Panzerreiter
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Nachdem die Karolingerexponate und -ausstellungen ja bekanntermaßen dünn gesät sind, haben meine bessere Hälfte und ich mal unsere Fahrunlustigkeit überwunden und 450 km Anfahrt in Kauf genommen. Spontan ein Zimmerchen für die Nacht zu finden ist in Aachen scheint's gar nicht so einfach, wer also mal so was plant: vorher reservieren. Die dortigen Hoteliers haben einen etwas spröden Charme. Auf die Idee, mal ein paar Telefonate bei den Kollegen zu tätigen, ob jemand noch ein Zimmer frei hätte, kam keiner. Aber nach etwas vergeblichem Rumgekurve (jetzt weiß ich, wie Maria und Josef sich fühlten) hatten wir dann eine Bleibe. Zur Ausstellung: Sie ist auf drei Gebäude verteilt, das Rathaus (Themenbereich "Macht"), das Centre Charlemagne (Themenbereich "Kunst") und die Domschatzkammer (Themenbereich "Verlorene Schätze"). Um eine dedizierte Karlsausstellung zusammenstellen zu können, wurden Exponate aus ganz Europa zusammengeliehen. Insgesamt haben die meisten großen Museen zu jeder beliebigen Zeit der europäischen Geschichte schon auf sich allein gestellt mehr zu bieten. Man ist unterschwellig geneigt, Illigs Theorie nicht ganz zu verwefen... Verlorene Schätze Dieser Teil der Ausstellung hatte mit Karl dem Großen nicht viel zu tun, der bekannte Sarg, ein paar Reliquare mit irgendwelchen (angeblichen) Teilen Karls drin, ansonsten Dinge aus völlig anderen Zeiten. Ach ja, das "Jagdmesser Karls des Großen", quasi ein Sax, war auch da. Ist aber auch eine andere Zeit, Kalle war da schon tot, als das Ding hergestellt wurde - wie so vieles, was sich mit seinem Namen schmückt und in Wahrheit viel jünger ist. Fotografieren ist hier übrigens erlaubt, wenn auch ohne Blitz. Was ich meiner doofen Digicam leider nicht klar machen konnte. Kunst Jetzt wurde es langsam interessant. Architektonisch ist der moderne Bau zwar völlig unambientig, aber der Inhalt war nicht übel. Vor allem jede Menge Evangeliare. Für die Recherche sind die Dinger zwar vollkommen unbrauchbar (bloß Text und den kennt im Grunde ohnehin jeder, der mal im Konfirmantenunterricht war), aber faszinierend sind sie trotzdem. Neben den Büchern noch ein paar nette Schmuckstücke und Gefäße, die man hier endlich mal im Original bewundern konnte statt immer nur aus Ausstellungskatalogen. Alles hinter Glas in der Vitrine, ganz klassisch. Allzu viel Didaktik oder Museumspädagogik war nicht zu erkennen, da hätte man mehr machen können. Einzige Ausnahme waren zwei mehr oder weniger bequeme Sessel mit Monitor, auf denen man sich von einigen fiktiven Leuten am Hofe (vom Grafen bis zur Magd) mal kurz was über ihr Leben und ihre Aufgaben erzählen lassen konnte. Sehr allgemein gehalten, so etwa 2 Minuten pro Person. (Und nur kruder Zeichentrick, keine LH-Darsteller, was sich heutzutage eigentlich aufdrängen würde.) Macht Das war definitiv das Highlight der Ausstellung. Im beeindruckenden Rathaussaal gab es einiges zur Geschichte Karls, zu seinem Schaffen, seiner Bautätigkeit, seiner Politik und nicht zuletzt zu seinem militärischen Wirken. Ja, jetzt kommen die Jungsspielzeuge, ich blühe auf! Auch hier halten sich, insgesamt gesehen, die Exponate in gewissen Grenzen, aber jedem, der sich mit der Karolingerzeit befasst, ist das klar. Trotzdem sind einige sehr schöne Stücke dabei. Höhepunkte natürlich das berühmte Ulfberht-Schwert aus dem GNM Nürnberg und ein sehr gut erhaltener Lamellenpanzer. Dazu einige Schmankerl wie etwa karolingische tauschierte Gürtelbeschläge (ja, so was gibt's! Wenn auch im Vergleich zu merowingerzeitlichen Tauschierungen - vergleiche die [*schleck, sabber, geifer*] Repliken von Sindri - sehr einfach und ehrlich gesagt ziemlich krude gemacht). Als einzig wirklich mutiges museumspädagogisches Merkmal stand eine lebensgroße Rekonstruktion eines fränkischen Panzerreiters herum. Um die bin ich natürlich sofort herumgeschlichen auf der Suche nach groben Schnitzern, fand aber keine. Was auch daran liegen kann, dass alles "typisch" karolingische mal lieber durch gesicherte, aber eben nicht "typisch" karolingische Sachen ersetzt wurde. Kettenhemd statt Schuppe, klassische wendegenähte Schuhe statt Tulpenstiefeln oder diesem komischen zehenfreien Zeugs, Spangenhelm statt "Karolingermorion", Schultergurt statt Kleeblattverteiler. Akzeptabel, da alle die genannten Merkmale durchaus in ihrer genauen Machart und Verbreitung diskutabel sind, wie leidgeprüfte Neo-Karolinger ja wissen. Falls da jemand auf Nummer sicher gehen wollte, dann ist es ihm gelungen, allerdings auf Kosten eines wirklich "typischen" Krolingers. Fazit: Für Karolingerinteressierte auf jeden Fall einen Besuch wert. Für andere wohl nicht unbedingt eine allzu weite Anfahrt wert. Wenn man ohnehin in der Gegend ist - ja. Die Stadt Aachen atmet ja durchaus Karolingerluft, den Dom kann man durchaus mal gesehen haben. Ich persönlich bereue es nicht, ein paar Tage Kurzurlaub dafür gemacht zu haben, auch wenn ich mit der Ausstellung selber an einem guten halben Tag durch war. Aber zusammen mit Frittenessen in Belgien, bisschen Sightseeing in der Eifel und mal nach Satzvey schnuppern - das passte schon. Trotzdem frage ich mich, wann sich eigentlich der mittlerweile jahrzehntelange Werdegang der Museumspädagogik endlich signifikant bemerkbar macht.