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Perchta
Guest
Typisch Markt-Mittelalter II: Das LC-Burgfräulein Anmerkung: "L.C." steht hier für die Initialen eines bekannten Groß-Anbieters von Mittelalter-Artikeln, die man in so ziemlich jedem Internet-Shop angeboten sieht. Dies ist der Versuch, ein paar beliebte Einsteiger-Rollen, über die im Forum schon mehrmals diskutiert wurde, kurz zusammenzufassen. Auch wenn bei Mittelaltermärkten normalerweise die Devise gilt "Erlaubt ist, was gefällt", schadet es doch nichts, über die historischen Hintergründe (oder das völlige Fehlen eines solchen) wenigstens ungefähr Bescheid zu wissen. Zumal auch viele Marktbesucher und Markt-Gruppen Wert auf historische Korrektheit legen möchten. Vielleicht ergibt sich für den einen oder anderen ja eine neue Anregung. Anmerkung: Da ich selber nur oberflächliches Wissen zum Mittelalter und keines zum Lagerleben mitbringe, bin ich für alle Ergänzungen und Korrekturen dankbar. Gerade, was häufige Fehler und verbreitete Klischees angeht. Hier geht es um Mittelalterkleidung für Damen aus den diversen Internet-Shops. Meistens tragen diese Modelle so schöne Namen wie "Krimhild", "Maid Marian" oder "Guinnevra". Da sich die diversen Gewänder nur schwer in einem Begriff zusammenfassen lassen, habe ich die Rolle in Ermangelung einer besseren Alternative mal "Burgfräulein" getauft. In erster Linie soll dieser Post eine Antwort geben auf die häufig gestellte Frage: "Ich hab mir da im Internet dieses Mittelalter-Kleid gekauft (Bild anbei). Welche Zeit ist denn das jetzt genau?" Die Antwort darauf wird notgedrungen immer gleich lauten: Keine. Oder vier oder fünf gleichzeitig. Es gibt keinen gängigen Internet-Shop, der tatsächlich Mittelalter-Kleidung einer spezifischen Epoche nach korrekten Schnitten von der Stange anbieten würde. (Einmal ganz abgesehen davon, daß die verwendeten Materialien meistens Baumwolle oder Synthetik und damit ohnehin falsch sind.) Nachdem ich selber so ein Kleid besitze, weiß ich ausnahmsweise mal, wovon ich rede. Zur generellen Entwicklung der Mode durchs Mittelalter gibt es ja genug Bücher, einen ersten kurzen Überblick findet man auch bei Wikipedia. Grundsätzlich kann man aber davon ausgehen, daß jeder Gesamtüberblick die riesige Vielfalt sehr vereinfacht darstellen muß. Vereinfachung ist natürlich in gewisser Weise immer auch Verfälschung. Gerade bei einem so heiklen Thema wie der Kleidung, an der sich teilweise für ein geschultes Auge die Zeit, die genaue Region und der persönliche wie gesellschaftliche Stand einer Person ablesen ließen, muß das besonders gelten. Insofern erklärt sich vielleicht von selbst, warum man "echte" mittelalterliche Kleidung nicht von der Stange kaufen kann. Ein paar ganz grundsätzliche Dinge für die, die ihre Internet-"Gewandung" vielleicht wenigstens ein bißchen mehr in Richtung "echtes" Mittelalter aufpeppen möchten: * Man trug nicht einfach nur ein Kleid. Kleidung im Mittelalter bestand praktisch immer aus mehreren Schichten übereinander, zumindest aber aus einem leinenen "Unterhemd" und einem (üblicherweise aus Schurwolle gefertigten) Überkleid. * Man findet bei Kleidern aus Internet-Shops die bizarrsten Formen von Schnürungen, die die oft recht unförmig geschnittenen Gewänder in Form bringen sollen: auf dem Rücken, unter den Armen, vorne, hinten, links und rechts gleichzeitig... Mal abgesehen davon, daß die meisten dieser Schnürungen kein konkretes Vorbild haben (außer "Herr der Ringe" vielleicht) - sie sind auch verdammt unpraktisch beim Anziehen! * Kleider mit angenähter Kapuze sind hundertprozentig pure Fantasy. * Frauen im Mittelalter trugen Kleider. Die Kombination Rock und Bluse ist also abzulehnen, auch wenn Marktbesucher sie für den Anfang gern wählen, weil man sich da aus dem eigenen Kleiderschrank problemlos was nett "Ambientiges" zusammenschustern kann. Letztlich helfen aber auch noch so schöne Trachtenblusen, Ledermieder und Unterröcke dabei nicht weiter - zum Mittelalter passen sie nicht. * Kopfbedeckung ist Pflicht. - Ja, ich weiß. Gefällt mir auch nicht. Aber korrekt wäre nun mal, daß die Haare außer Sicht gehören. Das ist fürs Frühmittelalter vielleicht noch nicht ganz so streng zu nehmen (obwohl es auch da prinzipiell gilt!), aber ab Hochmittelalter gibt's da eigentlich keine Ausnahmen mehr. Zumindest sollte man wissen, daß man, wenn man als Frau im Mittelalterkleid mit offenem Haar rumläuft, bewußt etwas falsch macht. * Und ein praktischer Hinweis: Meterlange Schleppen sehen toll aus - auf Fotos. Sich damit unters dicht gedrängte Publikum mischen oder damit nach kurzem Regenschauer würdevoll über den aus Dreck, Kies und Schlamm bestehenden Boden eines MA-Marktes schreiten sollte aber bloß, wer wahnsinnig gerne flickt und wäscht. Weiterführende Links: * Die Einstiegshilfe "Das erste Gewand" bei Tempus vivit bietet auch ein paar allgemeine Zeichnungen, die die grundsätzliche Entwicklung der Mode skizzieren * Viele lustige Zeichnungen auch bei Conventus Tandaradey, aus denen man sich sicher Anregungen holen kann. Links zu Threads, in denen ähnliche Fragen im Forum diskutiert wurden (nicht vollständig): * Shop für historisch korrekte Kleider? * Eine Frage der Zeit * Was könnt ihr mir dazu sagen * Frage zu meinem Kleid