Stottern im Mittelalter

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Viator

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Ich kenne aus der Phoniatrie (Stimm- Sprach- und Sprecheilkunde) verschiedene Hinweise auf stotternde Persönlichkeiten. Als Beispiel seien hier Moses und der griechische Redner Demosthenes genannt. Aber wie sieht das im Mittelalter aus? Gibt es aus dieser riesigen Epoche Dokumentationen, die auf ein Stottern hinweisen? Wenn ja - welche? Interessierte Grüsse, der Viator
 
[font='Lucida Sans, Monaco, Geneva, sans-serif']Hmm... [/font]also genaues weiß ich nicht, aber icch kann mir vorstellen, dass Stotterer ähnlich wie Aussätzige oder Krüppel behandelt wurden. :|
 
Hmmm... Ich nehme an, daß es etwas mit dem sozialen Status der jeweiligen Person zu tun hat. Allgemeines aus der Sprachwissenschaft: - Jeder Mensch stottert (hat keinen permanent durchgehenden Redefluss). - Jedes Kind hat in seiner Sprachentwicklungen Unflüssigkeiten. (bei einem regulären Sprachbeginn mit 2,5 - 3,5 Jahren, wenn der Wortschatz von 20 - 50 auf über 500 Wörter "exploiert".) Ausgehend von dem Denken eines Menschen im Mittelalter habe ich die überlieferten Beispiele von Moses (könnte bekannt gewesen sein; obwohl die Messe auf Latein gehalten wurde). Ich suche nach zeitgenössischen Belegen aus Berichten und Biographien des Mittelalters. Hat jemand den Malleus Maleficarum (den sog. "Hexenhammer") zu Hause und kann noch einmal nachschlagen? Hier findet sich beispielsweise einer der ersten Belege für das Tourette - Syndrom... Zurück zur Kernfrage. Wurde eine stotternde Person im Mittelalter wirklich wie ein Aussätziger behandelt oder war es Eurer Meinung nach eine charkerliche Eigenheit wie die Haar- und Augenfahrbe eines Menschen? viele Grüsse, der Viator
 
Hallo Viator, auch wenn Du schreibst, dass jeder Mensch stottert -ich habe es so verstanden, der eine mehr, der andre weniger- sind doch die, die weniger stottern in der Überzahl. So war es sicher schon immer. Also, sind die, die mehr stottern, etwas Ungewöhnliches. Das Mittelalter (insbesondere das frühe) war eine Zeit, die geprägt war von Aberglaube und dem Glauben, dass Gott Menschen mit Verstümmelung (=Behinderung in Geist und Körper) straft, wenn sie verfehlt haben. -Hier sind nicht Kriegsinvaliden gemeint.- Andersartige wurden als Bedrohung empfunden. Man wendete sich von diesen ab, damit man nicht auch noch von Gott gestraft wurde. Ich gehe davon aus, dass eine stotternde Person verschmäht und aus der Gesellschaft ausgeschlossen war, weil sie eben anders war wie alle anderen. Grüßle Julia
 
