Fifill
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Vergangene Woche hatte ich relativ kurzfristig entdeckt, dass am Fronleichnamswochenende eine Wikingergruppe die rekonstruierte Wikinger-Siedlung des Wikinger-Museum Haithabu beleben und u.a. mit ihren Langbogenschützen und einer Tuchhändlerin vor Ort sein würde. Da ich für diesen Sommer ohnehin Haithabu auf dem Schirm habe, war für Samstag schnell der Plan gefasst, dem Museum gemeinsam mit zwei Freundinnen einen Besuch abzustatten. Diesen ersten Besuch (genau genommen eigentlich mein zweiter, da ich vor 30 Jahren als Kind schonmal dort gewesen bin ) wollte ich zum einen dazu nutzen, mir erstmal einen Gesamtüberblick über die rekonstruierte Wikinger-Siedlung und die Ausstellung im Ausstellungshaus zu verschaffen. Darüber hinaus hatte ich die Hoffnung, einige spezifischere Fragen mit den Bogenschützen und der Tuchhändlerin erörtern zu können. Im Vorfeld informierte ich mich über die Website des Museums zu den generellen und aktuellen Gegebenheiten – auch mit Blick auf die zu erwartenden Corona-Schutzmaßnahmen. Das Wikinger-Museum Haithabu liegt in Busdorf bei Schleswig und hat zwei Bereiche: das Ausstellungshaus, in dem vor allem archäologische Originalfunde ausgestellt und erläutert werden, und die rekonstruierte Wikinger-Siedlung im historischen Gelände. Für den Fußweg vom Ausstellungshaus zur Wikinger-Siedlung bzw. zurück sollte man jeweils ca. 20 Minuten einplanen. Eintrittskarten kann man entweder im Ausstellungshaus (für den Besuch der Ausstellung und der Wikinger-Siedlung, Erwachsene: 9,00€) oder direkt am Eingang zur Wikinger-Siedlung (ermäßigt, nur für den Besuch der Wikinger-Siedlung, Erwachsene: 4,00€) kaufen. Die ermäßigte Eintrittskarte für die Wikinger-Siedung sollte man unbedingt aufheben, da man diese beim Kauf der Eintrittskarte für das Ausstellungshaus vorlegen kann und dann den bereits gezahlten Betrag gutgeschrieben bekommt. Aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen ist die Besucherzahl im Ausstellungshaus gegenwärtig begrenzt, so dass im Vorfeld ein einstündiges Zeitfenster für den Ausstellungsbesuch reserviert werden muss, zu dem man sich mit 20 Minuten Vorlauf an der Kasse einfinden soll. Darüber hinaus gelten die üblichen Corona-Schutzmaßnahmen (AHA, Angabe von Kontaktdaten… jedoch keine Testpflicht) Der Zugang zur Wikinger-Siedlung im Außengelände erfordert keine Reservierung. Mit den Reservierungsbestätigungen im Gepäck (oder in unserem Fall als E-Mail auf dem Smartphone) fuhren wir also Samstag morgen in Hamburg los und erreichten am späten Vormittag das Museum. Vom Parkplatz aus folgten wir dem gut beschilderten Fußweg und erreichten nach wenigen Minuten den Abzweig zum Ausstellungshaus. Dort wies uns eine sehr freundliche Museums-Mitarbeiterin den Weg und erklärte uns die Sache mit den ermäßigten Eintrittskarten (s.o.). Um nicht mehrmals zwischen der Siedlung und dem Ausstellungshaus hin und her laufen zu müssen, hatte ich für den Besuch der Ausstellung ein Zeitfenster ganz zum Schluss (16:00 – 17:00) reserviert. Daher machten wir uns zunächst auf den Weg ins Außengelände Richtung Wikinger-Siedlung. Bei sonnigem Wetter und einer sanften Brise von der Schlei her wurde daraus ein angenehmer Spaziergang in der wunderschönen Landschaft