"Unter dem Pflaster..."

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Finlir

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Mh, mal sehen, ob dieser Beitrag hierher gehört... Derzeit arbeite ich auf einer archäologischen Ausgrabung im Rahmen von Strassenbauarbeiten in einer Stadt, die zu Beginn der zweiten Hälfte des 14. Jh. Stadtrechte bekommen hat. D.h. wir befinden uns im Bereich der Hauptstrassen, die bereits direkt nach Stadtgründung gemeinsam mit Mauer und Toren angelegt wurde. In den letzten 1-2 Wochen haben wir den Bereich der Strasse untersucht die direkt am Marktplatz liegt und konnten dort recht viele Funde bergen. Warum schreibe ich das hier eigentlich? In einem Thread vor einigen Wochen kam mal das Thema auf, wie es wäre mal an einer Ausgrabung teilzunehmen und da dachte ich, vielleicht ist es auch interessant mal von einer Ausgrabung zu berichten. Auch da ich ja gerade mal von was mittelalterlichem berichten kann (was ja sonst nicht so meine Zeit ist). Wie sieht die Arbeit aus? Die Baufirma nimmt ca. 1.5-2m Erdmaterial und den obersten (heutigen) Strassenbelag ab bis wir auf das erste Strassenpflaster aus dem 16./17. Jh. stoßen. Danach treten wir in Aktion und legen in mühseliger Arbeit (mit kleiner Kelle oder ggf. auch Hammer, je nachdem wie verfestigt das aufliegende Material ist) grob das Strassenpflaster frei. Danach kommt der Feinputz um auch die letzten Reste und Erdkrümel vom Pflaster zu befreien. Dabei werden ggf. Funde sortiert nach den verschiedenen Schichten geborgen. Ggf. werden auch die Seitenprofile des aufliegenden Materials feingeputzt. Danach wird alles dokumentiert. D.h. fotografiert, gezeichnet und eingemessen. Danach das ganze von vorne um das darunter liegende Pflaster aus dem 14./15. Jh. freizulegen und zu dokumentieren. Wie sieht das ganze aus? Für Laien erstmal nicht spektakulär. Wir werden auch abwechselnd bemitleidet oder mit abfälligen oder merkwürdigen Kommentaren bedacht, da wir ja nix (sprich kein Gold) finden. Durch die Kanalbauarbeiten während des letzten Jh. ist das Pflaster auch bereits total zerstückelt: In der Mitte der Strasse ist das Pflaster komplett weg und jeweils bei Hausanschlüssen und sonstigen Baumassnahmen gestört. Was teilweise aber schön zu sehen ist, sind Fahrspuren im Pflaster die durch die konstante Befahrung mit beschlagenen Wagenrädern manchmal sogar in große Steine eingetieft sind. Was finden wir? Keramikscherben, teilweise in großen Massen und auch teilweise in größeren Stücken - bisher in der diesjährigen Kampagnie aber noch kein gesamt erhaltenes Gefäss. Tierknochen und -zähne, teilweise Kieferfragmente mit Zähnen. Recht oft Hauer von Schweinen. Der Rinnstein wurde wohl definitiv für Abfälle genutzt ;) Dann noch einiges an Eisenfragmenten. Nägel, Beschläge, Hufeisen, und entsprechende Fragmente. Lederfragmente (z.B. von Schuhsohlen), kleinste Glasfragmente.... Alles wird gewaschen/gesäubert und systematisch nach Befunden archiviert. Es ist eine mühevolle, unspektakuläre Arbeit mit teilweise viel Matsch, Schlamm und Sehnenscheidenentzündungen - aber die Grundlage für die Rekonstruktion des Alltags einer spätmittelalterlichen (Klein-) Stadt. Hoffe, der kleine Bericht findet Anklang .... Fragen willkommen.
 
Wie sieht die Arbeit aus? Die Baufirma nimmt ca. 1.5-2m Erdmaterial und den obersten (heutigen) Strassenbelag ab bis wir auf das erste Strassenpflaster aus dem 16./17. Jh. stoßen.
war das geplant? oder war der alte strassenbelag eher ein zufallsfund? was passiert mit den pflastersteinen? sind ja sicher ne ganze menge. und alle "einlagern" ist ja sicher auch nicht möglich bzw nötig.
 
Danke für den Beitrag Finlir! Ich finde das sehr interessant. Bei uns wird auch grad die Straße erneutert, aber keine Funde. Das alte Pflaster liegt bis zu 2 m tiefer? Da muss doch dann die Umgebung damals auch entsprechend tiefer gelegen haben?
 
Ich finde es auch druchaus interessant. Aber ich frage mich auch warum das Pflaster so tief unter der Erde liegt, hat man damals für die neue Pflasterung einfach was drübergeschüttet?
 