Hallo Julia, Mir ist es wichtig, daß wir unter dem Begriff "Stottern" das gleiche verstehen. Aus diesem Anlass habe ich aus dem Netz eine kompakte Definition herraus gesucht:
tottern ist eine Unterbrechung des Redeflusses durch auffällige Blockaden, Wiederholungen oder Dehnungen. In diesem Moment weiß der Stotternde genau, was er sagen möchte, er kann es jedoch nicht störungsfrei herausbringen. Häufig entwickeln Stotternde so genannte sekundäre Symptome, wie auffällige Verkrampfungen der Gesichtsmuskulatur oder zusätzliche Körperbewegungen, beim Sprechen. Andere Betroffene reagieren auf das eigene Stottern mit einem Vermeidungsverhalten oder der Taktik des Verschleierns. Beim Erstgenannten wird das Sprechen an sich weitgehend gemieden, was bis zu einem totalen gesellschaftlichen Rückzug führen kann. Beim Verschleiern werden zum Beispiel Füllwörter genutzt, um das Stottern zu umgehen. Oftmals werden während des Sprechens auch blitzschnell „schwierige“ Wörter gegen andere Begriffe getauscht, damit der Gesprächspartner das Stottern nicht bemerkt. Stottern kann zwar je nach Gefühlslage und Verfassung des betroffenen Menschen schwanken, dennoch ist Stottern eine körperliche bedingte Sprechbehinderung – keine psychische Störung. (Quelle: Bundesvereinigung Stotterer - Selbsthilfe in Köln; www.bvss.de)
Zum Mittelalter: Ich tendiere aus verschiedenen Gründen zu einer sachlichen Vorsicht. Es ist richtig, daß niemand auf Dauer flüssig spricht. Das belegen zahlreiche medizinische und linguistische Studien. Mein Anhaltspunkt im Mittelalter ist folgende Bibelpassage:
Mose aber sprach zu dem HERRN: Ach mein HERR, ich bin je und je nicht wohl beredt gewesen, auch nicht seit der Zeit, da du mit deinem Knecht geredet hast; denn ich habe eine schwere Sprache und eine schwere Zunge. {2 Mose.3,11} 3,11
Diese dürfte in jedem Fall eines der bekannten Beispiele gewesen sein, welches durch die Kirche in verschiedenen Sprachen unter das Volk gebracht wurde. Anhand der begleitenden Sprechängste kann ich das Gefühl der Ausgrenzung bei einem stotternden Menschen im Mittelalter in einzelfällen nachvollziehen. Ob im Rahmen des Aberglaubens eine allgemeine Ausgrenzung und Verfolgung von Stotterern statt fand halte ich auf einer sachlichen Ebene ohne Quellen für diskussionswürdig. :) Mich interessiert erst einmal, ob ihr im Rahmen Eurer Recherchen auf Quellen oder Hinweise gestossen seid, die auf ein Stottern oder eine Balbuties ((von lat. balbutire „stottern“) hinweisen könnten. Abschliessend noch eine Bitte: Können wir uns in diesem Thema ausschliesslich auf das Stottern und Poltern im Mittelalter konzentrieren. Sonstige körperliche Handicaps im Mittelalter (keine Invaliditäten durch Kampf & Co) machen das Thema zu weitläufig. :) bis bald, der Viator
 
Allgemeines aus der Sprachwissenschaft: - Jedes Kind hat in seiner Sprachentwicklungen Unflüssigkeiten. (bei einem regulären Sprachbeginn mit 2,5 - 3,5 Jahren, wenn der Wortschatz von 20 - 50 auf über 500 Wörter "exploiert".)
Stimmt so nicht ganz. Die Wortschatzexplosion ist früher. Mit 2,5 - 3 Jahren formulieren (normal entwickelte) Kinder bereits korrekte Mehrwortsätze, die Wortschatzexplosion ist um den zweiten Geburtstag herum (außerdem finde ich den Begriff "Sprachbeginn" etwas unglücklich gewählt, Spracherwerb wäre besser).
Mein Anhaltspunkt im Mittelalter ist folgende Bibelpassage: Zitat Mose aber sprach zu dem HERRN: Ach mein HERR, ich bin je und je nicht wohl beredt gewesen, auch nicht seit der Zeit, da du mit deinem Knecht geredet hast; denn ich habe eine schwere Sprache und eine schwere Zunge. {2 Mose.3,11} 3,11 Diese dürfte in jedem Fall eines der bekannten Beispiele gewesen sein, welches durch die Kirche in verschiedenen Sprachen unter das Volk gebracht wurde.
Wobei es hier wohl Auslegungssache ist, ob mit "schwere Sprache" und "schwere Zunge" wirklich das Stottern gemeint ist. Es gibt genügend andere Sprach- bzw. Sprechstörungen, auf die diese Beschreibung zutreffen könnte. Dass jeder nicht immer flüssig spricht, ist vermutlich jedem bekannt (wer hat nicht schon mal ein "äääh..." oder sowas in eine Äußerung eingefügt). Aber ich nehme jetzt einfach mal an, dass die ursprüngliche Frage sich auf die pathologische Sprechstörung bezieht. Im Zuge meiner Recherchen zum Mittelalter bin ich bisher auf nichts gestoßen, was irgendwie auf Stotterer hingedeutet hätte. Wie sie behandelt wurden? Hmm, gute Frage. Ich könnte mir eigentlich ganz gut vorstellen, dass man auch in der Zeit Interesse daran hatte, warum manche Menschen nicht so flüssig sprechen wie andere. Dass man feststellen wollte, woher das kommt oder was man dagegen tun kann (beim tonischen Stottern hilft ja zB Alkohol ganz gut :D )
 
