Das Thema reizt mich zum Philosophieren ?( Mal ein paar ungeordnete Gedankensplitter:
Die Überreste eines Menschen sind in erster Linie Objekt und nicht Person. Eine Wertigkeit erfahren sie durch erhaltene Willensbekundungen und die Wahrnehmung durch andere Personen - legitim vor allem durch dem Toten zu Lebzeiten nahestehende Personen.
Das sehe ich genauso. Allerdings mit einem Zusatzgedanken: Was mit meinen Objekten nach meinem Tod geschehen soll, verfüge ich in meinem Testament. Das bedeutet, dass Objekte aus meinem Besitz post mortem auch durch
meine eigene Wahrnehmung und Willensbekundung - prae mortem - eine Wertigkeit erhalten. Eine Wertigkeit, die nach unseren momentanen Prinzipien ja gesellschaftlich bindend ist. Nun gehe ich davon aus, dass ein normaler Mensch, soweit er es nicht anderweitig verfügt, seinem eigenen Körper eine große Wertschätzung entgegen bringt. Ergo gehe ich davon aus, dass er zumindest möchte, dass seine Überreste nach seinem Tod würdevoll im weiteren Sinne behandelt werden. Sollte es anders sein, so wäre das innerhalb der letzten Jahrhunderte eine signifikante Abweichung der gesellschaftlichen Norm, die eine explizite Willensäußerung verlangt. Soll heißen: Wenn der Betreffende nichts anderes nachweislich verfügt hat, dann gehe ich davon aus, dass es seinen Wünschen am wahrscheinlichsten entspricht, die lokale und temporale Standardprozedur einzuleiten. Was bei christlichen Europäern eine christliche Bestattung wäre.
Eine ordentlich gemachte Präsentation menschlicher Überreste im musealen Kontext, kann von Einzelpersonen mit guten Recht als geschmacklos gewertet werden. Sie brauchen sie sich aber auch nicht anzusehen.
Sehe ich grundsätzlich genauso, ist aber in dieser Form derzeit gesellschaftlich nicht konsensfähig. Der aktuelle moralisch-juristische Komplex kommt zu dem Schluss, dass die Freiheit, sich Dinge nicht ansehen zu müssen, nicht ausreicht, um diese auch zu legitimieren. So zu beobachen etwa bei Nacktbildern von Kindern. Es gibt also sehr wohl Vorgaben, wer diese erstellt und aufgrund welcher sachlich begründbarer Logik, sei an dieser Stelle dahingestellt, die gesetzlich oder zumindest gesellschaftlich bindend sind und im Falle einer Übertretung auch strafrechtlich/gesellschaftlich verfolgt und geahndet werden. Diese Normen befinden sich in ständigem Fluss und unterliegen ständiger Veränderung. (Besagte Bilder etwa zählten jahrhunderte-, wenn nicht jahrtausendelang als Kunst und selbst wenn nicht, dann hatte niemand etwas an ihnen auszusetzen, solange darauf keine realen schlimmen Dinge passierten. Innerhalb weniger Jahre kippte diese entspannte Sicht in ein vollkommen gegensätzliches Extrem. Ohne nachvollziehbre, sachliche Begründung, wie ich anmerken möchte, es ist einfach eine irrationale moralische Mode.) Es besteht also die nicht unerhebliche Gefahr, dass unsere heutige Sicht der Dinge nicht mit denen von (exemplarisch) Herrn Brandt übereinstimmt, obwohl wir grundsätzlich demselben Kulturkreis angehören. Ob wir uns nun nach Herrn Brandt richten sollen oder er sich nach uns, ist eine Frage, die ich stellen, aber nicht beantworten kann. Faktisch wird er sich nach uns richten müssen, aber nur, weil wir als die herrschende, machtvolle Mehrheit unsere Sicht einfach als richtig definieren können.
Was machen wir mit Nicht-Christen?
Wir behandeln ihre Überreste so, wie ihre individuelle Religion - falls bekannt - es für richtig hält.
