhaltenen Beinlinge aus dem HoMi zeigen alles andere als hautenge Schnitte. :)
 
Aber warum sollte man das 2 - 3 mal am Tag machen im adeligen Alltag?
Da ist eben der Punkt, weswegen ich mich auch frage warum diese Antwort immer wieder kommt. Wir sind heutzutage weder adelig mit Dienerschaft noch leben wir am Wochenende einen adeligen Alltag. Drei Kostümwechsel an einem Tag sind an einem normalen Markttag vollkommen normal und auch bei der Hochzeit zu der ich im Sommer eingeladen bin wird wohl eine Kampfvorführung erwartet. Und ob es im Mittelalter tatsächlich üblich war dass man sich jeden Tag frisch in die Klamotten einnähen und abends wieder heraustrennen lässt? Ich kann es mir absolut nicht vorstellen. Ich schließe nicht aus, dass es manche ab und zu mal gemacht haben, aber wäre es Alltag würden an Statuen von Adeligen ausnahmslos niemals offene Ärmelumschläge zu sehen sein, die offen zu lassen wäre ein absolutes No-go. Betrachten wir aber alleine die Naumburger Stifterfiguren haben wir schon zweimal die Lösung mit geschlitzten Ärmeln und einmal eine Lösung mit relativ weiten Ärmeln. Wird das auch stark idealisiert immer noch dargestellt, kann man eigentlich davon ausgehen, dass es normal war. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang eben auch das Beispiel der langen Schuhspitzen. Es wurde gesetzlich geregelt, wessen Schuhspitzen wie lang sein durften, offensichtlich weil vorher jemand massiv übertrieben hat. Aber eigentlich lassen weder Abbildungen noch Schuhfunde darauf schließen. Beim Charles de Blois Jäckchen wird auch immer gern von einer deutlich ausgestopften Brust gesprochen, wobei der Brustumfang des Jäckchens noch erstaunlich schmal ist und schon auf einen sehr schlanken Träger deuten lässt. Manche Sachen hat man wohl einfach mal so gelernt und hinterfragt sie kaum mehr. Bei den Fotos von Ellaria und denen die mir SIlvia per Email geschickt hat ist mir nun aber eine Sache aufgefallen. Und zwar bei diesem Bild(Quelle immer noch kostym.cz): http://www.kostym.cz/Anglicky/1_Originaly/01_Goticke/I_01_79.htm Bei den meisten Exemplaren befinden sich Seidenbänder vorn oder hinten mittig, für gewöhnlich eines das in der Mitte angenäht wird. Dieses wird dann einmal rumgewickelt und gebunden, anschließend kann der obere Teil noch umgeschlagen werden oder eine feste Borte hilft, dass das nicht durchrutscht. Auch hier dachte ich immer dass dies der Fall wäre, auf diesem speziellen Foto sieht man aber, dass dem nicht so ist. Die Länge zwischen Wade und Kniekehle ist geschlitzt und es befindet sich auf jeder Seite ein relativ langes Band am obersten Ende. Schnürt man diese nun auf der Vorderseite, sollten die Ecken übereinander gezogen werden, wodurch eigentlich schonmal eine genauere Passform in der Kniekehle erreicht werden sollte. Funktioniert zumindest für die kurze trägerlose Variante, die ich wohl auch bevorzugen werde. Oder sehe ich da was falsch? Im Knöchelbereich scheint der Beinling auf dem Foto von Tribur tatsächlich doch Falten zu werfen, der Trick ist also wirklich nur, das ordentlich in den Schuh zu stopfen. Damit sollte ein trapezförmiger Zuschnitt wie bei den Karottenjeans mit geschlitztem Oberteil eigentlich schon eine ganz gute Passform ermöglichen. Viele Originale sind einfach rechteckig geschnitten und das macht unter bodenlangen Gewändern vermutlich auch kaum einen Unterschied. Naja, mal schauen wie ich das hinkriege. Soweit auf jeden Fall schonmal herzlichen Dank an alle. Ich weiß jetzt was ich genau vorhabe und einen Stoff habe ich auch ausgesucht, da kann ich demnächst loslegen.
 
