Eigentlich ein schottisches Volksmärchen. Für mich fällt Tom, der Reimer eher in die Kategoiie "Sagen und Legenden". Bildet Euch bitte selbst ein Urteil. Der Barde Thomas von Ercildoune, den man Tom den. Reimer nannte, lebte während der Regierung Alexanders III. von Schottland. Er soll die Gabe des Hellsehens besessen haben und die Leute glaubten, dies sei ein Geschenk des stillen Volkes (der Elfen) gewesen. Als nämlich Thomas einmal auf dem Huntly-Hügel am Abhang der Eildon-Berge lag, sah er eine Frau von so wunderbarer Schönheit daherkommen, daß er meinte, es müsse die Jungfrau Maria selber sein. Ihr Zelter war feurig und edel, und in seiner Mähne hingen neununddreißig Silberglöckchen,die er im Wind erklingen ließ, als sie vorüberritt. Ihr Sattel war aus Elfenbein, mit Goldschmiedearbeit überzogen. Sie hatte einen Bogen in Ihrer Hand und Pfeile am Gürtel. Sie führte eine Koppel von drei Windhunden mit sich, und drei Spürhunde liefen dicht hinter ihr. Sie wies die ehrerbietige Huldigung, die Thomas ihr darbringen wollte, zurück; so versuchte er auf andere Weise, sich ihr zu nähern, und wurde endlich ebenso kühn wie er vorher schüchtern gewesen war. Die Dame warnte ihn, er müsse ihr Sklave werden, wenn er fortfahre, sie zu bedrängen Und während sie so beieinander waren, verwandelte sich die schöne Dame in das häßlichste alte Weib, daß man sich denken konnte; ihre eine Seite war wie vom Schlagfluß gelähmt; ein Auge quoll ihr aus dem Kopf; ihre Gesichtsfarbe war schwärzlich-grau wie Blei. Seine ungezügelte Begierde hatte Thomas in die Gewalt der Hexe geliefert, und als sie ihn aufforderte, von Laub und Gras Abschied zu nehmen, konnte er nicht anders, als dem Befehl Folge leisten. Eine Höhle nahm die beiden auf, in der sie drei Tage im Finsteren fortzogen, zuweilen war das Donnern eines fernen Ozeans zu hören, zuweilen ging es durch Ströme von Blut. Schließlich tauchten sie wieder ans Tageslicht empor in einem wunderbaren Obstgarten. Thomas, der vor Hunger fast zusammenbrach, streckte seine Hand aus nach den köstlichen Früchten, die ringsumher an den Bäumen hingen, aber seine Führerin ließ es nicht zu, daß er welche nahm, denn dies seien die unseligen Äpfel, die den Sündenfall der Menschheit verursacht hätten. Sobald sie übrigens diese wunderbare Gegend betreten hatten und die zauberische Luft atmeten, war ihre frühere Schönheit wiederhergestellt. Darauf befahl sie Thomas, sein Haupt auf ihre Knie zu legen. »Der Pfad dort zur Rechten«, sagte sie, »bringt die Seelen- der Begnadeten ins Paradies; jener abwärts weisende viel benutzte Weg führt die Seelen der Sünder zu der Stätte ewiger Strafen; die dritte Straße, bei jenem düsteren Dorngestrüpp, geht zu dem weniger. schrecklichen Ort der Qual, von dem, Gebet und Messe die Gefallenen erlösen können. Aber siehst du noch jene vierte Straße, die sich durch die Ebene windet zu dem prächtigen Schloß da drüben? Das ist die. Straße ins' Elfenland, wo wir jetzt hin wollen. Der Herr des Schlosses ist der König dieses Landes, und ich bin seine Königin. Doch merke wohl, Thomas, lieber wäre es mir, ich würde von wilden Tieren zerrissen, als daß er erfahre, was zwischen uns gewesen ist. Daher bewahre das strengste Stillschweigen, wenn wir das Schloß betreten, gib auf keine Frage Antwort, und ich will dein Schweigen glaubhaft machen, indem ich sage, ich hätte dir die Sprache genommen, als ich dich aus dem Bereich der Mitte wegholte.