Hier nun der aktuelle Zwischenstand meiner Recherchen:
Zur angeblichen Erwähnung von Gêren in den Kapitularien von Karl dem Großen Leider ist es mir bislang nicht gelungen, eine solche Erwähnung in den Kapitularien nachzuweisen. Auf diversen Internetseiten zu Kleidung im Mittelalter wird zwar ein sog. "Aufwandgesetz" von Karl dem Großen aus dem Jahr 808 erwähnt, in welchem vorgeschrieben gewesen sein soll, wie viel jeder Stand für seine Kleidung ausgeben durfte, allerdings konnte ich bislang noch nicht herausfinden, in welchem Kapitualrium dieses enthalten ist und ob dort auch Gêren erwähnt werden. Als problematisch für die Recherche in den Primärquellen erweist sich, dass ich die Kapitularien bislang nur auf Latein (dessen ich leider nicht mächtig bin) habe finden können und in einer Form, die keine Volltextsuche erlaubt. Immerhin habe ich auf
capitularia.uni-koeln.de ein Verzeichnis aller Kapitularien gefunden und den Suchbereich auf die Kapitularien eingrenzen können, die aus dem Jahr 808 stammen. Ebenfalls auf diversen Internetseiten taucht ein weiteres Zitat auf, welches Karl den Großen mit einer Regelung bezüglich Gêren in Zusammenhang bringt:
"Da traf er (Karl) sogleich Bestimmungen über die Kleidung der Bauern. Die wurden vom Papst bestätigt. Jetzt will ich euch sagen, was der Bauer nach dem Gesetz tragen durfte: nur Schwarz oder Grau, nichts anderes erlaubte der Kaiser. Keilstücke nur an den Seiten, das ist seinem Stand gemäß, und Schuhe aus Rindsleder, sonst nichts. 7 Ellen Stoff auf Hemd und Hose, aus grobem Tuch. Wenn er Stoffkeile hinten und vorne trägt, hat er gegen seinen Stand verstoßen." (in: Joachim Bumke: Höfische Kultur – Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, Bd. 1, München 1987, S. 172) Dieses Zitat soll aus der
Vita Karoli Magni stammen, die von dem fränkischen gelehrten Einhard (770-840) im 9. Jahrhundert (mutmaßlich um 836) verfasst wurde. Die
Vita habe ich zumindest schonmal auf lateinisch als durchsuchbaren Text finden können:
https://www.thelatinlibrary.com/ein.html Meine Suche nach der lateinischen Übersetzung einzelner Begriffe aus dem o.g. Zitat war jedoch bislang erfolglos. U.u. besorge ich mir bei nächster Gelegenheit mal für 3,80€ die Reclam-Ausgabe der
Vita auf Latein und Deutsch, in der Hoffnung dort fündig zu werden. Sollte sich nachweisen lassen, dass das o.g. Zitat tatsächlich aus der von Einhard verfassten
Vita stammt, so ließe sich der Gebrauch von Gêren immerhin schonmal für vor 840 belegen, da Einhard ja schließlich nur über etwas schreiben konnte, das ihm bekannt war. Dass die oben zitierte Kleiderordnung tatsächlich auf Karl den Großen zurückgeht wird jedoch angezweifelt (u.a. hier:
http://www.kleio.org/de/geschichte/mittelalter/alltag/kap_ii1/). Es wird vermutet, dass ein derartiger Erlass erstmals herausgegeben wurde als im 11. Jh. beim Adel mittige Gêren in Mode kamen und dass man Karl den Große erst rückwirkend als dessen Urheber ausgab.
Tuniken auf zeitgenössischen bildlichen Darstellungen Bei
manuscriptminiatures.com bin ich auf unterschiedliche Darstellungen gestoßen, die auf mich den Eindruck machen, dass es bei den Franken zur Zeit der Karolinger sowohl Tuniken mit seitlichen Schlitzen gab, als auch seitlich geschlossene. Auf der folgenden Abbildung aus Frankreich, die auf die erste Hälfte des 9. Jh. datiert ist, sind augenscheinlich beide Varianten zu sehen:
http://manuscriptminiatures.com/4437/11052/ Bei der rechten Figur in dem blauen Gewand erkenne ich links und rechts am Rock senkrechte Saumbesätze, von denen ich vermute, dass sie die Einfassung seitlicher Schlitze darstellen. Bei der rot gewandeten Figur in der Mitte scheint der Rock keine seitlichen Schlitze aufzuweisen und wirft insgesamt viele Falten. Für mich ist allerdings nicht klar erkennbar, ob es sich womöglich um ein Gewand handelt, das vorne offen ist (und damit nicht um eine Tunika im engeren Sinne). Ein deutlicheres Beispiel für eine Tunika ohne seitliche Schlitze erkenne ich auf den folgenden beiden Abbildungen (Frankreich, 8. Jh.) jeweils bei der linken Figur:
http://manuscriptminiatures.com/4437/11051/ http://manuscriptminiatures.com/4437/11052/ Auf der 2. Abbildung erkenne ich unten an der roten Tunika einen gelben Saum, der rundherum zu laufen scheint, ohne Anzeichen für seitliche Schlitze oder eine vordere Öffnung. Im unteren Bereich ist die - knapp knielange -Tunika offensichtlich weit genug, um mit gespreizten Beinen stehen zu können, wohingegen sie am Oberkörper so eng sitzt, dass die relativ schmal geschnittenen Ärmel bis deutlich oberhalb der Ellenbogen ausgeführt sind. Wenn ich mir vorzustellen versuche, wie ein solcher Sitz erreicht werden kann, dann scheidet für mich eine völlig gerade geschnittene Tunika eigentlich aus. Diese müsste, um unten herum genügend Beinfreiheit zu gewähren, am Oberkörper wesentlich lockerer sitzen und es dürfte schwierig sein, einen Übergang zu so engen Ärmeln hinzubekommen. Da auch keine seitlichen Schlitze zu erkennen sind, wären seitliche Gêren aus meiner Sicht die nächstliegende Erklärung. Für einen Beleg ist mir das allerdings noch erheblich zu spekulativ. Kennt sich hier jemand besser mit der fränkischen "Mode" der Karolingerzeit aus und kann womöglich bei der Einordnung der abgebildeten Gewänder helfen? Hat womöglich jemand das folgende Buch vorliegen?
"Die Kleidung nach Quellen des frühen Mittelalters: Textilien und Mode von Karl dem Großen bis Heinrich III" von Mechthild Müller Darin gibt es das Kapitel 6 "Die Veränderungen des Tunikabildes in den Jahren 800 bis 1050", welches mich brennend interessieren würde (insbes. hinsichtlich Gêren).
Leider ist das Buch für mich aktuell nicht erschwinglich oder sonstwie zugänglich. (Da war ja noch die Sache mit nem Ausweis für die Uni-Bibliothek, die ich endlich mal angehen wollte... :whistling:
) So weit der derzeitige Stand meiner Recherchen... :bye01