Sehe ich im Prinzip ähnlich, nur: Die Frage ist nicht, ob wir das machen, sondern wo wir das machen. Denn gemacht wird es ja, durch alle Schichten der Szene hindurch. Nur die Grenzen werden anders gezogen und anders begründet. Brillen, Gehhilfen, Rollstühle, das alles sind ja "organisatorische Notwendigkeiten" und wehe, wehe darüber wagt jemand zu diskutieren... Die werden gar nicht versucht, zu kaschieren - aber eben auch nicht durch eine historisch authentischere Variante ersetzt. Was etwa bei Gehhilfen kein Problem wäre. Und wer schlecht sieht, nuja, solche Leute gab es nun mal und in vorbebrillten Zeiten ... sahen sie halt schlecht. Erste Stufe der kaschierten Modernismen: die klassische mit Styropor im Holzkistchen gebaute Kühlbox. Habe ich jetzt auch noch keinen Authentiker gesehen, der darüber ernsthaft diskutiert. Da wird aber bereits in der von Silvia beschriebenen Weise kaschiert, auch wenn's nicht mit durchgehend historischem (Styropor) Material ist. Es gibt viele Kleinigkeiten, bei denen selbst der burgenbelebende Authentiker das ein oder andere Auge zudrückt, weil man darauf aus hygienischen/kulturellen/medizinischen/wasweißich Gründen nun mal nicht verzichten kann, darf und will. Jeder Leser ist gerne eingeladen, mal offenen Auges durch das eigenen Lager zu gehen und zu suchen. Aber wenn man alle diese Dinger nun in ihrer modernen, unverkleideten Variante hinstellt, was dann? Dann ist schnell das komplett versaut, was gemeinhin gerne als "Ambiente" bezeichnet wird. Ein durchaus ernstzunehmender Authentiker, mit dem ich meist, aber nicht immer gut kann/konnte, meinte einmal unumwunden, auch er wolle an so einem Wochenende einfach mal "den Mittelalterfilm schieben" und da würden diverse Dinge einfach stören. Ein Asthmabeatmungsgerät passt beim besten Willen in seiner modernen Form nicht in ein belebtes Museumsgrubenhaus. Muss aber nahe und greifbar sein. Also wird's halt versteckt - wo ist das Problem? Und wenn das für ein Beatmungsgerät recht ist, warum soll's dann für andere nützliche Dinge nicht billig sein? Weil dann, so könnte man argumentieren, vom Telefon über die Mikrowelle bis zur Spielekonsole für die Kinder das ganze Lager, muss ja nicht gleich ein Museumsdorf sein, ein Panoptikum aus Historismengrusel wird. Dinge, die man komplett modern lassen und nur verstecken muss, sind, so wie ich Dich, Silvia, verstehe, etwas anderes als Dinge, die ich offen herumtrage und zeige und mehr oder weniger überzeugend auf alt getrimmt habe. Sehe ich genauso. Aber für beides gibt es sowohl gute Gründe wie auch Grenzen. In meinen Beispielen oben vermische ich diese beiden Kategorien (verstecken-verkleiden) zugegebenermaßen. Aber nicht ohne Grund. Denn die Grenze zwischen beiden ist fließend. Die Daunendecke hinter einer Zeltplane, hinter einem Vorhang oder hinter einer handgenähten Hülle aus Leinen/Wolle zu verbergen - das ist im Grunde doch Jacke wie Hose. Hautptsache, man sieht das moderne Ding nicht. Die Frage, die man sich stellen muss, beginnt weit vorher: Wie authentisch will ich ein paar Tage leben? Leben, nicht aussehen wohlgemerkt. Will ich mir das Experiment oder, für erfahrene Mittelalterjunkies, das Erlebnis richtig geben? Dann hat auch das offen und ehrlich gezeigte Moderne keine Rechtfertigung. Oder mache ich Abstriche? Und wenn ich Abstriche mache, warum sollten die dann versteckt, verkleidet oder offen gezeigt werden? Will ich, für wen auch immer, eine Illusion aufrechterhalten? Auf klassischen Mittelaltermärkten etwa ist genau das nämlich das Ziel. Da lagert man nicht nur für sich, sondern auch für die Besucher, die eben in der Regel keine große Diskussion über so was führen möchten. Im Grubenhaus im Freilandmuseum - gute Frage. Aber wollen die Leute, die dorthin gehen, wirklich ehrliche moderne Kühlschränke, Gummistiefel und Schlafsäcke sehen? Bin da skeptisch. Also: nicht verkleiden, sondern alle diese unvermeidbaren Teile modernen Lebens nicht verkleiden sondern verstecken. Aber warum dann plötzlich nicht auch die Brillen, die Gehhilfen und die Gipsarme? Wir sind wieder beim individuellen Ziehen von Grenzen. Und da sehe ich das Problem: Jeder zieht gerne die Grenzen der Anderen.