« Sie zogen also weiter, kamen zu dem Schloß und betraten es durch die Küche; sogleich fanden sie sich inmitten einer so festlichen Szene, wie sie zum Hause eines großen Herrn oder Fürsten gepaßt hätte. Dreißig Hirsche lagen auf dem schweren Küchentisch, und zahlreiche Köche waren bemüht, sie zu zerlegen und zuzurichten, während riesige Jagdhunde, denen man die Eingeweide vorgeworfen hatte, das Blut aufleckten. Darauf kamen sie in die königliche Halle, wo der König seine liebliche Gemahlin ohne das geringste Mißtrauen aufnahm. Ritter und Damen, zu dritt im Reigen schreitend, befanden sich überall in der ganzen Halle, und Thomas vergaß alle Müdigkeit der langen Reise von den Eildon-Bergen her und beeilte sich, an ihrer Lustbarkeit teilzunehmen. Nach einer Zeitspanne, die ihm sehr kurz dünkte, kam die Königin zu ihm und befahl ihm, sich bereitzuhalten, in sein eigenes Land zurückzukehren: »Wie lange meinst du«, fragte sie, »bist du hier bei uns gewesen?« »O gewiß nicht länger, schöne Herrin«; antwortete Thomas, »als sieben Tage.« »Da täuschst du dich sehr«, sagte die Königin, »du bist sieben Jahre in diesem Land gewesen, und es ist hohe Zeit, daß du gehst. Denn wisse, Thomas, morgen kommt der böse Höllenfeind zu diesem Schloß, um seinen Tribut zu fordern, und ein so ansehnlicher Mann wie du könnte sein Begehren reizen. Ich möchte aber um alles in der Welt dich nicht einem solchen Schicksal aussetzen. Daher sollst du dich aufmachen und uns verlassen.« Diese schreckliche Kunde machte Thomas den Abschied vom Elfenland leicht, und die Königin brauchte nicht lange, bis sie ihn nach Huntly Bank zurückgebracht hatte, wo die Vögel noch immer sangen. Sie sagte ihm zärtlich Lebewohl, und um ihm zu Ruhm und Ansehen unter den Menschen zu verhelfen, verlieh sie ihm die »Zunge, die nicht lügen kann«. So kam Tom der Reimer bei den Leuten in den Ruf eines Propheten, ob er wollte oder nicht, denn er konnte nichts sagen, was nicht mit Sicherheit in Erfüllung ging. Thomas lebte danach eine Reihe von Jahren in seiner eigenen Burg in der Nähe von Ercildoune und wurde sehr berühmt durch seine Prophezeiungen, von denen einige bis zum heutigen Tag unter den Landleuten im Umlauf sind. Eines Abends schließlich, als der Prophet gerade den Grafen von March in seinem Hause bewirtete, ließ sich vom Dorf her ein Ruf des Staunens hören, weil ein Hirsch und eine Hindin, die den Wald verlassen hatten und sich entgegen ihrer Natur ohne Scheu bewegten, mitten durch das Dorf zu der Behausung des wahrhaftigen Thomas schritten. Der Prophet erhob sich sogleich von seinem Sitz, sagte seinen Gästen Lebewohl und ging mit dem Hirsch und der Hindin zurück in den Wald. Hier und da wurde er noch einmal von einigen wenigen, denen er sich zeigen wollte, gesehen, aber nie wieder hat er Umgang mit den Menschen gepflogen. Mehr Geschichten gibt es ein anderes Mal. Und bitte nicht vergessen - eine Geschichte lebt vom weitererzählen. 8) :bye01 vom Wegesrand einer Straße namens Leben, der Viator