Finlir, danke für den Bericht und ich hoffe, Du plauderst noch etwas mehr aus dem Nähkästchen.... :p In Rom durfte ich einmal bei einer Ausgrabung zusehen. Bei den Arbeiten zur U-Bahnlinie C (die übrigens seit dem mal wieder streckenweise brach liegen) hat man auch eine gepflasterte Straße entdeckt. Es war wohl offensichtlich nicht immer so, dass vorhandenes Material für neue Bauten genutzt sondern verschüttet wurde. Was hinzu kommt sind Eruptionen über Jahre und immer wieder zuschütten von Müllbergen, neue Bauten auf vorhandene Grundmauern, was das Straßenniveau angehoben hat.
 
Danke dir für diesen interessanten Bericht :allah Ich hoffe ihr seid dort noch erfolgreich, vllt kannst du ja ( wennn du das darfst ) noch ein paar Fotos einstellen. :D grüße vom Donarson
 
Bei einer mittelalterlichen Stadtgründung ist es ja ziemlich klar, dass es dann eine Mauer, Stadttore und entsprechende "Hauptstraßen" geben muss. Es war mehr oder weniger geplant. Die Archäologie ist da aber auch immer auf das Wohlwollen von Stadtverwaltungen und Baufirmen abhängig - es wird oft genug einfach was neues gebaut und damit es schnell geht, sich nix verzögert und keine weiteren Kosten entstehen einfach alles alte weggebaggert... (wie z.B. der oben genannte Marktplatz - der wurde in den 80ern einfach komplettsaniert: alles weggehauen was da war *heul*) Es ist relativ normal, dass sich Innenstädte "hochwohnen". Aufgrund fehlender Maschinen ist es ja auch recht verständlich, dass man neues Pflaster einfach "drüberbaute" und zuvor nichts altes weggeräumt hat. Keller, die halbwegs begehbar waren werden mit der Zeit einfach immer tiefer, manchmal sieht man das ja auch an alten Häusern, dass kleine Fenster jetzt halb unter dem Straßenniveau liegen. Bekannt ist das Phänomen ja auch von Wurten (Norddeutschland) oder im vorderasiatischen Raum, wo es richtige Siedlungshügel gibt und man "wohnt" im wahrsten Sinne des Wortes auf jahrtausende altem "Schutt" (= Kulturschichten). Die Pflastersteine werden von der Baufirma zunächst geborgen und gesammelt... Die Stadt überlegt noch ob es eine kleine Ausstellung dazu geben soll oder was man sonst mit dem "neuen Wissen", den Funden und den Pflastersteinen anstellen könnte. Man könnte sie ja auch an anderer Stelle für eine begehbare Rekonstruktion o.ä. nutzen. Aber das ist alles noch nicht sicher. Und ist ja auch alles mit weiteren Kosten verbunden, was zur Zeit ja der entscheidene Grund für oder gegen so vieles ist. Die Dokumentation und die Funde sind erstmal in der Verantwortung des Landesdenkmalamtes. Freut mich, dass es InteressentInnen an dem Thema gibt ^^
 
Zu mittelalterlicher Städteplanung hab ich vor kurzem einen interessanten Bericht gesehen, es wurde anhand von Nürnberg(?) recht anschaulich erklärt.
 
Danke Finlir, da wird man doch gleich geduldiger, wenn die Baustellenampel auf *Rot* steht...
 
@ Fylgja: ;) Aber immerhin "rutscht" die Baustelle bei uns ja alle 1-2 Wochen eine Abzweigung weiter... soweit ich weiß gibt es derzeit gar keine explizite Baustellenampel. (Es werden immer nur ca. 20m geöffnet und nachdem wir diese bearbeitet haben wieder soweit mit Schotter verfüllt, dass man drüberfahren kann - die Baufirma will die nachfolgenden Kanalarbeiten "in einem Rutsch" machen, deshalb diese wirklich etwas skurril anmutende Vorgehensweise.)
 
Bei deiner Grabung ist die Ampelanlage weg. Da hat Fylgja freie Fahrt. Aber im Verlauf der nächsten 15 km zur Arbeit sind drei weitere Baustellenampeln, oder - es gibt ja Alternativen zwei Baustellenampeln und eine Umleitung... Ist da zur Zeit was offen? Sprich kann frau da mal hin, so Sonntags und Strassenpflaster von Anno dazumal angucken?
 