innerhalb der alten, halbkreisförmigen Erdwallanlage, die die Siedlung Haithabu noch heute umspannt. Am Eingang der Siedlung angekommen, kauften wir dort die ermäßigten Eintrittskarten ("Aufheben!") und konnten dann (unter Beachtung der AHA-Regeln) bei moderatem Besucherandrang die Siedlung erkunden. Ich hielt natürlich sogleich nach den Bogenschützen Ausschau, die ich kurz darauf nicht weit vom Eingang erspähte. :robin Nachdem ich eine Weile beim Schießen zugeschaut hatte (und meine beiden Freundinnen sich ohne mich auf die Besichtigungstour für "Nicht-Mittelalter-Nerds" gemacht hatten ^^ ), sprach ich einen der Schützen auf seinen Bogen "Typ Haithabu" an, woraus schnell eine angeregte Unterhaltung entstand, in der ich auch schon zu einigen der Fragen, die ich im Gepäck hatte, wertvolle Hinweise erhielt. In diesem Gespräch erfuhr ich auch, dass es sich bei den an diesem Wochenende anwesenden Darstellern um Mitglieder der Wikinger-Gruppe "Opinn Skjold" handelt und wurde eingeladen, mal auf deren Homepage (www.opinn-skjold.de) und gerne auch persönlich bei weiteren Veranstaltungen der Gruppe vorbei zu schauen. Da mein Gesprächspartner bei einigen meiner Fragen Richtung Bogenbau überfragt war, stellte er schließlich noch den Kontakt zu einem der Bogenbauer im Lager der Bogenschützen her. Auch mit diesem netten Menschen entstand eine sehr angeregte und informative Unterhaltung – u.a. über Zweck (und Nachteil) der für Haithabu-Bögen charakteristischen (über die Sehnennocken hinausstehenden und in "Bauchrichtung" umgebogenen) Wurfarmenden, sowie die unterschiedlichen Anforderungen an das Bogenprofil von Eiben- und Ulmenholzbögen. Als ich auf der Suche nach einer Abbildung mein Exemplar von "Bows and Arrows of the Vikings" (von Dan Høj) hervorholte, stellte sich zudem noch heraus, dass mein Gesprächspartner gemeinsam mit dem Autor im gleichen Verein für traditionelles Bogenschießen aktiv ist. Schließlich bekam ich noch einen Tipp, an wen ich mich bezüglich Gewandungsfragen wenden könne – nämlich die im Museums-Programm angekündigte Tuchhändlerin. Nach kurzer Verschnaufpause begab ich mich also zum Verkaufsstand der Tuchhändlerin, wo diese gerade einen Kunden bei der Stoffauswahl für einen authentischen "Kampf-Kaftan" aus Leinen und eine Wolltunika beriet. Bereits beim Zuhören schnappte ich einige interessante Informationen auf (u.a. für mein Dilemma, dass mir ungefärbtes Leinen leider farblich überhaupt nicht steht, und ich daher auf der Suche nach einer Kompromisslösung bin, d.h. einem Farbton, den man mit den damaligen Färbemitteln auch auf Leinen erreichen konnte). Eine weitere Frage, zu der ich schon seit einiger Zeit recherchiere, ist die nach den frühesten Belegen für Gêren in frühmittelalterlichen Tuniken, insbesondere solchen, die sich zeitlich und räumlich dem Siedlungsraum von Wikingern zuordnen lassen (siehe auch Gêren - ab wann?). In den bei Kania ("Kleidung im Mittelalter") aufgeführten Funden finde ich derartige Keile erstmalig in Funden aus Haithabu und Skjoldehamn, die ins 10. Und 11. Jahrhundert datiert werden. Kürzlich entdeckte ich jedoch im "Authenticity Guide" von "Regia Anglorum", dass diese bereits für ihren frühesten Darstellungszeitraum (ab 793) Tuniken mit Gêren erlauben, was meine Recherche wieder neu