Medizin und Menschenversuche?

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AvK

Guest
Im "Kreutterbuch" von Pietro Andrea Mattioli findet man neben den üblichen Eigenschaften und Wirkungen der Kräuter und Pflanzen eine bemerkenswerte Passage, die ich Euch nicht vorenthalten wollte, da sie das damalige Verständnis zum Thema Gift und Gegengift sehr schön illustriert. In diesem Fall geht es um das Gift des blauen Eisenhut (napellus), eine der giftigsten heimischen Pflanzen, bei welchem eine Vergiftung auch heute noch fast immer tödlich ausgeht.Eine Vergiftung, die schon durch bloßen Haut-Kontakt mit der Pflanze möglich ist . Leider gehört der Eisenhut heutzutage zu den beliebten Garten und Parkpflanzen und auch ich hatte einmal in der Rechtsmedizin das traurige Erlebnis ein vergiftetes Kind zu untersuchen. Seither ist meinen Kinder der Eisenhut, wie auch andere Giftpflanzen, ein Begriff und "noli me tangere". Aber worum geht es in dem Text: In einem Menschenversuch im Jahre 1561 wird einem zum Tode Veurteilten Eisenhutextrakt verabreicht, und nach dem Auftreten der ersten Symptome ein Universal-Antidot verabreicht, mit fatalem Ausgang.... Man liest: "...wie solches Matthiolus mit nachfolgender Histori beweiset, welche zu Prag anno 1561 geschehen ist. Ihr hochfürstlich Durchleucht Erzherzog Ferdinand hat ein berühmtes Pulver wieder allerley Gifft, ist an vielen Personen bewehret worden, insonderheit an eienm zum todt verurtheilten Übelthäter. Diesem gab man erstlich arsenicum oder weiß Rattenpulver, darauff zittert er wunderbarlich, geschwall unter dem Angesicht, und gestellte sich, als drucket ihn die hinfallende Sucht, darauff gab man ihm Ihro Durchlaucht Pulver, alsbald würget er das Gifft von sich, ward also bey seinem Leben erhalten, und von der verdienten Leibsstraff befreyet. Da nun Ihr Kayserliche Majestät in obgedachtem Jhr zu Prag Hof hielte, wollte man obgemeldtes Pulver auch wieder das Eisenhütlein ...dieweil dieses Kraut vor allen anderen Gewächsen das ärgste Gifft ist....Von der Wurzel nahm man ein quintlein schwer zu Pulver gestossen, und mit Rosenzucker vermischt. Solches gab der Scherg in der Gegenwart Ihro kayserlicher Majestät...einem starken jungen Mann, der sein Leben mit Diebstahl verwircket hatte, und morgens sollte er gehenckt werden. Man gabs ihme aber in der Meynung, so er das Gifft durch obgenanntes Pulver überstehen würde, ihne loß zu lassen. Der arme Mensch nahme das Gifft willig, dann er wollte lieber also sterben, als offentlich vor allem Volck gehenckt werden, dazu hoffet er , es würde ihme gelingen wie dem ersten der das arsenicum...eingenommen hatte. Als er nun das Gifft zu sich genommen, saß er bey anderthalb stund in der warmen Stuben, und fühlet nichts sonderliches von dem Gifft. Da vermeynten die Doctores,das Böhmische Eisenhütlein wäre nicht so gifftig...darzu achteten sie, dieweil das Kraut schon in Stengel getreten, Blätter, Blumen und Saamen getragen hatte, der Wurzel wäre die Kraft nicht wenig entgangen, derhalben sahen sie für gut an, man sollte der Blätter und Blumen beydes zusammen ein halb quintlein stossen, und es dem armen Sünder über das vorig mit Rosenzucker einzunemmen darreichen. Als solches geschehen, fühlt er noch in zweyen Stunden keine Beschwernuß. Nach gemeldten zweyen Stunden klagte er, das er am gantzen Leib müd werde, und sey ihme das Herz schwer und matt, doch redte er starck, und sahe frisch umb sich. Man greiffte ihm an die Stirn und Pulßadern, an der Stirn empfand man einen kühlen Schweiß, und der Pulß fieng an zu veschwinden. Da sich nun das Gifft dieser Gestalt genugsam beweiste, gab man ihme alsobald obgemeldtes Pulver wider das Gifft in Wein zu trincken. Da ers getruncken hatte, verwandt er die Augen scheußlich, sperret das Maul, krümmete den Halß, saß auf ein Stock, und wäre dißmal auf die Erden gefallen, wo ihne die Scherg nicht gehalten: dieweil besprengte man ihme das Antlitz mit Weinessig, und rupffte ihn bey den Haaren, da kam er alsbald wiederumb zu sich selbst, und machte sich unrein: darnach legte man ihn auff Stroh, alsbald klagte er, wie ihn ein Schauder oder Kälte anstiesse, nachdem übergab er sich, und speyete viel stinckenden Wust oder Gewässer auß, von Farben gelb und bleichschwarz, darauf sagte er, fühlet er Besserung, aber nicht lang hernach wendete er sich auff die andere Seiten, als wollter er schlaffen, da man ihme doch den Schlaff verbotte, starb also sanfft ohn alle andere Zufälle, gleicher weiß als wäre er entschlaffen: das Antlitzwurde ihme bleichschwarz..." zitiert aus P.A. Matthiolus " Kreutterbuch", hier in der Ausgabe Frankfurt 1586
 
