Ich glaube sogar, das dies immer noch das Sittenbild der Europäer ist. Es gibt Frauenhäuser als Zufluchtsort für unter häuslicher Gewalt leidenden Frauen und ihren Kindern (Jungen sind dort meistens nur bis zum 12. Lebensjahr erlaubt). Vergleichbare Männerhäuser gibt es aber kaum und erst seit Kurzem. Studien besagen, dass fast ebenso viele Männer unter häuslicher Gewalt leiden, also gedemütigt, beleidigt, bespuckt, gekratzt, mit Gegenständen beworfen und geschlagen werden. Aber noch weniger Männer als Frauen trauen sich, diese Vorfälle öffentlich zu machen oder gar zur Anzeige zu bringen aus Angst, als Schwächling zu gelten. In einer Reportage, in der es um eben dieses Thema ging, antwortete ein Mann, auf die Frage, wie die Polizeibeamten, bei denen er seine Frau wegen Körperverletzung anzeigen wollte, denn reagiert hätten, sie hätten ihn ausgelacht und gefragt "Ja, Sie sind doch ein großer kräftiger Mann, können Sie Ihrer Frau denn nicht Herr werden?" Eine Frau hingegen, die sich ihres Mannes, der sie über Jahre und Jahrzehnte hinweg schlägt und demütigt, entledigt, indem sie ihn umbringt, hat gute Chancen, mit einem milden Urteil davon zu kommen. Und einem Kind, das in der Schule von den anderen getriezt wird, rät man noch heute "Dann wehr dich doch mal!" Ob Menschen zu früheren Zeiten stärker unter häuslicher Gewalt gelitten haben, dürfte schwer nachzuweisen sein. Auch zu meiner Kindheit und Jugend, als es noch erlaubt war, seine Kinder zu schlagen und es so genannte "eheliche Pflichten" und damit nicht den Tatbestand der Vergewaltigung in der Ehe gab, sind vermutlich viel weniger Kinder geschlagen und viel weniger Ehefrauen vergewaltigt worden, als es ungeschlagene Kinder und respektvoll behandelte Ehefrauen gab. Allein die Tatsache, dass eine bestimmte Handlung erlaubt oder verboten ist, sagt uns ja nichts darüber, wie oft die entsprechende Handlung tatsächlich ausgeführt wurde. Sie sagt uns nur etwas darüber, wie die Gesellschaft zu der betreffenden Handlung steht, sie akzeptiert oder ächtet.