Hist. Instrumente und die passende Musik

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Viator

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Angeregt aus dem Thread Spielleute und Gewandungsfreiheit eröffne ich dieses Thema, damit die interessierten Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Gedankenaustausch um den historisch korrekten Instrumentenbau vertiefen können. Zu letzt ging es dabei um das Thema Schottische Dudelsäcke. Zur allgemeinen Geschichte der Sackpfeife hat Hellobello im Ursprungsthema einen kurzen Abriss geschrieben. *** Mich beschäftigt die Frage, wie gross die Abweichungen/ wie gross der Interpretationsspielraum bei historischen Musikinstrumenten sein darf. Die selbe Frage gilt auch die dazu gehörige Musik. Es wurde gerade in der frühen Geschichte sehr viel mündlich überliefert und ist daher nur verzerrt bis gar nicht erhalten. Wie geht Ihr bei einer Geschichtsnah interpretierten Darstellung eines Spielmannes damit um? Liebe Grüsse, der Viator
 
Ergänzung zu den Fragen: - Wie viel Spielraum gebt Ihr den interpretierdenden Künstlern in der frühen Musik in den verschiedenen Epochen? - Wie Authentisch muss die Musik... a) auf einem mittelalterlichen Markt b) auf einem Re-enactment /Living History Event c) auf einer Museumsveranstaltung ... für Euch sein, damit sie kein Ärgernis darstellt? Liebe Grüsse, der Viator
 
Huhu Viator, ich denke schon, ohne mich intensiv damit auseinandergesetzt zu haben, dass die Instrumente sich nicht wie ein Ei dem anderen geglichen haben. Das würde Serienproduktion vorraussetzen ;). Die guten Instrumente wurden bestimmt damals wie heut von Hand , nach den Wünschen des Musikers gefertigt und entsprachen natürlich auch dem Geldbeutel desselben. Heutzutage wird sich der ernsthaft interessierte Musiker/Spielmann damit auseinandersetzen inwiefern sein zu spielendes Instrument in die von ihm angestrebte Darstellungszeit/und dem Darstellungsziel passt. Zum Thema authentische Musik hatten wir schon mal ne Unterhaltung: Musik der Mittelalterszene und Musik des Mittelalters und Musik der Mittelalterszene kann aber durchaus sein, dass dem einen oder anderen noch was unter den Nägeln brennt zum Thema und da wäre es doch nicht schlecht weitere Meinungen zu hören/lesen
 
Original von Viator - Wie Authentisch muss die Musik... a) auf einem mittelalterlichen Markt b) auf einem Re-enactment /Living History Event c) auf einer Museumsveranstaltung
zu a) : Wurst. Hauptsache sie fetzt. Auf einem MA-Markt finde ich sogar Faun gut (ich finde Faun echt gut :D ) Dort ist es mir vollkommen egal ob Elektronik dabei ist, oder nicht. Sieht man ja auch schon an der Beleuchtung der Bühne. zu b) und c) Gleichermassen: Hierbei sollte wenigstens auf das nach Bildquellen belegbare Aussehen, und vorhandensein der Instrus geachtet werden (Natürlich mit änderungen wegen realer Spielbarkeit und Stimmung/Klang). Über Liedmaterial kann man natürlich streiten, hierbei finde ich eine Mischung aus vorhandenem Liedgut, sowie aus darauf aufbauenden Neukompositionen für angebracht. Natürlich nicht ohne das geneigte Publikum vorher auf die gemachten Kompromisse hinzuweisen.
 
Hallo Steffen, ich möchte mich mit meinen Fragen in erster Linie auf die Living History und das Re - enactment konzentrieren, weil ich bisher keine Vorstellung habe, wie das mit der Musik in diesen Sparten gehandhabt wird. :rolleyes: Wenn jemand bei seiner Gewandung sehr viel Wert auf Belegbarkeit und Authentizität legt - wie sieht es dann bei der Musik, den Instrumenten und der dazu gehörigen Aufführungspraxis aus? :) Liebe Grüsse, der Viator
 
huhu Wanderer ;), nun ja, da stehe ich wieder auf dem Standpunkt fehlender Tondokumente und die Vergleichbarkeit der Neumen mit der heutigen Notation. Ich will mal meinen, nein, ich meine dass die heutige geschichtsnahe Interpretation alter Musik wohl eher den leiseren Gruppen (z.B. Nimmerselich u.ä.) vorbehalten ist. Das lässt für mich dass Betrachten der Abb. aus Manesse oder der "Cantigas de Santa Maria" zu. Mir ist bis jetzt noch keine Abb. untergekommen wo Spielleute im Tarzankostüm mit 5 Säcken und drei Pauken zu sehen sind. Wobei letztere ja keine schlechte Musik machen müssen(weil das ja eh Geschmackssache ist ;)).
 
