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Heribert von Werden
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Stand man im Mittelalter in dem Verdacht, Lepra zu haben, mußte man sich zur Lepraschau, dem "Examen leprosorum", begeben, das, weil bei der Untersuchung gute Lichtverhältnisse gefordert waren, nur bei sonnigem Wetter stattfinden durfte und von dem Stadtarzt, einem Bader und ein bis zwei Hebammen vorgenommen wurde. Nachdem der Name und das Alter des Lepraverdächtigen registriert waren, mußte dieser dann Fragen nach seinem Umgang und seinen bisherigen Krankheiten beantworten. Zudem wollte der Arzt wissen, wie häufig er aufstoßen müsse, und ob sein Sexualtrieb in letzter Zeit zugenommen habe. Schon Hildegard von Bingen († 1197) bezichtigte die Leprosen nämlich eines gesteigerten Geschlechtstriebes und warf ihnen Unzucht vor. Diese im Mittelalter allgemein vertretene Behauptung basierte auf der Körperfeindlicheit der Kirche, die sich die Lepra nur als Strafe Gottes für eine sündhafte Lebensführung vorstellen konnte. Natürlich ist und war der Leprakranke nicht "sexversessener" als Otto Normalverbraucher!Außerdem wurde der Lepraverdächtige gefragt, ob er sich träge fühle und an Juckreiz leide.Wenn der Arzt beim Lepraverdächtigen nichts entdecken konnte und ihn als völlig gesund entlassen mußte, hatte er ihm noch einen Schaubrief auszustellen, in dem er die "Reinheit" des Patienten bestätigte. Damit konnte der Lepraverdächtige seinen Mitbürgern beweisen, daß er wirklich nicht leprös war.Wenn sich jedoch herausstellen sollte, daß er an Lepra erkrankt war, wurde er als Aussätziger aus der menschlichen Gesellschaft ausgestoßen. Nach einem strengen Ritual wurde ihm in Gegenwart der Gemeinde ein Requiem gelesen, wobei der Leprose in manchen Gegenden während der Messe auf einer Totenbahre, mit dem schwarzen Leichentuch verdeckt, lag. (in: Die Klapper – Mitteilungen der Gesellschaft für Leprakunde e.V. 1/1986, letzte Seite!)Rechtmäßig gesehen galten die Leprosen schon im Frühmittelalter für nicht lehns- und erb-, aber für voll deliktfähig!Aus einem von dem Langobardenkönig Rothari († 652) im Jahre 643 erlassenen Gesetz erfährt man, daß der vom Richter und vom Volk als leprös Erkannte nicht nur aus seinem Haus vertrieben wurde, sondern auch das Recht verlor, weiterhin über sein Vermögen und seine Hinterlassenschaft zu verfügen. Als wenn er bereits gestorben wäre, teilten seine Erben sich sein Hab und Gut auf. Auch im Sachsenspiegel (13. Jh.) wurde betont, daß Aussätzige kein Lehen oder Erbe empfangen dürften. Diese rigorose Anordnung wurde erst im Spätmittelalter von einigen Ratsherren abgelehnt, die den Leprosen gern ihre Erbfähigkeit zugestanden hätten, um die Stadtkasse zu schonen. Denn dann hätten die reichen Leprakranken selbst für ihren Zwangsaufenthalt im Hospital aufkommen müssen.Die Heilmittel, die man gegen die Lepra anwendete, waren z.T. mehr als fragwürdig. So wurde z.B. ein Bad im Blut riesiger Schildkröten empfohlen.Als Kolumbus im Juni 1498 auf seinem Weg nach Amerika bzw. Westindien einen Zwischenstopp auf den Azoren machte, erfuhr er, daß auf einer der Inseln mit dem Namen Buenavista portugiesische Aussätzige Heilung suchten."Es gab nämlich hier eine Fülle von Schildkröten, die so groß waren wie ein Schlachtschild. Indem die Kranken das Fleisch dieser Schildkröten aßen und sich öfter in ihrem Blut wuschen, fanden sie Genesung. Die Schildkröten kommen in den Monaten Juni, Juli und August in unabsehbarer Zahl vom Festland her auf die Insel, um hier ihre Eier in den Sand zu legen." (in: Christoph Columbus – Dokumente seines Lebens und seiner Reisen, 1493-1506, 2. Bd., Leipzig 1991, S. 138)Andere rieten den Leprosen, die geschädigten Hautpartien mit Schwefel einzureiben, oder schwörten auf die indische Myrobalanenfrucht oder auf das Erdrauch-Kraut. Avicenna empfahl eine Schlangensuppe, die mit Porree, Dill und Kichererbsen zubereitet wurde. Seiner Meinung nach könnten auch Arzneimittel, die man aus dem Blut einer schwarzen