Maja. ich gehe davon aus, daß nicht jeder weiss was ein "Toni" (tonisches Stottern) und ein "Kloni" (klonisches Stottern) ist. ;)
Begriffsklärung /Tonisch - klonisches Stottern für interessierte. Nehmen wir das Wort Mittelalter. Tonisches Stottern: Mi - Mittelalter. Klonisches Stottern: M-M-M-M-Mittelalter.Mischformen (sprich Tonsich - klonisches Stottern) sind möglich. Ich notiere für das Protokoll aus Vollständigkeitsgründen, daß eine Redeflusstörung (Stottern/ Poltern) so individuell wie ein Fingerabdruck ist.
Zum fachlichen; speziell zum Sprachbeginn und dem "Wortschatzsprung/ Wortschatzspurt/ der Wortschatzexplosion": Zwischen 2,5 und 3,5 jahren beginnen Kinder in der Regel (bei einem normalen Spracherwerb) mit komplexen Sätzen. Hier können lockere Wortwiederholungen auftreten weil "der Kopf schneller als der Mund ist". (Zitat aus dem Volksmund) Diese werden in der älteren Literatur als "Entwicklungsstottern" bezeichnet. Ich selber bevorzuge den Begriff "Entwicklungsunflüssigkeiten". Genaueres können wir bei Interesse im Off Topic Bereich diskutieren. **** Zur literarischen Quelle, der Bibel: Die oben geschriebene Interpretation, daß eine "schwere Zunge" eine Beschreibung für eine Stottersymptomatik ist, stammt von meinem damaligen Prof. für Phoniatrie und Pädaudiologie. (Phoniatrie = Stimm-, Sprech- und Sprachheilkunde. Pädaudiologie = Spezialist für kindliche Hörstörungen) Ich stimme meinem ehemaligen Lehrer nach reiflicher Überlegung zu. Gab es eigentlich prominente Stotterer (weiblich oder Männlich) im Mittelalter? Ich habe gerüchteweise etwas von Karl Martell (Karl der Grosse gehört).
 
Auch, wenn's rein gar nichts mit Stottern zu tun hat, Karl Martell und Karl der Große sind zwei verschiedene Karls. Zu meinem Verständnis,beim Stottern würde ich die Zunge eher als zu schnell als zu schwer bezeichnen oder?
Wobei es hier wohl Auslegungssache ist, ob mit "schwere Sprache" und "schwere Zunge" wirklich das Stottern gemeint ist. Es gibt genügend andere Sprach- bzw. Sprechstörungen, auf die diese Beschreibung zutreffen könnte.
Ohne mich mit der Materie auszukennen, soetwas würde ich auch vermuten. Gruß Ollie
 
Hallo Ollibert, Eine zu schnelle Zunge interpretiere ich entweder als eine impulsive Natur oder aber als Poltern viele Grüsse, der "daba - daba - di - dab - dab - dab - dab - dop" Viator
Zum Begriff: Poltern ist eine Störung des Redeflusses, bei denen der Betroffende unbewusste Beschleunigungen im Sprechtempo /Tachylalien hat. Dabei können Laute, Silben oder Wörter "Verschluckt" werden. Ein Poltern kann mit einer Stottersymptomatik gemeinsam auftreten.)
 

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