Reenactment der spätkarolingischen Zeit.

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Ich pack das ganze jetzt einfach mal hierher. Zeitlich würde es ja besser in die Abteilung "Die Wikinger :wiki1 " passen, aber um genau die soll es hier nicht gehen. (Nicht zu wissen, wohin damit, ist dann bereits geradezu symptomatisch) Mich beschäftigt schon seit längerem die Frage, weshalb das Reenactment 9. Jahrhundert so einseitig von den Wikingern dominiert wird. Ist das nur in Deutschland der Fall oder gibt das gleichermaßen auch für unsere Nachbarländer? Was macht die Zeit der späten Karolinger für Reenactoren so uninteressant. Da in dieser Periode der Unruhe und des Zerfalles des fränkischen Großreiches gleichzeitig auch die Genese zu dem, was man später als Deutsch bezeichnen sollte, fällt, sollte es doch eigentlich eine spannende und lohnende Aufgabe sein, sich näher mit dieser Zeitstellung zu beschäftigen.
 
Eigentlich war mein Eindruck, daß die gesamte Karolingerzeit etwas stiefmütterlich behandelt wird (und ich hab echt nach Darstellern gesucht, weil ich dringend irgendwo abkupfern wollte :D ). Aber vermutlich gilt das für den "Zerfall" des Reiches noch viel eher als für den Höhepunkt, das stimmt sicher. Und ja, es wäre bestimmt eine interessante Phase.
 
Ich mache 8. und 10. Jahrhundert. Wenn man wissen will, warum die Karolinger so unterdargestellt sind, würde sich ein Blick auf Spielfilme lohnen, jedes Jahr ein Wikingerfilm, aber kein Film über KdG. :help Anders sieht es mit Literatur über Deutsche oder Franz. Geschichte, aus da liegt KdG ganz vorne.. Ist halt so, aber als ich angefangen habe gab es auch keine Ottonen jetzt tummeln sich einige in der Szene, aber auch ein paar Karolinger, wie Perchta, meist aber als Zweitdarstellung. Ist doch auch doof wenn allee VAs Wikinger betreffen,ab der Normalo Besucher nicht einmal wüsste was ein Karolinger ist. :heul
 
Das mit den Spielfilmen stimmt sicher. Man muß aber auch dazu sagen, daß die Wikinger, was Kleidung und Sachkultur betrifft, einfach gut erforscht und vor allem auch gut publiziert sind. Und sich ein Thema für die Darstellung zu suchen, zu dem man auch was nachlesen kann, ist ja nur verständlich. Auf der Ebene der Einsteiger ins Hobby hat es, denke ich, schon auch mit dem "Coolness-Faktor" zu tun ;), daß die Wikinger so populär sind. Viele Darsteller, das ist mir auch auf dem letzten Markt wieder aufgefallen, sind halt noch sehr jung. Da klingt "Wikinger" wahrscheinlich einfach aufregender als "Franke". Dazu kommt, vermute ich, die ganze Geschichte mit dem "Heidentum". Eine Menge Leute scheinen doch eine unüberwindbare Abneigung zu haben, eine dem christlichen Glauben angehörige Figur darzustellen. Aus ähnlichem Grund gibt es für die Karolingerzeit wohl noch vergleichsweise viele Sachsen-Darstellungen und so wenig Franken.
 
Sicherlich ist diese Andersreligion auch ein Grund. Es kommt auch dazu, dass die Grabbeigabensitte aufhörte, was uns viele Informationen nimmt an Alltagskultur, welche im Norden noch weiterläuft. Wenn da noch ein nicht überbaute Stadtwüstung, wie Haithabu dazu kommt… Ich selber fühle mich als gebürtiger Bielefelder geradezu zu einer Sachsendarstellung verpflichtet, obwohl die Unterschiede zu Franken und Sachsen marginal sind.
 
Ich hab gerade die Tage drüber gebloggt. Ich denke das ist so eine Kopfsache: Wikinger = wild, frei, ungebunden und viele und vorallem leicht zu findende Quellen(Haithabu/Birka) ausserdem die Kindheitserinnerungen an Wicki ;) also der Marlboromann schlechthin des Frühmittelalters. Karolinger/Franke ist dagegen fest in ein System eingebunden und gerade der Einsteiger hat wieder Angst vor zuviel Reglementierung. Witzigerweise wandeln sich ja auch viele Wikis. Als Einstieg erst der Brachialwiki aus dem dann später der einfache Händler aus Birka wird.
 
