S
Steffen
Guest
Es ist keine Frage, daß Christus, die Heiligen und der Teufel für die Menschen dieser Zeit leibhaftige Gestalten waren, die in das Leben des Einzelnen eingriffen und mit denen er in Kontakt stand: im Gebet, in Verzückung und Ekstase bis zur Wiederkehr der Wundmerkmale Christi am eigenen Körper. Oder auch, am anderen Ende der Skala der Begegnungsformen, als Geschäftspartner Gottes, so wie ein italienischer Kaufmann, der dem lieben Gott ein Konto errichtete, um ihn an Gewinn und Verlust der eigenen Firma zu beteiligen und schon im eigenen Interesse für hohe Gewinne und niedrige Verluste sorgen zu lassen. Zur Realität der mittelalterlichen Kirche gehörten beide, der Visionär und der Kaufmann, der auf seine Art vielleicht gar nicht weniger fromm ist als der Visionär. Zu dieser Realität gehört auch der Geistliche, der mit Raffinesse ein Wunder fingiert, um einen Strom von Wallfahreren - und Opfern - in seine Kirche zu lenken, zu ihr gehört auch der Bischof, der dem Betrüger dabei in die Arme fällt, und am Ende auch der Papst, der sich - vielleicht mit achtbaren Gründen - für die Duldung des Wunders entscheidet. (Quelle BR-Online.de) Die Vorstellung vom menschlichen Leben - das irdische Dasein als "Jammertal" Was ist der Mensch im mittelalterlichen Verständnis? Das Bild des Menschen ist im Mittelalter maßgeblich geprägt von der Exegese des Sündenfalls und bestimmt von dem Dogma der Erbsünde . Gestellt zwischen Himmel und Erde ist er auf der einen Seite das Ebenbild Gottes , auf der anderen Seite allzumal Sünder . Als "Krone der Schöpfung" lebte der "engelhafte" Körper des Menschen im Paradies in "Heiliger Schamlosigkeit". Durch Sündenfall und Erbsünde wird er jedoch ausgestattet mit Begierden, die ihn an einem gottgefälligen Leben hindern. Schwerwiegendste Folge des Sündenfalls war die " concupisenctia carnis " (die Begierde des Fleisches). Das sexuelle Verlangen wird nach dem " peccatum originale " zur Sünde, der nackte Körper zu ihrem Ausgangsort und die " nuditas " des Körpers zum Grund von Scham und Schuld. Es gibt eine eigene Literatur, die vom "Elend der Welt" und der "Verachtung" handelt, welche man der Welt entgegenzubringen habe, um des Heils teilhaftig zu werden. " Den ganzen Tag " über solle das Kirchenvolk seine Sünden bekennen und " unter Klagen und Tränen " Bußpsalmen beten , so heißt es in einer der frühesten und am weitest verbreiteten Predigtanweisungen (von Theodulf von Orléans, † 821). Diese Seelennot begleitet den Menschen sein ganzes Leben. Kaum war ein Menschenkind geboren, mußte man zusehen, es im rechten Augenblick taufen zu lassen, denn ungetauft gestorben kam es nach der Lehre der Kirche an einen Ort zwischen Himmel und Hölle, blieb ohne die Anschauung Gottes. Wurde es getauft, so mußte ein Exorzist, ein Teufelsaustreiber - immerhin die dritte Stufe der vier niederen Weihen, eine Durchgangsstufe für jeden Priester - mit einem Ritual tätig werden, damit nicht böse Geister den Taufakt stören oder gar unwirksam machen. Allein schon das Geborenwerden wurde als höchst beklagenswert empfunden: " Wer gibt meinen Augen als Tränenquell, daß ich beweine den bejammernswerten Eintritt in die Bedingungen menschlichen Daseins, beweine das schuldhafte Fortschreiten menschlichen Lebens, beweine das verdammenswerte Ende menschlicher Vernichtung? " Mit diesen Worten leitete kurz vor 1200 Lothar von Segni, unter dem Namen Innozenz III . Papst (1198-1216), sein Werk "Über das Elend menschlichen Daseins" ein, das in den nächsten Jahrhunderten bis zur Reformation eine überwältigende und für den modernen Menschen schwer verständliche Beachtung gefunden hat. Es gibt nur wenige mittelalterliche Bücher, die eine größere Verbreitung gefunden haben als dieses "niederschmetternde Buch" (Horst Fuhrmann). "Ich will das ausführlicher darlegen", fährt Innozenz fort und charakterisiert die Stufen von Geburt, Leben und Tod: "Geschaffen ist der Mensch aus Staub, aus Lehm, aus Asche, und was nichtswürdiger ist: aus ekelerregendem Samen. Empfangen ist er in der Geilheit des Fleisches, in der Glut der Wollust, und was noch niedriger ist: im Sumpf der Sünde. Geboren ist er für die Furcht, für den Schmerz, und was noch elender ist: für den Tod." Als eine Einstimmung auf ihr von Erbsünde und Lastern beflecktes Leben haben die Menschen jener Jahrhunderte diese Schrift aufgefaßt, und wortgewaltige Prediger haben aus ihr zitiert. Mit diesem Traktat steht Innozenz nicht alleine, es gibt im Mittelalter eine ganz Literatur über die "Verachtung der Welt" ( De contemptu mundi ). Die Welt als Jammertal , die Freude nicht zuläßt. Solcherart waren die Überzeugungen schon bei der Geburt des Menschen. Wie die Geburt gehörte der Tod zum Leben. Wichtig war im Mittelalter, wie man zu Tode kam, und die " Kunst des Sterbens " ( ars moriendi ) bildete eine eigene Gattung geistlichen Schrifttums, zunächst für den pastoralen und monastischen Bereich gedacht, später dem Laien an die Hand gegeben und häufig in der Volkssprache abgefaßt. Als "schöner Tod" gilt heute allgemein ein schnelles Sterben. Das Mittelalter hingegen schätzte die Einübung in das Sterben, das plötzliche Verscheiden wurde als schlimmer Tod angesehen. Morgens betete man zum heiligen Christopherus, daß man tagsüber nicht eines "üblen", eines unvorbereitenden Todes ohne die Sterbenssakramente der Kirche sterbe. Ohne Heilsmittel versehen zu sterben, war ein schlechter Eintritt ins Jenseits. Wer mit kirchlichen Strafen geschlagen war, mußte nach seinem Tod mit einem Platz im Fegefeuer oder gar in der Hölle rechnen. Die bedrängende Sorge um das ewige Seelenheil gab dem Leben oft einen düsteren Ernst. Diese Sorge und die irdische Hoffnungslosigkeit [vgl. Fakten 2: Lebensbedingungen im Mittelalter] hätten doch in den Menschen die Frage aufkommen lassen müßen, ob das Leben überhaupt lebenswert sei? Warum der Not nicht ausweichen durch Selbstmord , durch Freitod? Ein solcher Gedanke war bis in das Hochmittelalter den Menschen so gut wie völlig fremd. Schlimmste Leiden wurden ertragen, war doch der Selbstmörder, der sich willentlich um die Gnadenmittel brachte, verwerflicher als ein Mörder. Judas Ischarioth , der Verräter-Apostel, war der Prototyp des Selbstmörders, dessen Leib aufbarst, als er sich erhängte; der Feigenbaum, an den er den Strick geknotet hatte, verdorrte.( Quelle BR-Online.de) Als Diskussionsansatz habe ich mal diese beiden Artikel hiereingestellt, bitte denkt bei euren Einlassungen daran auch hier Rücksicht auf die einzelnen Glaubensrichtungen zu nehmen.