Das ist ein Widerspruch in sich.
Inwiefern?
Insofern, dass, wenn das Original nicht mehr vollständig - also nicht bis zum letzten Faden - erhalten ist, es schlecht fadengenau rekonstruiert werden kann. Woher weiß der Rekonstrukteur, wie diese Fäden waren, die er da so genau rekonstruiert, wenn er dazu keine vollständige originale Vorlage hat? Das ist ungefähr so, wie wenn ein Zeuge einen Täter bis zum kleinsten Muttermal genau berschreibt, obwohl er sich an ihn nur vage erinnern kann.
Demnach ist eine Replik übrigens eine nur vom Künstler selbst hergestellte Wiederholung seines Werkes, im Unterschied zu der von anderer Hand hergestellten Kopie. Mit diesem Wort (Kopie) könnte ich mich auch anfreunden, wenn es denn heutzutage nicht so negativ besetzt wäre.
Wikipedia ist bezüglich dieses Begriffes alles andere als eindeutig. Die obige Definition bezieht sich auf den Bereich der Kunst und mag für diesen Bereich auch angebracht sein. Wir bewegen uns hier aber nicht im künstlerischen Bereich, in dem der Schaffer des Originals noch in der Lage ist, weitere Repliken seines Werkes zu machen, sondern im geschichtlich/archäologischen Bereich, in dem der Erschaffer des Originals meist aus biologischen Gründen nicht mehr in der Lage ist, ein weiteres Exemplar mit eigener Hand zu erschaffen. Somit ist klar, dass die künstlerische Definiton des Begriffes "Replik" für uns untauglich ist. Wikipedia scheint um dieses Problem zu wissen, da sie bezüglich des Begriffes "
Replik" ja mehrere Möglichkeiten der Definition angibt. Für uns dürfte die zweite ("Nachbildung eines Gegenstandes") am ehesten von Interesse sein. Es wäre jetzt natürlich, bevor wir uns hier in eigenen Definitionsorgien ergehen, hilfreich, zu wissen, ob möglicherweise in der Archäologie oder einer artverwandten Wissenschaft bereits eine verbindliche Begrifflichkeit üblich ist. Ich selbst habe jetzt weder Fachbücher zur wissenschaftlichen Terminologie noch einen entsprechenden Fachmann zur Hand. Wer mindestens eines davon hat, möge sich bitte einbringen. Solange wir keine konkrete Auskunft aus dem geschichtswissenschaftlichen Bereich dazu haben oder - was durchaus im Bereich des Möglichen ist - diese Wissenschaft das Begriffsproblem selbst nicht zufriedenstellend geklärt hat, müssten wir selbst eine Definition finden, auf die wir uns einigen können - was Marled ja angestoßen hat. Ich für meinen Teil würde, aus dem Bauch heraus, den Begriff "Replik" besetzen mit "möglichst exakte, nach allen messbaren Parametern (Form, Material, Dimensionen...) Kopie des Originals, was naturgemäß detaillierte, zuverlässige(!) und vor allem vollständige Informationen zu eben diesen Parametern voraussetzt. Ohne ein gut erhaltenes Original oder eine verlässliche, exakte Beschreibung eines solchen Originals ist also nach meinem Verständnis eine Replik nicht möglich. Soweit ich das verstehe, stimme ich da mit Marled also mehr oder weniger genau überein. Im Begriff "Rekonstruktion" hingegen steckt für mich der Teilbegriff "konstruieren" drin. Also eine Art kompletter Entstehungsweg vom Planungsstadium an. Im Gegensatz zu einer Replik ist - für mich - eine Rekonstruktion bereits zu einem guten Teil experimentell. Eine Rekonstruktion kann ich dann in Angriff nehmen, wenn z.B. einige Informationen zu Originalparametern fehlen. Hätte ich die alle, könnte ich ja gleich eine Replik machen. Dabei ist es notwendig, eventuell fehlende Informationen anderweitig sinnvoll nachvollziehbar zu ersetzen. Entweder durch orts- oder zeitfremde Belege,die aber analoge Funktion haben (je näher am Original um so besser natürlich), durch Inter- bzw Extrapolation, oder auch schlicht durch
