Stoff direkt in Form des Schnittmusters weben?

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Hendrik1975

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Mal eine Sache, die mich schon länger beschäftigt... Bei diversen Fragmenten findet sich an den Verbindungsnähten von zwei Stoffstücken eine seitliche Webkante an einem der Teile. Dann gibt's noch diese 5.000 Jahre alte Hose aus der Region China/Mongolei, bei der sich überhaupt keine Schnittkanten finden, sondern die komplett aus einem Stück passgenau gewebt wurde. Da stellt sich mir die Frage, ob sowas eventuell häufiger vorkam... Warum soll man auch Material verschwenden, welches hinterher weg geschnitten wird? Warum eine Schnittkante säumen, wenn sie als Webkante ohnehin schon versäubert wäre? Ich hab's ja bei meiner Tasche genau so gemacht. Nur die Breite und Länge gewebt, die ich brauche, die Seiten konnte ich direkt zusammen nähen, und die Kettfäden am Anfang und Ende waren funktionell auch mit verplant. Sofern wir jetzt nicht von komplexen Teilen reden, sondern von einfachen geometrischen Formen - ist es 'zulässig', von Vornherein das Schnittmuster fix und fertig zu weben?
 
Es kommt sicherlich auch auf die Zeit an. Es gab Zeiten, da schien Stoff/Materialsparen kein Argument gewesen zu sein. Das war sicherlich auch eine Art von Statursymbol. Im Frühmittalter sind die Schnitte von Tunika und Kleid recht einfach und bestehen aus vielen rechteckigen Stücken (Ärmel, Rumpf), die gleich auf die entsprechende Größe gewebt werden konnten und ich denke mal auch wurden. Keile kann man verlustfrei aus einem rechteckigen Stück Stoff schneiden. Auch bei den Hosenschnitte kann man durch geschicktes Hinbasteln der einzelnen Teile einen geringen Stoffverlust erreichen. Und die Reste braucht man immer zum Flicken von Löchern, da kann man bei Kindern gar nicht genug haben... Rechteckige Teile auf Größe Weben, kein Problem, schöne Webkante. Wurde sicherlich auch gemacht, mache ich heute ja auch, auch wenn das nun kein Argument ist. Alle anderen Formen, wie Keile, trapezförmige Ärmel oder Armkugeln (ich habe mal spaßeshalber Pullover nach modernem Schnitt für die Kinder gewebt) haben natürlich keine schönen Wegkanten, weil man bei Schrägen auch herausstehende Kettfäden hat, die man dann einzeln in den Stoff zurücknähen kann. Ist allerdings eine schönere und stabilere Kante als eine Schnittkante. Und es bleiben natürlich viele ungenutzte Kettfädenabschnitte übrig, so dass man auf diesem Weg mehr Materail verschwenden würde als wenn man geschickt zuschneidet.
 
die älteste Hose der Welt ist schon ein Knaller. Nicht nur das sie formgewebt ist, sie hat an den beanspruchten Stellen Bindungsarten die das Gewebe verstärken. Der Zwickel im Schritt ist nicht einfach eine Raute sondern hat Treppenstufen, eben weil die Weberei doch an Formen gebunden ist. Wenn Du mal nach "Hemd ohne Naht" suchst, kommst Du wiederum zu formgewebten "Klassikern". Maria soll ja für Jesus ein Hemd ohne Naht gewebt haben und im Verlauf der Geschichte ist dies immer wieder gemacht worden: https://www.steinhude-am-meer.de/f5-edit/?domain=www.steinhude-am-meer.de&show=detail&artikel=178 (Quelle : https://www.steinhude-am-meer.de ) Möglich ist vieles, die Frage ist immer macht es Sinn ? Stehen Aufwand und Nutzen im Verhältnis - denn die Menschen Damals waren ja auch nicht blöd ;) Aber um auf die Überschrift zu kommen, Schnittmuster sind eine relativ junge Sache und der Zuschnitt selbst, also die Armkugel und andere verschwenderische Details kommen erst auf, als Stoffe auf dem Flachwebstuhl entstehen und im großen Stil produziert werden. (Lohnweberei)
 
