Panzerreiter
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Ich hatte einen Traum letzte Nacht. Ich stand auf einer weiten Ebene. Es war Nacht. Ein fahler Mond versuchte, das Land zu erhellen. Wolken zogen an ihm vorbei. Es regnete, ein kalter Wind blies. Er wehte von allen Seiten. Der Regen kam von vorne. Er kam von hinten. Er kam von den Seiten. Ich stellte den Kragen meines Mantels auf und duckte mich vor dem Regen. Ich stand auf einem Weg. Er führte in der Ferne in einen Wald. Ich folgte dem Weg, ich hoffte, im Wald Schutz vor dem Regen und dem Wind zu finden. Der Weg leitete mich in den Wald. Es regnete immer noch. Nasse Blätter fielen herab. Ich wischte sie mir aus dem Gesicht. Ich sah sie an. Es war Geld. Nass, schmutzig, welk. Es war wertlos. Meine Füße raschelten durch die nasse Masse, die den Weg bedeckte. Ich kam zu einer Lichtung. In der Mitte brannte ein Feuer. Ein Kreis aus Menschen stand darum. Sie blickten nicht in Richtung Feuer, sie blickten auf den Rücken des Vordermanns, ein endloser Kreis. Sie waren alle gleich groß, von gleicher Statur, in die gleichen Anzüge gekleidet. Im Schatten der Nacht waren ihre Gesichter nicht zu erkennen. Ich konnte nicht sagen, ob es Männer oder Frauen waren. Sie schrien sich an. Nein - jeder schrie den Rücken seines Vordermannes an. „Ich habe Recht!“ schrien sie im Chor. „Ihr habt Unrecht!“ Als sie mich bemerkten riefen sie mir zu: „Folge mir! Nicht den anderen!“ Sie blicken mich dabei nicht an. „Ich weiß es! Ich weiß es!“ skandierten sie. „Was wisst ihr?“ fragte ich. „Komm aus dem Regen, komm zu mir!“ Riefen sie. „Aber bei euch regnet es doch auch. Ihr wärmt Euch nur an Eurem Feuer.“ entgegnete ich. „Kommt lieber zu mir, der Wald hält den Regen ab.“ „Nicht mehr!“ riefen sie. „Die Kronen sind zu dünn. Komm zu mir! Geh nicht zu den anderen!“ Sie bückten sich und nahmen jeder eine Hand voll des modrigen Geldes, in dem sie bis zu den Knöcheln standen und warfen es ins Feuer. Die Flamme loderte auf, sie zwang mich zurück. Sie wärmte und trocknete nicht, sie versengte und verkochte. Sie half mir nicht, sie half nur den gesichtslosen Menschen. Ich taumelte geblendet zurück. „Was tut ihr da?“ fragte ich. „Er fragt! Er fragt!“ rief der Chor der gesichtslosen Menschen. Ihr Ton war nicht mehr fordernd, sondern hasserfüllt. „Jagt ihn! Verfolgt ihn! Er stürzt uns ins Unglück!“ Ich rannte davon. Der Weg führte zu einer Holztreppe, sie wand sich im Kreis die Bäume hinauf. Sie führte um die Lichtung der gesichtslosen Menschen herum, immer wieder, immer höher. Ich kam zu den Wipfeln der Bäume. Sie waren fast kahl. Dort waren Leute. Sie zupften Blätter von den Bäumen und klebten sie woanders wieder an. Sie waren stolz auf ihr Tun. „Mach es wie wir!“ forderten sie mich auf. Sobald sie sich umdrehten, um neue Blätter zu zupfen, welkten die angeklebten und fielen herab. „Seht ihr denn nicht, dass es sinnlos ist?“ fragte ich sie. Ihr Blick wurde feindselig. „Wir tun das Richtige. Wir tun, wie uns geheißen.“ zischten sie. „Mach mit, oder du stürzt uns alle ins Unglück“ „Wie wurde euch geheißen“ Von wem? Woher wisst ihr, dass es das Richtige ist?“ „Von den klugen Menschen. Sie sind weise. Wir retten den Wald, er schützt uns vor dem Regen.“ „Aber“, versuchte ich einzuwenden, „es sind doch keine neuen Blätter. Es sind tote Blätter, die ihr vorher woanders abgerissen habt. Ihr seid es doch, die den Wald vernichten! Seht ihr es nicht?“ „Er zweifelt, er zweifelt!“ riefen sie. „Sie wissen es, du Tor! Sie wissen es. Sie haben studiert, sie sind Doktoren!“ Sie brachen Äste ab und warfen damit nach mir. Es waren die Äste, an denen noch Knospen waren. Ich floh. Die Treppe führte weiter nach oben. Ich kam an anderen Menschen vorbei, sie rissen büschelweise Blätter von den Bäumen und warfen sie nach unten zur Lichtung. „Mach es wie wir!“ verlangten auch sie. „Es wärmt uns!“ „Nein!“ rief ich. „Es wärmt nur die Leute um das Feuer herum! Spürt ihr nicht, dass ihr immer noch nass und kalt seid?“ „Dann hilf uns! Mach mit! Wir brauchen mehr Blätter! Wir frieren nur, weil du nicht mitmachst! Du stürzt uns ins Unglück!“ Sie brachen Äste ab und warfen damit nach mir. Es waren die Äste, auf denen die Vögel brüteten. Ich floh noch weiter, die Treppe hinauf. Dort stritten Menschen. Sie schlugen mit Büchern aufeinander ein. “Warum streitet ihr?“ wollte ich wissen. „Weil sie Lügen verbreiten in ihren Büchern!“ Ich nahm die Bücher auf und las darin. „Aber es steht doch in allen das Gleiche.“ „Wie kannst du das sagen, du Narr!“ kreischten sie. Sie ließen voneinander ab und schlugen mich mit ihren Büchern. Ich ging zu Boden und versuchte, davon zu kriechen. Sie traten nach mir und stießen mich von der Treppe. Sie spuckten mir hinterher und fuhren fort, sich mit ihren Büchern gegenseitig zu erschlagen. Ich fiel, doch ein Sturm kam auf. Er packte mich, er wirbelte mich herum und hob mich empor. Ich raffte mich auf und vor mir stand ein alter Mann. Es war Gott. Er sah mich traurig an. „Ich gebe den Menschen, was sie brauchen, aber sie wollen es nicht.“ sagte er leise. Ich stolperte zurück und fiel. Ich fiel und fiel durch den Regen in die Dunkelheit. Mein Sturz wurde sanft gebremst. Ich sah auf und vor mir stand ein junger Mann. Es war der Teufel. Er hatte mich aufgefangen. Er war nicht böse. Er sah mich traurig an. „Ich gebe den Menschen, was sie wollen, aber sie brauchen es nicht.“ sagte er leise. Ich wandte mich ab. Ich war in einer Höhle. Ich sah eine Treppe. Sie führte durch einen steinernen Gang nach oben. Ich rannte hinauf und kam zu einer Tür. Sie war verriegelt, aber nicht von der anderen Seite. Ich hob den Riegel und stürzte hindurch. Ich war in einer Kirche. Sie war leer bis auf sie. Sie stand zwischen mir und dem Ausgang. Ein junges Mädchen von etwa 15 Jahren mit halblangen, dunklen Haaren und dunklen, unendlich traurigen Augen. Sie sah mich an. „Es hat immer Frager und Mahner gegeben,“ sagte sie müde. „aber leider hat nie jemand auf sie gehört.“ Sie löste sich auf und verwehte wie ein Nebelhauch im Wind. Und ich erwachte.