Wenn jeder gefundene Tote in Deutschland auch nur ein Urnengrab bekommt, könnte es knapp werden mit landwirtschaftlichen Flächen.
Weshalb da mal grundsätzlich eine gesellschaftliche Diskussion um den realistischen Umgang mit menschlichen, auch den eigenen, Überresten angebracht wäre. Das quantitative Problem dabei sind gar nicht die ausgebuddelten wirklich alten Knochen, sondern die zigmillionenstarke moderne Bevölkerung. Was früher im dünnbesiedelten Lande noch möglich war, geht heutzutage einfach nicht mehr. Diese Diskussion muss aber gesamtgesellschaftlich geführt und nicht auf dem Rücken etwa von Herrn Brandt ausgetragen werden. Der macht das Kraut nicht fett, für den findet sich auf jeden Fall noch ein Plätzchen.
Oder sollten nur Gebeine bestattet werden, die fast vollständig sind und/oder deren Namen wir kennen?
Eine Frage, die von der Problematik her mehr oder weniger deckungsgleich ist mit der Frage, wann genau schützenswertes menschliches Leben beginnt. Mit der befruchteten Eizelle, schon vorher (Bibel. Onan. Sünde.), erst nach der n-ten Zellteilung, erst mit der Geburt, erst wenn der Embryo anfängt, wie ein Baby auszusehen... ? Leidenschaftlich diskutierbar, gesellschaftlich beantwortbar, objektiv rational aber nicht. Nachdem ich zu letzterer Denkweise tendiere und darob allzu oft falsch verstanden werde, diskutiere ich das an dieser Stelle nicht weiter. Nur einen Hinweis möchte ich einwerfen: Ein großer Fehler der Gesellschaft ist es imho, dass die Leute zu sehr auf exakte Grenzen fixiert sind und darüber die ganzheitlichen Zusammenhänge übersehen. Das in Verbindung mit dem Wunsch nach absoluter Sicherheit und dem Unwillen, unveränderliche Dinge einfach hinzunehmen, schafft große Probleme, wo wir eigentlich nur kleine haben müssten.
[diverse Posts, die alle vollständig zu zitieren unsinnig wäre]
Ihr sprecht zurecht eine verbreitete Problematik der gesellschaftlichen Diskussion an. Es offenbart sich die Verlogenheit unsere gesellschaftlichen moralischen Normgebung. Die "Gesellschaft", oder besser bestimmte einflussreichen Minderheiten dieser Gesellschaft, erheben ihr eigenes Dogma zur für alle anderen gefälligst bindenden moralischen und im Idealfall sogar rechtlich Norm. Dabei werden mit fadenscheinigen Begründungen subjektive Vorlieben und Abneigungen als objektiv verkauft. Wenn wir etwa Bilder von Untaten, von Leid und von schrecklichen Dingen ächten und deren Besitz unter Strafe stellen, dann gilt das natürlich nicht für uns selbst, wenn wir das vollkommen straffrei in den 8-Uhr-Nachrichten verbreiten und sehen wollen. In diesem Falle formulieren wir einfach ein Recht auf Information und können, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, immer wieder ansehen, wie Leute aus brennenden Hochhäusern springen, weinende Eltern ihre blutüberströmten toten Kinder in den Armen halten und Leichenberge auf Äckern liegen. Wenn ein anderer jedoch Bilder besitzt, verbreitet oder ansieht, auf denen ebenso schlimme Dinge zu sehen sind, an denen wir jetzt gerade kein persönliches Interesse haben, dann definieren wir das als verwerflich und in hohem Maße strafwürdig. Analog dazu biegen wir uns unsere moralischen Grundsätze über die Würde von Verstorbenen halt bequem zurecht, wenn wir unsere Museen füllen wollen. Das ist verlogen. Entweder wir überarbeiten unsere gesamte Moralvorstellung oder wir setzen sie
konsequent um. Aber immer dann, wenn es der breiten Masse gerade passt, mit formalen Winkelzügen eine Ausnahme zu machen, halte ich für scheinheilig.