Das stimmt. Wikinger scheint tatsächlich eine sehr beliebte Einsteigerdarstellung zu sein. Im Laufe der Zeit verlassen dann aber einige diese Zeit/Region und machen zum Teil ganz was anderes.... ist bei uns auch so. Geht aber nicht so schnell. In Russland übrigens scheinen die Wikinger im Bereich Frühmittelalter übrigens genauso zu dominieren, gibt es davon scheinbar mehr als Slawendarstellungen.
 
Die angeführte Erklärungsmuster decken sich eigentlich recht genau mit meinen Beobachtungen. Aber wie sieht es mit Karolinger-Darstellern aus? Ich habe jetzt schon recht intensiv nach Mitstreitern in dieser Richtung gesucht. Bin aber nur auf die üblichen Verdächtigen gestoßen. (Das ist jetzt nicht abwertend gemeint). Wer da vielleicht an einer Zusammenarbeit Interesse hat, kann sich gerne auch per PN bei mir melden. Ist die Quellenlage denn tatsächlich so schlecht wie behauptet? Immerhin sind etliche Pfalzen archäologisch bearbeitet und im Gegensatz zum nordischen Kulturkreis kann man für Zentraleuropa auch auf einige Bildquellen zurückgreifen.
 
Hm. Vieleicht wirst Du über Buch- & Wandmalereien fündig...
 
Ich hab mir für meine Klamotte die Karolingerzeit sogar explizit deswegen ausgesucht, weil es dafür einen fertigen Leitfaden gab... also wikrlich was für die Lesefaulen. Leider kann ich bei den Darstellungen nicht weiterhelfen. Ich bin bewußt auf dem Stand "Grobes Frühmittelalter" stehengeblieben und habe nicht vor, mich davon noch einen Zentimeter weiter zu bewegen. - Von gulfaxi weiß ich hier im Forum, daß sie als Zweitdarstellung auch etwas Karolingisches im Repertoire hat; von ihr habe ich nämlich ein paar sehr wertvolle Tipps gekriegt.
 
Ist die Quellenlage denn tatsächlich so schlecht wie behauptet? Immerhin sind etliche Pfalzen archäologisch bearbeitet und im Gegensatz zum nordischen Kulturkreis kann man für Zentraleuropa auch auf einige Bildquellen zurückgreifen.
Die im Projekt "Deutsche Königspfalzen" bearbeiteten Pfalzen sind noch schwer ausbaufähig. Die meisten wurden nicht ergraben sondern nur wirtschaftlich oder entwicklungsgeschichtlich anhand von Regesten, Urbaren oder über Itinarien erforscht. Das Problem ist, das eine Großzahl entweder nicht exakt lokalisierbar ist oder das Ganze überbaut ist. (Ich bin gerade neben einer :D ) Die Fundlage, speziell der Kleidung, ist natürlich nicht so hervorragend wie etwa in Haithabu. Daher kombiniert die Forschung, was Kleidung angeht, Bildquellen wie etwa den Stuttgarter Psalter, mit archäologischen Funden wie eben Haithabu. Da fand auch ein reger Austausch mit den Karolingern statt (ok, nicht immer freiwillig), wie etwa das Bootskammergrab von Haithabu (Funde von fränkischen Schwerter Petersen Typ K, Zaumzeug, Sturzbecher...) aus der Zeit von 840-850 zeigt (Die Macht des Silbers- Karolingische Schätze im Norden) Ist also alles halb so schlimm wie das immer getan wird.
 
Die im Projekt "Deutsche Königspfalzen" bearbeiteten Pfalzen sind noch schwer ausbaufähig. Die meisten wurden nicht ergraben sondern nur wirtschaftlich oder entwicklungsgeschichtlich anhand von Regesten, Urbaren oder über Itinarien erforscht. Das Problem ist, das eine Großzahl entweder nicht exakt lokalisierbar ist oder das Ganze überbaut ist.
Eine schöne Ausnahme dazu, ist die Pfalz in Paderborn immer eine Reise wert!
 
Das mit der modernen Bebauung stimmt wohl teilweise. In Ingelheim kam z.B. auch einiges zu Tage. Oder in Lorch - auch wenn das ja mehr ein Kloster war. Also gefunden wurde da schon nicht ganz so wenig, es ist vielleicht nur etwas mühseliger die Hinterlassenschaften zusammenzutragen als in Birka oder Hedeby.
 
