Mara
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Leider hatte ich nur 1 knappe Woche Urlaub, und die auch noch alleine. Also - was tun? Alle sagen ja, den Jakobsweg soll man alleine laufen und da mich dieser Weg schon immer gereizt hat, fiel die Entscheidung nicht schwer. Die letzten 100 km standen auf meinem Programm - ich fange gern auch mal Sachen von hinten an. :whistling: Begonnen hat die Planung dann schon Ende März/ Anfang April. Die besondere Herausforderung war, dass ich den Weg in historischer Gewandung laufen wollte. Entschieden haben ich mich aus taktischen Gründen für ein Outfit des 13. Jahrhunderts, da zu dieser Zeit die Schlupfärmelkleider schon groß in Mode waren und ich bei befürchteten 30°C und Sonnenschein Anfang Juli mit meinen dicken Wollkleidern haderte. Also nochmal dünne Wollstoffe geordert und 8 Wochen vorher begonnen, 3 dünne Wollkleider mit Schlupfärmeln zu nähen. Leider passten dann nur 2 in meinen Koffer, so dass ich eins zuhause lassen musste. Aber für 6 Wandertage sollte das durchaus ausreichend sein. Weiterhin packte ich 2 Leinenunterkleider ein, 2 Pilgerbeutel, einen Stoffsack, den man sich über den Rücken hängen kann und in dem das Stativ für den Fotoapparat eingewickelt in eine Cappa (könnte ja doch mal schlechtes Wetter kommen) transportiert werden sollte. 2 Paar Schuhe (beide wendegenäht und wer weiß, wie lange die halten), Leinenkopftücher und ein Strohhut. Den obligatorischen Pilgerstab wollte ich mir vor Ort besorgen. Dazu noch Zivilklamotten, was zu Lesen, Fotoapparat, Hörbücher und MP3-Player, Handy und Powerbanks und Waschzeug/ Badelatschen. Nicht zu vergessen die Pilgerflasche mit 1 l Inhalt. Übernachten wollte ich in Hotels, die ich alle schon vorher gebucht hatte. So blieb mir die Suche nach einer Herberge erspart, außerdem kann man für insg. 20 € über die spanische Post sein Gepäck von Hotel zu Hotel bringen lassen, so dass man sich wirklich nur auf das Wandern konzentrieren kann. Ein Pilgerpass war schnell besorgt, der Abflugtag nahte und am 06.07. startete ich per Lufthansa via Frankfurt von Berlin nach Santiago de Compostela. Dann mit dem Zug weiter bis Sarria. Am nächsten Morgen sollte es dann los gehen. Zum Frühstück erschien ich in Gewandung, was schon mal einige Blicke hervor rief. Aber aklle waren freundlich, fragten mich aus und wollten Fotos. Ich startete dann erst gegen 08:00 Uhr bei kühlem bedecktem Himmel in Sarria. Knapp 118 km lagen vor mir. Die erste Etappe bis Portomarin waren ca. 23 km. Am Nachmittag kam die Sonne raus, da hat sich dann auch der Strohhut bewährt. Das Laufen auf den Wald- und Wiesenwegen, wie auch auf Asphalt- und Schotterpisten ließ sich in den wendegenähten Schuhen gut bewerkstelligen und auch die Kleidung war wandertauglich. Häufig geht es bergauf und später wieder bergab, zu vergleichen ist die Landschaft eher mit Thüringen oder Sachsen-Anhalt, als mit Spanien. Sehr grün, viele Bäche und Flüsse, alle 3-4 km kleine Dörfer, manche mit schönen alten Kirchen aus dem 12. Jahrhundert. Unterwegs traf ich auch viele nette Menschen, die natürlich auch wieder Fragen stellten: schwitzt man in der langärmligen Kleidung nicht? Antwort: Nein, feuchtes Leinen hat eher einen kühlenden Effekt wie Air-Kondition. Und Sonnencreme habe ich die ganzen Tage nicht gebraucht. In fast jedem Dorf findet man eine kleine Bar oder Albergue, in der man eine Rast einlegen kann, einen schönen Milchkaffee bekommt und eine kalte Cola. So habe ich dann ab Tag 2 darauf verzichtet, mir abends für den nächsten Tag Halbliterflaschen zu besorgen die ich mitschleppte. Meine Wasserflasche war für den Notfall mit einem Liter völlig ausreichend. Ab Tag zwei ließ ich dann auch die Cappa und das darin eingewickelte Stativ im Gepäck. Man fand immer jemanden, dem man mal sein Handy oder den Fotoapparat in die Hand drücken konnte. Ab Sarria ist der Weg ungleich voller, weil die letzten 100 km gelaufen werden müssen, um eine Compostela zu erhalten. Da kommen also auch keine Ängste auf, von wegen als Frau alleine unterwegs. Häufig habe ich ganze Pilgergruppen an mir vorbei ziehen lassen, die sich lautstark durch Gelände bewegten. Manche hatten auch ihr Handy in der Hand, aus dem in voller Lautsärke Radio dudelte. Wozu diese Menschen den Weg gehen, von dem sie doch gar nichts wahr nahmen, frage ich mich bis heute. Aber jeder so, wie er mag. In Melide fand ich das laut Pilgerführer älteste Steinkreuz Galiziens aus dem 14. Jahrhundert. Wenn man aber mit offenen Augen wandert, entdeckt man auch an anderen Orten solche Kreuze, nicht selten sogar in Vorgärten von alten Bauernhöfen. Die Wegsteine zeigen einem immer, wo es lang geht. Man kann sich eigentlich nicht verlaufen und bis auf einige Steine kurz vor Santiago de Compostela steht auch immer noch die noch zu bewältigende Strecke drauf. Am Donnerstag; 12.07. kam ich am späten Nachmittag in Santiago an und besuchte als Erstes die Kathedrale. Dieser Pilgerweg ist erst beendet, wenn man am Grab des Apostels gebetet hat, seine Statue umarmte und sich dann seine Compostela (Pilgerurtkunde) abholt. Alles in allem war es eine schöne Erfahrung. 