Als Naturwissenschaftler (Biologie) stehe ich oft genug auf Kriegsfuß mit der "wissenschaftlichen" Argumetation oder Beweisführung anderer Forschungszweige, seien sie sie akademisch oder außerakademisch. Nicht jeder, der sich Gedanken macht oder sich Wissen welcher Art auch immer aneignet, ist damit automatisch ein "Wissenschaftler" Der Unterschied, über den ich mit diesen Nichtnaturwissenschaftlern regelmäßig aneinandergerate, ist die objektive, die faktische Beweis- oder Falsifizierbarkeit. In den Naturwissenschaften ist das vergleichsweise klar, wenn man einigen Modeströmungen in der aktuellen Physik mal absieht. Wenn eine physikalische Theorie besagt, dass ein Backstein fliegt, dann ist das leicht zu überprüfen. Das freilich bewahrte auch die Naturwissenschaften nicht vor allerlei falschen Überzeugungen, die trotzdem jahrhundetelang als "wissenschaftlich erwiesen" galten. Dies hatte allerdings hauptsächlich zwei Gründe: Erstens, dass es schlicht die Methoden noch nicht gab, um die Theorien zu überprüfen Zweitens, und dazu gleich mehr, dass es gesellschaftliche bzw religiöse Zwänge gab, nach denen sich die naturwissenschaftliche Wahrheit gefälligst zu richten hatte. In nicht eindetuig messbaren Bereichen, z.B. der hier wichtigen Sozialwissenschaft, ist die Lage nicht binär (wahr/falsch) sondern eher stufenlos, analog. Gibt es in der Naturwissenschaft ein schwarz und ein weiß, so kommen in den Sozialwissenschaften noch unzähliche Grautöne dazwischen hinzu. Und genau da liegt der Hund begraben. Denn Versuche, soziale Diskussionen mit naturwissenschaftlicher Logik zu betreiten sind genauso wenig zielführend wie der umgekehrte Weg, naturwissenschaftlichen Fragen eine soziokulturelle Denkweise aufzuzwingen. Man kann Geschichte nicht berechnen. Im vorliegenden Falle hier vermeine ich eben dieses Problem zu erkennen. Es werden beide Denk- und damit Argumentationsweisen unzulässig vermischt, weshalb man sich im genannten Kreise dreht. Jede Argumentationsseite gibt sich dadurch, dass sie - ungewollt und unerkannt - falsche Beweisprinzipien verwendet, wiederholt Blößen, die sie angreifbar und somit als Ganzes beim Gegenüber unglaubwürdig machen. Ein Bespiel:
Punkt 1) Die geltenden Gesetze verboten es Frauen bei Strafe, Männerkleidung zu tragen oder Waffen zu führen. Damit könnte im Grunde die Diskussion bereits beendet sein. Ja, vielleicht hat es das doch gegeben, dann mit den entsprechenden Konsequenzen für diejenige Person. Fazit: Nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich.