Ich lese gerade "Kleidung im Mittelalter" von Katrin Kania (aus der Bücherei, und Dienstag muss ich es schon wieder halb gelesen abgeben ;( ). Darin beschreibt sie die schrittweise Entwicklung der Kleidungsstücke. "Die frühesten Kleidungsstücke, die noch weit genug erhalten sind, um ihre Form zu rekonstruieren, sind formgewebte Stücke. Ein Beispiel dafür ist die Tunika aus Rønbjerg [7.-1. Jhd. v.d.Z.], die in einem Stück auf einem Gewichtswebstuhl angefertigt wurde. Die Ärmel sind mit Hilfe zusätzlicher Kettfäden direkt an das Stück angewebt, als Halsausschnitt dient ein Schlitz, der in der Mitte des Kleidungsstückes zwischen den Kettfäden verläuft. Bei formgewebten Kleidungsstücken bleibt als einzige Näharbeit, die Webkanten der Seiten und der Ärmel zusammenzunähen. Dadurch entsteht ein einfaches, meist weites Kleidungsstück mit weiten Ärmeln, das sich als T-Form beschreiben lässt" "An der Tunika aus Martres-de-Veyre [2. Jhd.] lässt sich der nächste Schritt in Richtung geschnittene und genähte Gewänder ablesen. Bei der Tunika wurden eine rechteckige Vorder- und Rückenbahn sowie zwei kleinere Rechtecke für die Ärmel separat gewebt. Die einzelnen Stücke wurden dann zusammengenäht. Statt eines richtigen Halsausschnittes bleibt ein waagerechter Schlitz zwischen Vorder- und Rückenbahn. Indem die verwendeten Teile separat gewebt und mit Nähten zusammengesetzt wurden, sind das zusätzliche Anfügen von Kettfäden und der kompliziertere Webvorgang zum Formweben nicht mehr notwendig." "Formgewebte und aus Stücken zusammengesetzte Tuniken wurden vermutlich nebeneinander hergestellt. Wie lange diese Periode andauerte, ist schwer einzuschätzen; die Tunika aus Martres-de-Veyre wird etwa in das 2. Jahrhundert datiert, die vollständig formgewebte Tunika aus dem französischen Bourges in das 3. Jahrhundert." "Wann der Zuschnitt von Kleidung begann, ist unklar. Allerdings zeigt bereits die Thorsberghose, ein Stück von etwa 175 u.Z., eine meisterhafte Ausnutzung der stoffeigenen Elastizität und das Wissen um körpernahen, aber gleichzeitig Stoffsparenden Zuschnitt." Quelle: "Kleidung im Mittelalter", Katrin Kania, S. 135 f.
 
@Anya - Mist, nun habe ich schon wieder vergessen, bei dieser Frage 'meine' Zeit und Region mit zu erwähnen. Mea culpa... Die Frage bezieht sich auf das frühmittelalterliche Skandinavien mit einer einfachen bis mittelständischen Darstellung. Ja gut, je nach Form kann es wirklich sinnvoller und materialsparender sein, die geometrischen Elemente sinnvoll anzuordnen und dann auszuschneiden. An den Webkanten wäre beim zugeformten Weben zumindest die Kante vom Schuss schon versäubert, die Kette müsste man hinterher noch einarbeiten. Ist zwar sauberer, dauert allerdings auch wesentlich länger als Umschlagen und vernähen. @Silvia - Der moderne Begriff 'Schnittmuster' ist natürlich in dieser Form nicht auf das Frühmittelalter anwendbar. Den benutze ich nur der Einfachheit halber für 'zugeformte Stoffteile' ;-) Ich hab da schon wieder das nächste schräge Projekt im Kopf, das zeichne ich nachher mal auf. @Fifill - Danke Dir für die Textpassagen. Das Buch von Frau Kania fehlt mir leider immer noch in meiner Sammlung. Da suche ich immer noch gebrauchtes Exemplar für einen vernünftigen Preis.
 
@Anya - Mist, nun habe ich schon wieder vergessen, bei dieser Frage 'meine' Zeit und Region mit zu erwähnen. Mea culpa...
Die Frage war allgemein gemeint und nicht an dich gerichtet und eigentlich auch keine Frage. Mittlerweile weiss ich schon, wo und wann du dich rumtreibst ;-)
An den Webkanten wäre beim zugeformten Weben zumindest die Kante vom Schuss schon versäubert, die Kette müsste man hinterher noch einarbeiten. Ist zwar sauberer, dauert allerdings auch wesentlich länger als Umschlagen und vernähen.
Bei zugeschnittenen Stücken macht man sich nicht unbedingt die Mühe jeden Faden einzeln zu vernähen, besondern nicht bei dünnem Stoff mit vielen Fäden. Einfacher oder doppelter Umschlag und versäubern. Solche Versäuberungen sind auch gefunden worden. Ich meine in "War and Worship" von Möller-Wiering sind Abbidlungen gewesen, aber ich kann nachher noch mal nachschauen. Die auf formgewebten Kanten werden immer stufig und sind nicht so stabil wie normale grade Webkanten, so dass ich sie immer auch umschlagen würde.
 