Könnte man die Form der kurzen Strümpfe nicht auch in einem längeren Beinling anwenden? Nach dem Knie gehts ja recht konisch weiter und man könnte wieder eine normale Naht benutzen. Das Schnittmuster hätte dann zwei kleine "Flügelchen" um den Kniebereich, die mit einem Pseudoknieriemen verschlossen werden könnten. Vielleicht ginge es auch mit nur einem Flügelchen, das innen liegt und wo der Riemen durch ein Loch im Beinwickel gezogen wird. Diese Konstruktion könnte man dann mit einem prunkvolleren Knieriemen abdecken.
 
Kennt jemand Quellen für diese Strümpfe mit "integriertem" Band jenseits des klerikalen Bereichs? Ich hab die immer für eine klerikale Besonderheit gehalten und wäre deswegen bei der Übertragung auf eine weltliche Darstellung lieber vorsichtig. ?( Haben normalsterbliche Männer überhaupt so kurze Strümpfe getragen? Männermode ist zwar nicht meine Ecke, aber zumindest bei den (leider seltenen) Abbildungen von Frauenstrümpfen, die ja im Gegensatz zu Beinlingen nur etwas über knielang sind, scheint es sich eher um Strümpfe und separate Strumpfbänder zu handeln. Funde von Strümpfen und Strumpfbändern sprechen da auch dafür.
 
Na klar kenne ich welche, zum Krönungsornat gehören zum Beispiel welche. Für mich die relevanteste Quelle wäre Philipp von Schwaben, um dessen Beine herum fand man eine Menge Textilfetzen, aus denen sich zwar kein genauer Schnitt ableiten lässt, die sich aber eindeutig als knielange Beinlinge aus Seidendamast mit versetzten Medaillons und goldenen Bändeln identifizieren lassen. Normalsterblich ist natürlich wieder was anderes, aber immerhin sind wir beim weltlichen Adel. Ich orientiere mich immer sehr gerne an Philipp von Schwaben für meine Darstellung. Er ist zum Einen 1208 beerdingt worden, was also nur 12, bzw 20 Jahre von meinem Darstellungsjahr entfernt ist, zum Anderen wäre es absolut untertrieben wenn ich sage dass er und mein Landgraf sich gekannt haben. Drum kenne ich den Inhalt des Grabes verhältnismäßig gut.
 
Ein wenig off topic, aber ein interessantes Detail bei den Beinlingen von Philipp von Schwaben ist, dass die Füßlinge aus Stoffresten anderer Damaststoffe zu bestehen scheinen. Das Muster ist hier vollkommen anders und zeigt sogar Senmurwen und Elefanten, was die sassanidischen Seiden wieder ins Spiel bringen könnte. Und das lese ich jetzt, wo die verliebten Pegasi ausverkauft sind. Interessant ist dabei auch, dass das Bruchengürtel ebenfalls nicht unbedingt erste Wahl ist. Daraus kann man schließen, dass an den nicht sichtbaren Stellen nicht die beste Ware verarbeitet wurde. Und wieder zurück zum Thema, aber immer noch beim Bruchengürtel, an diesem Gürtel sind Fingerloopbändchen angebracht, an denen vermutlich Beinlinge festgemacht werden können. Diese Bändchen waren aber bis auf den Verschluss nicht geschnürt, also ist davon auszugehen, dass keine zusätzlichen langen Beinlinge getragen wurden und die gefundenen Beinlinge auch nicht nach der Goldborte noch weiter gingen.
 
OK ich steige etwas spat ein und habe auch keine Belege. Aber eine praktische Erfahrung: Meine ersten Beinlinge hatte ich damals aus Leinen und mit Steg mit der Naehmaschine gemacht. Und: Ich trage die immer noch hin und wieder da man die Naehte nicht sieht. Auch das Leinen diagonal genommen, abgestekt und eine Heftnaht gemacht. Markiert, wo es enger musste, erneut genaeht, Vorgang wiederholt. Stueckchen fuer Stueckchen angenaehert. Ganz zum Schluss dann die richtige Naht mehrfach gesetzt. Die Beinlinge sind wirklich nur um den Knoechel und hinten am Knie etwas lockerer, aber noch nicht wirklich gross Falten werfend. Ich kann sie zur Not auch ihne Knieriemen tragen, mit sitzen sie aber besser.
 

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