Schlange herstellte, von der Lepra befreien. Der römische Arzt Galen hoffte, daß sich nach dem Genuß von Schlangenfleisch die Haut des Leprakranken wie bei der Schlange abschäle und die gesunde Haut zum Vorschein komme. Einige glaubten dagegen, daß nur das Blut einer Jungfrau von der Lepra befreien könnte!Falls das alles nicht half, blieben nur noch die vielen Heiligen wie der Heilige Georg, die Heilige Elisabeth, der Heilige Lazarus, der Heilige Jakob, der Heilige Johannes, die Heilige Katharina, der Heilige Nikolaus oder der Heilige Martin, die man um Genesung von der Lepra bitten konnte.Die mittelalterlichen Ärzte glaubten, daß man an der Lepra nur erkranke, wenn die Leber zuviel schwarze Galle produziere und die Milz nicht mehr in der Lage sei, diesen gefährlichen Stoff abzubauen. Denn diese nicht abzubauende Galle zerstöre allmählich den ganzen Körper und führe letztendlich zu den Lepraerscheinungen.Einige mittelalterliche Mediziner behaupteten zudem, daß dieser Überschuß an schwarzer Galle durch schlecht durchlüftete, übelriechende Wohnungen, durch dichte und nebelige Luft oder durch sehr kalte oder sehr warme Luftströmungen verursacht würde. Andere waren der Meinung, daß dieser schwarze Gallenüberschuß durch Fehler in der Ernährung hervorgerufen würde. So warnten sie vor dem Verzehr von stark gesalzenen, scharf gewürzten und fetten Fleischsorten wie die vom Schwein, vom Esel oder Bären und vor dem Verzehr von bestimmten Fischsorten, Schnecken, Erbsen, Bohnen, Linsen und von leicht verderblichen und verdorbenen Speisen.Anstecken konnte man sich ihrer Meinung nach durch den Schweiß, den Atem und den Speichel des Leprakranken und natürlich durch den Geschlechtsverkehr mit ihm. So wurde behauptet, daß eine gesunde Frau, die mit einem Leprosen verkehrte, ohne Ansteckung davon kommen konnte, wenn sie gleich nach dem Geschlechtsakt ihre Menstruation bekam. Ein gesunder Mann wiederum wurde angesteckt, wenn er mit einer Leprosen schlief oder mit einer gesunden Frau, die unmittelbar vorher einem Leprosen beigewohnt hatte und dessen verseuchten Samen noch in sich trug.In ihren Hospitälern durften die Leprosen ihrem früheren Handwerk nicht mehr nachgehen. Nur das Holzsägen war ihnen erlaubt. Betteln durften sie nur an festgelegten Tagen und an bestimmten Plätzen in der Stadt, so z.B. nicht auf den Märkten, in und vor den Kirchen und in der Nähe der Wirtsstuben. Als "arme Kinder Gottes", wie sie auch genannt wurden, lebten sie von großzügigen Stiftungen der Bürger.Diejenigen, die in den Leprahospitälern als Pfleger/innen arbeiteten und für die Kranken sorgten, verglichen ihre Tätigkeit mit dem Dienst an Jesus Christus.Während der ersten Kreuzzüge kümmerten sich die Geistlichen des Lazariter Ordens um die Aussätzigen. Ihre Vorsteher waren oft selbst leprös. Ihre klosterähnlichen Anstalten wurden das Vorbild für die abendländischen Leprahospitäler. Die Kranken wurden zu Enthaltsamkeit, Armut und Gehorsam verpflichtet und hatten ihre Gebetszeiten wie das Personal genauestens einzuhalten. Schon die Aufnahme erinnerte an die Mönch- und Nonnenweihen. Während der gemeinsamen Mahlzeiten wurde den Leprosen zudem wie im Kloster aus der Heiligen Schrift oder aus anderen frommen Büchern vorgelesen. Würfelspiele, Tanzen, Ruhestörungen, Mißachtung der Schlafenszeiten und der Gebetspflichten, Versäumen des Kirchganges oder sexuelle Beziehungen konnten - wie auch die obige Quelle deutlich zeigte - mit der Ausweisung bestraft werden. Und trotz all dieser harten Lebensbedingungen versuchten viele Arme und auch arbeitsscheues Gesindel, die sich mit Roßmist beschmierten, unter dem Vorwand, sie hätten Lepra, sich in diese Hospitäler einzuschmuggeln. Denn in den Leprahäusern gab es immer reichlich zu essen und zu trinken. Und das selbst in der Fastenzeit! Denn als "lebendige Tote" waren sie ja aus der christlichen Gemeinschaft ausgestoßen worden und hatten sich deshalb auch nicht an die Fastengebote zu halten. Quelle: http://www.kleio.org/de/geschichte/alltag/kap_X51.html