Gerade jetzt ist nur noch ein superkleines unscheinbares Stückchen auf. Man sieht nur ein bißchen Pflaster - aber letzte Woche z.B. wäre viel mehr zu sehen gewesen...sogar eine Abwasserrinne aus richtig großen Steinen. edit: Du hast eine pn :)
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Nochmal ein update... Bei jeder neu geöffneten Fläche bietet sich erstmal ein ähnliches Bild und wenn man genau hinschaut ist es doch spannend. An einer Stelle ist die Trennung zwischen dem ersten und zweiten Pflaster nicht zu erkennen.... was hat das zu bedeuten? Senken im Straßenpflaster - wohl eher unwahrscheinlich. Aber es ist interessant diese Befunde aufzudecken und mit jeder wegekratzten Schicht bietet sich plötzlich ein zusammenhängendes Bild. Was ich in der letzten Woche ziemlich spannend fand, war, dass auf einem Pflaster-Teilstück aus dem 16./17. Jhd. plötzlich sehr viele Eisenfragmente zum Vorschein kamen. Nichts "herausragendes" aber einfach komisch, dass auf ein paar Quadratmetern plötzlich mehrere halbe Hufeisen, Nägel, Fragmente von Beschlägen, Pfriemen (?), Schneidegeräten (?) liegen. Ihr seht es ist fragmentiert und korrodiert und somit wieder recht unspektakulär aber ist es nicht merkwürdig, dass man dieses "Material" einfach liegenläßt? Warum hat es niemand aufgesammelt und dem Schmied als "Rohmaterial" angedreht? Wenn wir nun entdecken, dass an dieser Stelle viel Eisen verloren wurde, dann haben die Menschen es damals sicher auch gewußt. Bin gespannt, ob es zu dieser Stelle noch weitere Erkenntnisse geben wird. Der weitere Fortgang der gesamten Untersuchung wird nun durch gewisse formale, organisatorische Rahmenbedingungen erschwert: Es gibt gewisse Interessen vor Ort, dass die Ausgrabung in den nächsten vier Wochen nur 30m vorankommt. Im weiteren Straßenverlauf soll (und darf) ebenfalls vorher keine weitere Fläche geöffnet werden. 30m sind für die Archäologie "zu wenig" für vier Wochen, d.h. wir könnten schneller sein. Nach den besagten 30m stehen noch 100m Fläche zur Untersuchung an. Diese soll anschließend ebenfalls in vier Wochen untersucht werden, da dann die offiziell angesetzte Zeit für die Untersuchung endet. Und am Ende dieser 100m liegt dann auch noch ein Stadttor, was 1. mehr Zeit für die Untersuchung kostet und 2. viel interessanter wäre dort nicht in ein paar Tagen "durchzuhudeln". Da sind so viele Interessen involviert... Stadtverwaltung, Anwohner, Geschäftsinhaber, Baufirma, Archäologie... es ist schlicht nicht möglich es allen recht zu machen...
 
Ich finde das hochspannend, aber während ich nur Zaungast bin, darfst Du auch in der Grube sitzen. Oder musst, zumindest hier war es die letzten Wochen ziemlich ungemütlich. Die Archäologen haben in Münster auch einiges in den letzten Jahren untersuchen können. Insbesondere die Ausgrabungen mitten in der Stadt kann man vom Zaun aus mehr oder weniger gut begleiten. Sehr schön konnte man bei der Grabung auf dem Domplatz zuschauen, momentan wird am alten Fischmarkt gegraben, leider von außen nicht gut einsehbar.
 
Ich verfolge den Thread mit großem Interesse...........Bilder wären sehr interessant !
 
Nochmal ein update...
Danke, Finlir!
Was ich in der letzten Woche ziemlich spannend fand, war, dass auf einem Pflaster-Teilstück aus dem 16./17. Jhd. plötzlich sehr viele Eisenfragmente zum Vorschein kamen. Nichts "herausragendes" aber einfach komisch, dass auf ein paar Quadratmetern plötzlich mehrere halbe Hufeisen, Nägel, Fragmente von Beschlägen, Pfriemen (?), Schneidegeräten (?) liegen. Ihr seht es ist fragmentiert und korrodiert und somit wieder recht unspektakulär aber ist es nicht merkwürdig, dass man dieses "Material" einfach liegenläßt? Warum hat es niemand aufgesammelt und dem Schmied als "Rohmaterial" angedreht? Wenn wir nun entdecken, dass an dieser Stelle viel Eisen verloren wurde, dann haben die Menschen es damals sicher auch gewußt.
Mal ne kleine These von mir. Vielleicht war Eisen zu dieser Zeit in so ausreichender Menge vorhanden und damit billig, dass man das gebrauchte einfach nicht nutzen musste.
 
Freut mich, dass es nochimmer "MitleserInnen" gibt :) Das mit den Bildern muss ich nochmal in Erfahrung bringen... vielleicht würde es sich anbieten damit noch etwas zu warten. Wenn sich die Gemüter etwas beruhigt haben (siehe meine Anmerkung zu den Rahmenbedingungen...) kann ich ggf. auch nochmal was aus der Tagespresse verlinken, wenn da mal wieder was zu finden ist.
 

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