118 km haben die Schuhe auch mitgemacht, abgesehen von dem Umstand, dass ich irgendwie auf der Naht gelaufen bin, so dass diese am vorletzten Tag 2 cm geöffnet war. Na der Fuß war dann halt abends etwas dreckiger, ansonsten hatte ich mit den Schuhen keine Probleme. Genadelte Wollsocken an und alles war gut abgepolstert. Keine Blasen. Hilfreich war auch die empfohlene Hirschtalgcreme, die man für wenig Geld in der Drogerie bekommt. Und meinen Füßen hat abends und morgens das Eincremen immer ausnehmend gut gefallen. Ich hätte aber deutlich weniger Sachen mitnehmen können. Das zweite Leinenuntergewand blieb komplett im Gepäck - gut bei Regen hätte ich mal Wechselkleidung gebrauchen können, aber so hängte ich allabendlich die Klamotten zum Trocknen auf und konnte sie morgens wieder anziehen. Das rote Kleid habe ich dann auch nur mal angezogen, damit die Fotos nicht so eintönig sind. Wie schon gesagt, Stativ und Cappa waren auch überflüssig, ebenso wie die zuviel eingepackten zivilen T-Shirts und kurzen Hosen für Abends. Wenn man erst um 17:00 Uhr im Hotel ankommt, dann duscht und sich Zivilklamotte anzieht, diese dann maximal 1-2 Stunden zum Abendessen trägt um danach todmüde ins Bett zu kippen, dann reichen 2 Shirts für die 6 Abende. Und eine Hose. Und in Santiago kauft man sich sowieso ein Camino-Shirt! :thumbsup: Ausreichend Socken und Unterwäsche ist wichtig, die sind jeden Abend durch. 2 Bücher waren gut, die habe ich auch abends gut zum Abschalten gebraucht. Powerbank reicht eine, wenn man einen guten USB-Stecker für die Hotels dabei hat. Das Handy kann man jeden Abend frisch aufladen. Wenn man in Santiago ankommt, sollte man abends die Pilgermesse besuchen. Noch besser, erst um 08:00 Uhr die deutsche Messe (ganz kleiner familiärer Kreis mit Abendmahl), dort erhält man mit etwas Glück ein Heft, in dem die abendliche Pilgermesse erklärt ist. Da diese auf spanisch durchgeführt wird, kann man ggf. mit dem Heft auch mitsingen, auf der linken Seite finden sich jeweils die deutschen Übersetzungen dazu. Die abendlichen Messen beginnen um 19:30 Uhr und dauern ca. 40-45 min. Man sollte rechtzeitig da sein, besonders am Freitag, da dann der große Weihrauchkessel angezündet wird. Geschwenkt wird er durch das Querschiff, also am Besten einen Platz in diesem Bereich suchen, dann kann man ihn besser sehen. Das Spektakel dauert aber nur knapp 5 min und wird mit großem Applaus von den Pilgern gefeiert. Donnerstags gab´s ihn nicht. Wer ihn außer der Reihe sehen will, sollte sich mit mehreren Pilgern zusammen schließen. Ein Einsatz kostet 300 €, die Kathedrale ist nun mal auch ein gewinnorientiertes Unternehmen. Etwas befremdlich war es, dass während der Messen immer noch Besucher zur Apostelstatue hoch kommen, um ihn von hinten zu umarmen. Also sieht man ab und zu zwei Hände über dem Altar auftauchen und sich um den Hals der Statue legen. Die singende Nonne hat eine Stimme, die Gänsehaut macht. Glasklar trifft sie alle Töne und dirigiert praktisch die ganze Kathedrale von ihrem Platz aus. Die Akustik ist dort sowieso einmalig. Zusammengefasst: Ein unwerfendes Erlebnis. Wer nach der Wanderung noch Zeit hat, sollte mindestens 1 Tag in Santiago dran hängen, zwei wären noch besser. Ich habe am Freitag noch eine Bustour nach Finesterre unternommen, mir Muxia und die Todesküste angeschaut und mich dabei prächtig unterhalten. Abends ist um die Kathedrale herum immer Feierstimmung. In den kleinen Gassen haben Straßenrestaurants geöffnet, man kann essen, ein Glas Wein trinken oder shoppen. Die Souvenirläden haben fast alle bis 22:00 Uhr geöffnet. Auf dem Kathedralenvorplatz beginnt ab 22:00 Uhr in den Sommermonaten die Tuna zu spielen, eine ehemalige Studentenband, die spanische Lieder zum besten gibt. Die Stimmung unter den Arcaden gegenüber dem Westportal der Kathedrale ist jeden Abend super und die Jungs heizen den Pilgern so richtig ein. Wenn jetzt Swiss Airlines es noch schaffen, meinen auf dem Rückflug verloren gegangenen Pilgerstab zu finden, kann ich nur sagen, dieser Urlaub war einfach perfekt. Wenn ich in den nächsten Wochen dazu komme, meine Bilder zu sichten und zu bearbeiten, dann stelle ich gerne noch mehr ein.
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