Hier noch als Nachtrag die Pflanzenabbildung, hier aus einer späteren Matthiolus - Ausgabe, Frankfurt 1590, als Digitalisat:
normal_00783.jpg
Bildquelle:http://imgbase-scd-ulp.u-strasbg.fr/imgbase_lien/scdulp/H703/normal_00783.jpg
 
@jpk: danke für das Kompliment. Mir ging es ähnlich als ich das erste mal diese Seiten im Matthiolus gelesen habe. Ich habe damals nach diesem traurigen Erlebnis in der Rechtsmedizin nur mal aus Neugierde in das Kräuterbuch schauen wollen, was da unsere Vorfahren so für Erkenntnisse bezüglich des Eisenhutes hatten. Das was ich dann aber gelesen hatte entsprach fast genau den Symptomen , die ich kurz vorher in der Krankenakte des gestorbenen Kindes gelesen hatte. Aber so beschreibt Matthiolus es ja auch: eine tückische , extrem giftige Pflanze für die es kein Gegengift gibt. L.G. Anno von Köln
 
Aus gegebenem Anlaß, da in den letzten Tagen mal wieder die Kräuterheilkunde wieder sehr leichtsinnig und unbedacht ins "Rennen" gebracht wurde :cursing: , habe ich mir mal erlaubt diesen Thread mal wieder hervorzuholen. Ich denke damit dürfte jedem klar sein oder noch werden, daß keine Pflanze einfach nur harmlos und unbedenklich ist. Oder wie schon der gute alte Paracelsus in "Die dritte Defension wegen des Schreibens der neuen Rezepte" sprach: "
Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die dosis machts, daß ein Ding kein Gift sei
Und die moderne Toxikologie sieht es genauso...
 
Danke für den interessanten und schaurigen Beitrag! Diese Pflanze hatte ich auch mal im Garten, ohne zu wissen, dass es die giftigste Pflanze in Europa ist. Und Kinder sind schnell mal dabei, Blüten und Blätter von irgendwelchen Gewächsen in den Mund zu stecken. Ein Gartenmarkt wirbt damit, dass Eisenhut in keinem Bauerngarten fehlen darf. Dass diese Pflanze erlaubt ist, irgendwie unverständlich, scheinbar passiert zu wenig. Laut Wiki ist sie in China immer noch ein beliebtes Mittel, um unliebsame Mitbürger loszuwerden. In früheren Zeiten nutzte man sie auch, um Wölfe zu erlegen, daher auch der Name "Wolfskraut". Anbetracht dessen, dass sich wieder Wölfe in unseren Landen breit machen und auch Nutztiere (und nicht wenige) reißen, könnte die Pflanze auch außerhalb der Blumenbeete ihre alte Bedeutung zurück erlangen.
 
Erstmal danke Anno! Irgendwie gehn mir zur Zeit derartig interessante Beiträge echt durch die Lappen.... wenn man bedenkt, dass der Erste ja vom Februar ist.... :nein Ich behaupte jetzt einfach mal was, ohne dabei gewesen zu sein. Die Menschen haben mit Sicherheit früher schon um die Bedeutung und Gefahr des Eisenhutes gewusst, oder anderer Giftpflanzen. Sie haben nur nicht erklären können, warum sie müd wurden und langsam in den Tod hinwegdämmerten. Was ich meine, sie haben halt die chemischen Zusammensetzungen nicht gekannt. Eltern werden ihren Kindern Giftpflanzen gezeigt und sie mit erhobenen Zeigefingern vor diesen gewarnt haben. Der Vorteil den die Menschen früher den meisten von uns gegenüber hatten ist, sie haben einfach noch die Flora vor ihrer Haustüre gekannt. Ich schließe mich so gar nicht aus. Vielleicht hätt ich mal einen Eisenhut gepflückt nur weil er so schön aussieht. Zum Eisenhut habe ich auch noch einen Nachtrag: (Quelle: 'Kräuter aus dem Klostergarten' / Wissen und Weisheit mittelalterlicher Mönche von Hans-Dieter Stoffler) Walahfrid Strabo, Abt der Reichenau (838) hat in seinem poetischen Garten den Eisenhut beschrieben. Zunächst erzählt er die Sage, dass dieser aus dem Gäfer des Höllenhundes Kerberos entstanden ist, als dieser am Hügel Akonitos in Pontos von Herakles aus der Unterwelt herausgeschleppt wurde. Walahfrid bezieht sich in seinen Schriften übrigens auch auf Plinius d.Ä. Walahfrid warnt vor dem Gift des Eisenhutes, der wie der Schierling benutzt wurde, Personen hinzurichten oder zu beseitigen und um Speere und Pfeile zu vergiften. Walahfrid nennt den Andorntee als Gegenmittel.
 

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