Der Vorteil von Haithabu ist eben der feucht,saure Boden in dem sich die Textilien wie eingelegte Gurken im Einmachglas hielten (abgesehen von der Verfärbung) ;-) Leider sind halt nur eine Hand voll karolingischer Pfalzen ergraben und über bedeutende Pfalzen wie Nimwegen, Soisson, Attigny und Tribur ;-) ist baulich und archäologisch fast garnichts bekannt
 
Die Bekleidung der Männer im FMA war relativ schlicht, es sei denn, man nimmt sich Karl den Großen als Vorbild, den Einhard eingehend beschreibt. Das Volk bestand überwiegend aus "Grauen Mäusen", außer Hiebwaffen in entsprechendverzierten Scheiden trugen die Männer (neben Speer und Schild) als Schmuck Gürtelbeschläge aus allen gängigen Materialien: Bein, Eisen, Bronze, Silber und Gold, ggf. noch Schnallen und Riemenzungen an Schuh und Wadenwickeln. Schon für die Kopfbedeckung fehlen einschlägige Hinweise. Die Frauen hatten da mehr zu bieten: Fiebeln paarweise in allen möglichen Ausführungen und Materialien, Gürtelbeschläge und -gehänge, bestehend aus Messer, Schere, Amulettkapseln etc. Die Darstellungen in der Buchmalerei betreffen fast ausschliesslich Adlige, kirchliche Würdenträger und Heilige und nicht das "gemeine Volk". Insoferrn fehlen auch hier historisch korrekte Darstellungen. Ein Problem dürfte auch sein, dass es im FMA kein einheitliches "Volk" gab, da dümpelten Sachsen, Franken, Alemannen, Bajuwaren et al. durch die Weltgeschichte. Da ist die Darstellung eines Wikingers doch viel einfacher: die kennt jedes Kind. Auch wenn die Hörmer an Helm und Gürtel nette Phantasieprodukte des 18/19. Jh. sind. Und Haithabu ist sauber publiziert, sicher auch gerade wegen seiner spektakulären Feuchtbodenfunde. Ich finde den Ansatz zur Rekonstruktion von Männer- und Frauenkleidung im FMA in "Die Kunde", Jahrgang 2005 ...Eine Frau darf keine Männerkleidung tragen, und ein Mann keine Frauenkleidung... von Dr. Dagmar-Beatrice Gaedtke-Eckardt PD durchaus überlegenswert.
 
Das mag im Prinzip schon richtig sein, Pfaffenbrunner, aber wie du ja selbst schreibst, bezieht sich das auf die Merowingerzeit (und auch da eher auf die Zeit vor dem achten Jahrhundert). Die Tracht der Karolingerzeit unterscheidet sich, zumindest soweit es die Frauenkleidung betrifft, sehr stark von der der vorangegangen Jahrhunderte. Im Stuttgarter Psalter gibt es, soweit ich mich erinnere, auch mindestens eine Abbildung von Bauern bei der Aussaat. Und eine Frauenfigur ist sogar schriftlich als "ancilla", also als "Magd" (was hier wohl eine Unfreie bedeuten dürfte) gekennzeichnet. Also so ganz richtig ist es nicht, daß man über die einfache Bevölkerung nichts aussagen kann. Einhard schreibt außerdem ausdrücklich, das Karl sich "nach Art des Volkes" gekleidet habe - also so, wie es bei den Franken (und den von ihnen beeinflußten Nachbarn) allgemein üblich war. Er will ja gerade betonen, wie einfach und wenig luxuriös sich der König gibt. Inwieweit man einzelne Völker jemals anhand ihrer Trachten unterscheiden konnte, wage ich nicht zu beurteilen. Auch innerhalb ein- und desselben Gräberfelds scheint es während der Merowingerzeit ja unterschiedliche Trachten nebeneinander gegeben zu haben. Aber ob diese nun auf verschiedene Ethnien, verschiedene Religionen oder unterschiedliche soziale Gruppierungen zurückzuführen sind, dürfte wohl kaum zu klären sein. Eigentlich hat man mit den Darstellungen aus dem Stuttgarter Psalter sogar ein unheimlich umfangreiches und ergiebiges "Bilderbuch" für die Karolingerzeit - das gibt es für die Wikinger nicht. Insofern sind die Wikinger-Rekonstruktionen ja eigentlich sogar sehr viel spekulativer, oder?
 

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