Original von Steffen Mir ist bis jetzt noch keine Abb. untergekommen wo Spielleute im Tarzankostüm mit 5 Säcken und drei Pauken zu sehen sind.
Eine Abbildung aus dem SpäMi ist mir bekannt auf der mindestens zwei Pfeifer mit, der Optik nach, recht lauten Säcken bei einem Festmahl aufspielen. Allerdings auch nicht im Tarzankostüm :) Aber bei normaler "Stubenmusik" scheint mir der Dudel eher die Ausnahme zu sein. Auffällig ist dabei das Fehlen (zumindest im HoMi) von grossen Percussionsinstrumenten (Davul) die scheinen damals noch nicht Mode gewesen zu sein.
 
Original von Viator ich möchte mich mit meinen Fragen in erster Linie auf die Living History und das Re - enactment konzentrieren, weil ich bisher keine Vorstellung habe, wie das mit der Musik in diesen Sparten gehandhabt wird. :rolleyes: Wenn jemand bei seiner Gewandung sehr viel Wert auf Belegbarkeit und Authentizität legt - wie sieht es dann bei der Musik, den Instrumenten und der dazu gehörigen Aufführungspraxis aus? :)
Ich habe zwar Nimmerselich schon 2 Mal live erlebt, aber so richtig kenne ich nur Karen Thöle und die nimmt es halt ziemlich genau. Sie stellt eine Kanonisse dar. Du kannst sie dazu ja mal befragen, sie ist sehr nett. Sie bietet eine Beratung für Musiker etc. auch auf ihrer HP an. http://www.mittelalter-recherche.de/person.html
 
Sackpfeifen haben je nach Region, Zeit und Bauweise auch einen Platz in der Stubenmusik gehabt. Es gibt für den Böhmisch - Bayrischen Bock sehr viele Stücke, die vor allem im alpenländischen Raum (Bayern und Österreich) seit alter Zeit gespielt werden. Zur Davul: Sie stammt urspünglich aus vorderasien (dem Orient) und wurde in der Regel zusammen mit einem Schalmeiähnlichen Instrument gespielt. So weit ich weiss, wurde die Davul später mit den Neomittelalterlichen Sackpfeifen kombiniert, weil sie neben den Pauken laut genug war, einen Rythmus unter diese Musik zu legen. :) Liebe Grüsse, der Viator
 
Liebe Beate, Ich kenne und schätze Karen als eine sehr fähige und kritische Musikerin. Sie hat mein Verständnis für die alte Musik mit geprägt. 8) Liebe Grüsse, der Viator
 
Oh, ihr kennt euch schon. ^^ Ich bin immer wieder begeistert von ihr. Letztes Jahr waren wir zusammen auf einer VA in Paderborn (mein Schnupperbesuch im Homi ;) ).
 
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Hallo Beate, kommen wir zurück zum eigentlichen Thema: Wie wird das bei dir in Haithabu mit Aufführungen von frühmittelalterlicher Musik gehandhabt? :) Die einzige annähernd authentische Fassung der Edda, welche an den Ursprung herranreichen könnte wurde von Mitgliedern der Capella Antiqua Bambergenis produziert. Leitung dieser Produktion war AFAIK Benjamin Bagby. Liebe Grüsse, Der Viator
 