in Gang gebracht hat. Als ich die Tuchhändlerin diesbezüglich ansprach, kippte das Gespräch jedoch in eine Richtung, die mich letztlich ziemlich konsterniert zurückgelassen hat. Zuerst erzählte die Frau mir etwas von Zuschnitt und optimaler Stoffverwertung. (Ich: leicht ungeduldiges aber freundliches Nicken – "Ja, ist mir bekannt." Ist ja auch logisch - aber kein Beleg.) Dann führte sie auf, dass ja schon die Römer in ihren Tuniken Gêren verwendet hätten. An dieser Stelle verkniff ich mir eine Bemerkung hinsichtlich der (praktisch nicht vorhandenen) Relevanz von Gêren in antiken römischen Tuniken als Beleg für Gêren in wikingerzeitlichen skandinavischen Tuniken. :thumbdown: Man sah mir meine Zweifel aber wohl an, denn nun meinte sie, dass sie mir das jetzt nicht alles im Detail erklären könne und ich solle doch erstmal ein paar (nicht näher spezifizierte) Bücher lesen, im Internet recherchieren und mir vor allem die Exponate im Ausstellungshaus – und am besten gleich auch noch die in Schloss Gottorf – anschauen. (Spoiler: Beim späteren Besuch des Ausstellungshauses konnte ich leider keinerlei Textilfunde entdecken. :huh: Den Tipp mit Schloss Gottorf habe ich jedoch im Hinterkopf notiert und auf meine "Muss ich mir anschauen" Liste gesetzt.) Richtig abenteuerlich wurde es jedoch, als sich kurz darauf eine andere Besucherin mit in das Gespräch einschaltete, bei der es sich offenbar um eine Bekannte der Tuchhändler-Darstellerin handelte. Diese erklärte mir nun – teils mit Unterstützung seitens der Darstellerin, dass es reale Schildmaiden ja zuerst in Dänemark gegeben habe und erst später in Schweden und Norwegen. Als Beleg führte sie zwei Frauengräber mit Waffen als Grabbeigaben auf. (Ich: Frauengrab mit Waffen = Kriegerin >> inneres Augenrollen :kopfhau ) Es war auch die Rede vom Fund einer Hose in einem der Gräber. (Möglicherweise in der Sammlung von Schloss Gottorf? Das konnte ich nicht mehr klären, habe es aber ebenfalls in meinem Hinterkopf notiert zwecks weiterer Nachforschungen.) Als mir beide Frauen dann erklärten, dass die Wikingerzeit ja gar nicht Teil des Mittelalters sei (und das Hochmittelalter im 16. Jahrhundert liege), verlegte ich mich auf "freundlich lächeln und nicken" und trat ziemlich verstört den Rückzug an. :S Danach musste ich mich erstmal eine halbe Stunde lang von dieser… Begegnung der dritten Art? 8| … erholen und mich bei Wikipedia davon überzeugen, dass das Mittelalter noch immer da liegt, wo ich es zuletzt angetroffen habe – nämlich grob zwischen 500 und 1500 n.Chr. ("Ja, es ist noch da – uff!") :schwitz Nach einer Erholungspause auf dem Bootssteg im ehemaligen Hafenbereich von Haithabu spazierte ich noch eine gute Stunde lang durch die Siedlung, wobei noch mehrere angeregte und informative Unterhaltungen mit Darstellern zustande kamen – u.a. über die verschiedenen Kunststile der Wikingerzeit (mit dem Schmuckhändler, der mir auch das Buch "Spurensuche Haithabu" wärmstens ans Herz legte), Nähen von Wendeschuhen und Gewandung, Problematik der Interpretation von Grabfunden, den getrübten Genuss von Mittelalterfilmen durch die Brille des Mittelalter-Nerds… Zur eingehenden Besichtigung der Häuser bin ich an diesem Tag tatsächlich nicht mehr gekommen – aber ich war auch ganz sicher nicht zum letzten mal dort.