Stimmt. Nun gehe ich aber mal naturwissenschaftlich an dieses Argument heran: Logische Grundlage: Der Umstand, dass alle Hunde Tiere sind, beweist noch lange nicht, dass alle Tiere Hunde sind. Soweit Konsens? Übertragen auf das Argument von Hendrik: beweist der (für sich offenbar ausreichend erwiesene) Umstand, dass es Frauen verboten war, Männerkleidung zu tragen automatisch, dass es auch Männern verboten war, Frauenkleidung zu tragen? 8o Rein damit wäre also Crossdressing im Geltungsbereich des genannten Gesetzes bestenfalls zur Hälfte widerlegt. Rein biologisch (Hallo, Heimspiel
) ist es anzunehmen, dass es alle möglichen sexuellen Varianten, die es heute gibt, auch früher schon gab, mit Ausnahme einiger technisch nicht umsetzbarer (Latex...). Warum? Weil es sich seit Jahrmillionen durch die Evolution zieht. Auch bei Tieren kommen Homosexualität, Bisexualität, Teleiophilie (inklusive der Variante Pädophilie), Sadismus und Masochismus etc vor. Einige sind in antiken Quellen eindeutig erwähnt und heute sind sie ebenfalls bekannt. Mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit sind sie von der Natur nicht zwischendurch für ein paar Jahrhunderte stillgelegt worden. Worum es also geht ist nicht die Frage, ob es die Grundvoraussetzungen dafür (hier: Crossdressing) gab, sondern ob es gesellschaftlich anerkannt war. Soweit sind wir ja immerhin in der Diskussion auch schon gekommen. Das ist schon mal weiter, als in vielen anderen Kreisen, wo, weil nicht sein kann was nicht sein soll, selbst die Grundlagen ja schon vehement bestritten werden. (Beispiel Pädophilie: Klassisches Bayernstammtischargument: "Dös macht ka Viech!" Ich, als Biologe: "doch...") Und nun kommt das eigentliche Problem, weshalb über die Jarhunderte die naturwissenschaftliche Wahrheit gegen die gesellschaftlichen Dogmen in der direkten Auseinandersetzung keine Chance hat und hatte und ihre Wahrheiten teils erst nach Jahrhunderten widerwillig akzeptiert werden (in manchen Kreisen auch bis heute nicht):
Emotion schlägt Vernunft. Das ist so, weil in Extremsituationen für rationale Überlegungen keine Zeit bleibt und intuitiv-impulsiv gehandelt werden muss. Es ist ein Überbleibsel aus der Verhaltensevolution. Die Amygdala ist einfach entwicklungsgeschichtlich älter als der Präfrontale Kortex. (Ich möchte jetzt nicht auf die Vernetzung und Funktionen der einzelnen Gehirnregionen im Detail eingehen, die natürlich etwas komplexer sind). Aber Wahrnehmungen werden im menschlichen Gehirn zuerst auf emotionale Relevanz geprüft und dann erst dem eigentlichen Bewusstsein zur Entscheidung vorgelegt, also quasi schon vorzensiert. Sich eine rein amoralisch-logische Betrachtungs- und Analysefähigkeit anzugewöhnen ist also nicht einfach. (Beispiel Mathematik / Statistik: 5.000 Unfalltote plus 4.000 Unfalltote sind 9.000 Unfalltote; ob Unfalltote etwas Schönes sind, stand nicht zur Debatte. Die klassische Psycho-Frage "würden Sie einen Menschen töten, um 2 zu retten?" würde ich als Biologe unabhängig von der Gegenfrage, wie realistsich diese Situation nun sei und mit welcher Wahrscheinlichkeit sie aufzutreten pflegt, kurz, ob diese Frage nicht aufgrund völliger Realitätsferne vollkommen bescheuert sei, vollkommen klar beantworten: "Natürlich nicht, denn es gibt ohnehin schon viel zu viele Menschen auf der Welt." Upps, nein, ich wollte natürlich sagen: "Selbstverständlich, das Ergebnis spricht für sich. 2 : 1, unterm Strich also ein Geretteter.") Nichtnaturwissenschaftlich, aber immer noch losgelöst von sozialen Zwängen betrachtet sähe die Antwort anders aus: "Kommt drauf an,
wen ich töten müsste, um
wen zu retten." Ich würde, Verzeihung, nicht meine Frau töten, um zwei Leute zu retten, die ich gar nicht kenne. Soziokulturell betrachtet, also unter Berücksichtigung von dem, was ich erwarte, das von mir erwartet wird, sieht die Antwort dann abschließend so aus: "Nein, niemals, denn ich würde nie einen anderen Menschen töten. Das lasse ich dann doch lieber das Schicksal (Gott?) entscheiden." Kurz: Ich gucke lieber weg und mache gar nichts. Nun hat diese Frage natürlich nichts mit der Crossdressing-Frage des Threads zu tun. Warum führe ich sie also trotzdem an? Nuja... Man nenne mir bitte die Antwort von den dreien, die ja allesamt unterschiedlich ausgefallen sind, die nun nachweislich "falsch" ist. Man erkennt, worauf ich hinaus will?