Weiß ist ein dehnbarer Begriff. Waren die Dinger nun ungefärbt oder waren sie reinweiß, was ja auch nicht ohne einen gewissen Aufwand geht? Wenn nun ein Volk über die Wadenwickelfarbe eines anderen spottet, dann scheint das bei diesem anderen Volk offenbar schon eine gewisse, zumindest mehrheitliche Verbreitung gehabt zu haben. Außer natürlich, der Spottende benutzt hier nur ein sprachliches Bild, das mit der Realität nichts zu tun hat. Also so, wie Hexen bekanntermaßen rote Haare, Juden eine Hakennase und Polen ein gestohlenes Auto haben. Ob der Spottende das in diesem Falle nun tut, weiß ich nicht. Tut er es nicht, dann liegt nahe, dass die Langobarden tatsächlich in der Mehrzahl weiße Wadenwickel trugen, mit der o.g. Bemerkung zur Farbe Weiß allerdings. Nehmen wir mal an, das wäre so, dann wäre das nicht unbedingt dumm oder auf Armut zurückzuführen. Es kann vielmehr durchaus pragmatisch sein, denn Wadenwickel dürften ein Teil der Kleidung sein, der besonders schnell und stark verschmutzt, wenn man sie nicht bloß dreimal im Jahr zum Posen auf dem Mittelaltermarkt anzieht. Sie düften also auch oft, intensiv und womöglich auch mal heiß gewaschen worden sein. Da liegt es nahe, auf die Dinger keine empfindliche Färbung zu verschwenden. Womöglich waren die Langobardenwickel auch mal leidlich gefärbt, bleichten aber merklich aus und wurden von den Langobarden, die in diesen Teil der Kleidung vielleicht wenig modisches Engagement legten, nicht ständig erneuert, was dann wiederum Grund für die gepidische Spitze war, die "ausgebleicht" mit dem Wort "weiß" karikierten. Also im Sinne von: "Die Schlamper wechseln ja nicht mal regelmäßig ihre Wadenwickel, die kaufen sich nur einmal im Leben welche!" Wie gesagt, ich war nicht dabei als die Gepiden uns das hinterließen. Jedenfalls sind die Deutungsmöglichkeiten zahlreich. Bei den Franken erfreuten sich offenbar tatsächlich statistisch gesehen die roten Wickel der größten Beliebtheit. Das dürfte aber, wie Eilika und Jungraban schon sagten, allein der normalen Farbhäufigkeit geschuldet sein. Rot war recht leicht herzubekommen und trotzdem eine attraktive Farbe. Wobei auch hier Rot nicht gleich Rot ist. Natülich gab es fürstliche Rottöne, die wohl auch eher auf fürstlichen Wadenwickeln zu finden gewesen sein dürften. Aber das in FrühMi-Hobbyistenkreisen wohlbekannte "Standardrot" ist keine große Sache. Auch darf man nicht einfach übersehen, dass die Wickel, in denen jemand beschrieben, gemalt oder beerdigt wurde, also die Wickel, die wir heute geschichtswissenschaftlich wahrnehmen können, nicht unbedingt die Wickel sein müssen, mit denen er tagtäglich rumlief. Hier haben wir möglicherweise das für jeden Historiker wohlbekannte Problem, dass der unspektakuläre Alltagszustand halt seltenst überliefert wurde, gleich, in welcher Form. Selbst Karl der Große soll ja angeblich, glauben wir seinem Biografen Einhardt, abseits der öffentlichen Empfänge eher einfache, praktische Kleidung vorgezogen haben. Rot mag also auch bei den Franken möglicherweise nur die bevorzugte Farbe für die Sonntagswickel gewesen sein, während die Alltagswickel braun oder ungefärbt waren. Ich denke also nicht, dass man angesichts der dürftigen Quellenlage schon von einem volksbedingten Farbkodex sprechen kann. Was natürlich nicht heißt, dass es diesen womöglich tatsächlich gegeben hat, aber wenn, dann auf jeden Fall nur in Form einer statistischen (modeinduktierten) Häufung. Denn ein Gesetz aus der Frankenzeit, welches besagt, dass jeder Franke als Zeichen seiner Volkszugehörigkeit verpflichtet sei, rote Wadenwickel zu tragen, ist mir nicht bekannt.