common sense, was eine durchaus nicht unseriöse Methode ist, solange sie sogfältig angewendet wird. Während also eine Replik eindeutig ein klares Abbild des Originals ist, handelt es sich bei einer Rekonstruktion um ein dem Original hoffentlich ziemlich nahe kommendes Bild, für dessen bestehende Form ich gute Argumente habe, wenngleich ich nicht in letzter Konsequenz beweisen kann, dass das/die Original(e) tatsächlich im Detail so ausgesehen oder funktioniert haben. Mit Rekonstruktionen arbeitet nach meinem Verständnis die experimentelle Archäologie. Um eine seriöse Rekonstruktion zu sein, ist es m.E. nicht notwendig, dass das Objekt nachweislich wie ein real existiert habendes Original aussieht. Eine Rekonstruktion ist, wegen der fehlenden Detailinformationen zum Original, stets zu einem gewissen Grade spekulativ. Ein Beispiel für den Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen - soweit ich das jetzt darlege - wäre etwa hier eine klare Replik
, die detailgetreu nach Fund gearbeitet ist, im Gegensatz zu einer Rekonstruktion,
bei der zwar Bildquellen aus dem Stuttgarter Psalter und Fragmente(!) karolingischer Schuhfunde zu Grunde liegen, aber wünschenswerte Informationen, etwa zum Verschluss oder zu Materialstärken, nicht verfügbar waren. Streng genommen ist übrigens auch das Schwert keine Replik, da das Material des Griffes (hier: Birne) bis auf den Umstand, dass es Holz gewesen sein muss, leider nicht mehr nachvollziehbar war, aber wenn wir es tatsächlich so päpstlich sehen, ist eine Replik historischer Vorlagen des Frühmittelalters nahezu vollständig unmöglich. Ich erlaube mir also, bei diesem Detail ein Auge zuzudrücken
Hier unterscheide ich mich mit meiner Sicht der Dinge vom Marleds Sicht dahingehend, dass ich einerseits, möglicherweise wegen meiner leidvollen Erfahrungen um die in vielen (nicht allen) Bereichen häufig klägliche Fundsituation im Frühmittelalter, nicht ausschließlich auf Funde als Quelle fixiert bin und andererseits einen intentionalen Unterschied zwischen Replik und Rekonstruktion betonen möchte. Die Formulierung:
Replik = im Aussehen und Material genauest möglich am Original, sprich Fund Rekonstruktion= im Aussehen und Material an einem oder mehreren gleichartigen Funden einer Region gleicher Zeit orientiert,
könnte man dahingehend verstehen, dass sowohl Replik wie auch Rekonstruktion grundsätzlich die gleiche Befundqualität zu Grunde zu liegen hat und bei der Rekonstruktion lediglich bewusst - aus welchen Gründen auch immer - eine gewisse Entfernung von diesen Originalparametern stattgefunden hat. Das ist mir zu nahe beieinander, um eine begriffliche Unterscheidung zu rechtfertigen. Ich würde eine bewusste Entfernung von gleichwohl bekannten Originalparametern eher als
Variation bezeichnen. Wenn ich mich
absichtlich von der Originalform entferne, dann ist das keine Re- sondern vielmehr eine Neu- oder Eigenkonstruktion. Eine Rekonstruktion entsteht meiner bescheidenen Meinung nach gerade aufgrund des
Fehlens einzelner Originalparameter. Meine Rekonstruktion entspricht damit zumindest teilweise eher dem, was Marled bereits als "Annäherung" bezeichnen würde. Meine "Annäherung" wiederum wird dadurch natülich weiter "nach hinten" verschoben. Eine bloße Annäherung kann ich im Gegensatz zur Rekonstruktion dann machen, wenn einzelne, kritische Originalparameter völlig fehlen und auch keine Rückschlüsse auf sie gezogen werden können. Wenn ich lediglich einzelne, für die Gesamtfunktion oder das Gesamterscheinungsbild nachrangige Details nicht zur Verfügung habe und ergänzen muss, so möchte ich dennoch von einer Rekonstruktion sprechen können, nicht zuletzt aus dem Grunde, dass sonst nichts eine Rekonstruktion sein könnte. Entweder es wäre eine Replik oder aber eine bloße Annäherung.
Habt ihr Vorschläge für bessere Begriffe?
Nein. Ich finde die Begriffe gut, lediglich in ihrer Auslegung stimme ich
zu einem kleinen Teil nicht überein. All diese Grübelei ist aber ohnehin für die Katz, wenn es tatsächlich in der Wissenschaft gültige Abgrenzungen für diese Begriffe geben sollte.