So, jetzt habe ich extra das Veranstaltungsprogramm für Haithabu durchgeguckt, ob es da irgendwas mit Musik gibt und sogar was gefunden. (ausser uns sind ja noch mehr Gruppen da und ich kenne auch nicht alle, und z.Zt. kommen noch ständig neue Aktionen ins Programm)
Handwerk im Experiment: Flöten, Pfeifen und Trommeln - Die Musik der Wikingerzeit Wie klang die Musik der Wikinger? Wie hörte sich eine Flasterpfeife an? Der arabische Reisende At-Tartûschi schreibt nicht sehr schmeichelhaft über die Musik der Wikinger: »Nie hörte ich hässlicheren Gesang als den Gesang der Bewohner Haithabus, und das ist ein Gebrumm, das aus ihren Kehlen herauskommt, gleich dem Gebell der Hunde, nur noch viehischer als dies.« Wer sich vom Gegenteil überzeugen will, der kann am 26. und 27. Juli zu den Wikinger Häusern Haithabu kommen. An diesen Tagen läßt Kai Schaper auf selbstgebauten Instrumenten, die Nachbauten archäologischer Funde der Wikingerzeit sind, verschiedene Töne der Wikingerzeit wieder erklingen.
Quelle: http://www.schloss-gottorf.de/wmh/termine.htm
 
Der letzte Beitrag ist zwar schon ewig lange her, aber ein paar Dinge fallen mir zu der ursprünglichen Fragestellung ein: Mit der Musik ist es für mich wie mit allem in der historischen Darstellung: Wie viel A drin steckt ist jedem voll und ganz selbst überlassen - NUR darf man natürlich nichts falschem Etikett verkaufen. Soll heißen: Wenn man sich konkret "Mittelalter" auf die Fahne schreibt, dann sollte da auch einige Recherche und Authentizität dahinter stecken - genau wie in jedem Bereich. Ich persönlich kriege das kalte Kotzen, wenn ich eine echt tolle Truppe sehe, die schöne selbstgemachte historische Kleider trägt, tolle historische Ausrüstung benutzt, sich kurzum gut auskennt und einen hohen A-Anspruch hat, dann aber abends Akkorde auf der Gitarre schrammelt und irgendeinen Schmarn von Elfen und Zwergen singt (um mal ein Extrem-Beispiel zu kreieren). Ich habe an völlig unhistorischen Bands wie dem Duivelspack durchaus meinen Spaß, aber die behaupten ja auch nicht "Mittelalter-Musik" zu machen (wenn ich mich nicht völlig täusche). Aber zum Interpretationsspielraum: Eine Dozentin von mir (bei der ich ein tolles Seminar zu Sangspruchdichtung und Meistersang hatte) vertritt die Auffassung, dass Varianz der Lieder fester Bestandteil der Aufführungspraxis gewesen sein könnte. Sehr sehr viele Lieder sind uns ja aus mehreren Handschriften bekannt, und hier ist es die verschwindend geringe Ausnahme wenn der Text in mehreren Quellen identisch ist. Bislang war die Forschung immer davon ausgegangen, dass es "die eine" Autorfassung gegeben haben muss, die man aus den verschiedenen Quellen rekonstruieren müsste. Die Quellen wären dann also deshalb unterschiedlich, weil die jeweiligen Schreiber subjektiv ausgewählt, verändert und/oder Fehler gemacht haben. Ebenso könnte es aber eben sein, dass der Autor selbst das Lied immer wieder verändert und an Situation und Publikum angepasst hat. Durch die Auswahl an verschiedenen Strophen könnten z.B. auch jeweils andere Schwerpunkte gesetzt worden sein. Das würde vom Konzept her auch gut zu der mitlerweile verbreiteten und wissenschaftlich ziemlich anerkannten Auffassung passen, dass in den erhaltenen Noten deshalb keine Rhythmik verzeichnet ist, weil es keine gab (sprich: weil man improvisierte, sich mehr an Redefluss und logischer Satzstruktur orientierte wie beim modernen Gedichtvortrag), wobei man früher auch hier davon ausging, dass die Menschen dazu einfach noch nicht in der Lage gewesen wären. Wenn man also in beiden Bereichen (Text und Rhythmik) von einer absichtlichen und fest konzipierten Varianz ausgeht, dann spricht man den Menschen im Mittelalter einiges mehr an Kunstfertigkeit zu als in den traditionellen Modellen, die eher von Unfähigkeit und Fehlern ausgehen.
 
:thumbsup: ...jupps, glaub das hab ich Dir gerade auch so ungefähr im anderen Thread geschrieben...
 

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