Ich wollte eigentlich nicht drauf raus, daß die Geschichte anders verläuft, als du sie dir ausgedacht hast, Zinalee, sondern eher darauf, was Hummelchen gesagt hat: Deine Story wäre so, wie du sie dir vorstellst, im "echten" Mittelalter wohl einfach nicht passiert. Also muß "dein" Mittelalter in "deinem" erfundenen Land wohl in einigen Details anders sein, eben
damit die Geschichte so ablaufen kann wie du sie gern hättest.
Aber WIESO würde das Bauernmädchen nicht auf den Gedanken kommen, gerade wenn man so ein Leben führen muss, wo man einfach mal so geprügelt werden kann, das würde mir doch zum Hals raushängen...?
Ja, aber das setzt doch voraus, daß die junge Dame a) ein Ziel hat, wo sie hin kann, also einen Ort, an dem sie nicht mißhandelt werden wird. Und b), daß sie
weiß, daß solche Mißhandlungen falsch sind. Im "echten" Mittelalter hätte ein Bauernmädchen nicht einfach davonlaufen können. Wo hätte es denn hin sollen? Wovon hätte es gelebt? - Das könnte in deiner Story anders sein, aber dann mußt du dir eben überlegen, wie und wieso. - Im echten Mittelalter wäre das Mädchen nach einer Vergewaltigung nicht auf die Idee gekommen, davonzulaufen. Es wäre wahrscheinlich zum Pfarrer gegangen und hätte diese furchtbare Sünde gebeichtet. - Und wie hätte sie denn vor Prügeln und sonstigen Mißhandlungen davonlaufen sollen? Sobald sie sich aus ihrer Familie, ihrem einzigen Schutz, hinaus begibt, ist sie doch zweimal hilflos - dann kann sie
jeder prügeln und vergewaltigen. Daß man als Frau körperlich mißhandelt wird, war zunächst einmal nichts, worüber man sich im Mittelalter entsetzt hätte. Kinder wurden von ihren Eltern geschlagen, Frauen von ihren Vätern, Brüdern, Ehemännern, und Hörige von ihren Grundherren... und da die Frauen es ja nicht anders kannten, wieso hätten sie da eine Mißhandlung nicht als normal empfinden sollen? Als Beispiel: Ich hab vor einer Weile mal einen Roman gelesen ("Die Teufelshaube"), deren Protagonistin mich fürchterlich geärgert hat. Es war ganz klar eine Frau, die "modern" dachte und die deshalb überhaupt nicht in die Geschichte paßte. Alle drei Seiten hat sie sich gedanklich darüber aufgeregt, daß sie als Frau so wenige Chancen im Mittelalter hat, daß sie keinen Beruf ausüben kann, daß sie ohne Mann an ihrer Seite quasi rechtlos ist. - So hätte eine Frau im MA aber nicht gedacht. Unser Denken wird uns ja bis zu einem gewissen Grad auch von außen, von der Umgebung beigebracht, in der wir aufwachsen. Und im Mittelalter galt die Frau nun einmal als schwach, schutzbedürftig, minderwertig, sündhaft, der Anleitung und lebenslangen Erziehung durch einen Mann bedürftig etc. So haben nicht nur die Männer gedacht - auch die Frauen selber. Und nur, damit das nicht so trübe stehen bleibt: Sicher gab es auch im MA schon Frauen, die nicht in dieses Klischeebild gepaßt haben. Aber das waren dann eher keine gerade erst erwachsenen Bauernmädchen, sondern Frauen von Stand und mit Vermögen, das ihnen einen gewissen Einfluß und eine gewisse Macht sicherte. Alienor/Eleonore von Aquitanien wäre ein oft zitiertes Beispiel. Oder vielleicht auch die Mathilde, Tochter von Henry I, die ich oben erwähnt habe, die als achtjährige Braut nach Deutschland kam und später immerhin um die englische Krone kämpfte. Aber schon diese Mathilde mußte sich, obwohl sie die ehemalige deutsche Kaiserin war, gegen ihren ausdrücklichen Willen von ihrem Vater neu verheiraten lassen, als ihr Ehemann gestorben war. Und als sie vor ihrem neuen Gatten tatsächlich einmal davon lief, mußte sie letztlich natürlich prompt zu ihm zurück.