Die Idee war folgende:. Eine dieser Mützen, die aus 4 bzw. 6 oben spitz zulaufenden Teilen besteht. Man könnte nun diese Teile direkt aneinander weben (Kette verläuft in Pfeilrichtung), und den Schuss jeweils nur soweit führen, dass sich direkt die fertigen Formen ergeben. Kette auf Spannung, Schuss eher locker, so dass sich ein Querrips ergibt. Am Ende das Ganze entlang der Kette zusammen schieben, so dass die rot markieren Partien 'verschwinden', und alle Teile bündig aneinander liegen. Dadurch würden sich nur noch am Anfang und am Ende eine Kante ergeben, die miteinander vernäht werden müsste. Zack - Mütze fertig und nur eine Naht. Tipps, warum das eine Schnapsidee ist, nehme ich gerne entgegen :D
 

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Diese Formen weben wird sicherlich schwierig. Ich habe zwar nicht so viel Erfahrung in der Weberei, aber die Rundungen werden eher stufig, ob das dann noch gut aussieht... An den Rundungen müsste dann die Naht tiefer im Teil verlaufen um die Stufen auszugleichen, gerade in der Spitze könnte es damit sehr viel Material geben. (sehr dick)
 
Als Experiment, rein von der Idee, sehr interessant. Ich bin auf das Ergebnis gespannt. ^^
 
weil es überhaupt keinen Bege für so was in unserem Fundgut gibt ? Du verschwendest viel Zeit in Dinge die dann doch leider Fantasy sind. Vor ein paar Tagen hatte ich irgendwo Mützen mit viereckigen Grundriss und 4 Hörnchen obenauf gesehen, aber die kommen von einem anderen Kontinent. Aber ob die genäht oder an einem Stück gearbeitet waren weiß ich gerade nicht.
 
Meinst Du mit 'Fantasy' das Schnittmuster an sich? Also dafür gibt's aber mehr als nur einen Beleg... Meine wirre Idee, alles in einem Stück zu weben, wäre vermutlich allerdings wirklich sehr... unbelegbar kreativ :D
 
der Schnitt ist OK, kommt so zB in der Slawensiedlung Ralswiek in einer 4teiligen Variante vor. Nein die Technik ist es die mich stört.
 
Nicht nur da. So ein Schnitt ist - vermutlich weil er so einfach und logisch ist - schon lange vor den Wikis da gewesen. Ja, die Technik wäre sehr ausgefallen. Hätte ja sein können, dass so etwas irgendwo, irgendwann, und für irgendwas anderes belegt wäre. Wenn nicht, bleibe ich bei der klassischen Variante mit Schneiden und nähen ;-)
 
Ist zwar weder die richtige Region, noch die richtige Zeit, aber superspannend: 3000 Jahre alte Hose aus China, die aus drei Stücken besteht, die auf Form gewebt wurden! [media]https://www.youtube.com/watch?v=AX99SVz-EZE[/media] Quelle: Youtube
 
@Anya - Genau dieses Teil meinte ich in meinem ersten Beitrag mit '5.000 Jahre alte Hose' :D Vom Design her könnte man die problemlos auch heute wieder tragen ;-)
 
@Hendrik1975, deinen ersten Beitrag hatte ich schon wieder völlig vergessen ;-) Na, dann auf, wir schauen uns auch gerne Fotos von einer heute zu tragenden Version an :-D Faszinierend finde ich auch die verschiedenen Bindungsarten!
 
Irgendwie ist die Idee eine Mütze in der angegebene Form direkt zu weben spannend, aber entspricht dem modernen Denken.Es gibt im Fundgut des Frühmittelalters keinerlei Hinweise auf dieses Vorgehen. Schon im Frühmittelalter wurde Quantität gewebt, man denke an Vaðmál dass in größeren Längen und Standardmassen als Bezahlungseinheit genutzt wurde. 500 Jahre früher finden wir zumindestens noch formgewebte Tuniken, bei denen bei einem Ärmel angefangen wurde, der Korpus war dann quergewebt und das Webstück schloss mit dem anderen Ärmel ab. Die Technik benötigte hohen Aufwand und viel Zeit. Im hohen Atlas gibt es heute noch Frauen, die daraus ein Kunst machen, nämlich das "unnäthige Hemd, das Silvia oben erwähnte. Sie fangen bei der Geburt eines männlichen Erben damit an und sind mit seinem Eintritt ins Mannesalter damit fertig. Natürliche Webkanten zu nutzen ist eine andere Sache und durchaus vertretbar. Marled
 

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