War man früher* ein besserer Mensch?

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Rhonwen

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(Bitte in einen passenderen Thread verschieben, soweit vorhanden) Ich wollte mal eine Diskussion anregen zur Mentalität früher*. War man gastfreundlicher als heutzutage? Oder einfach mehr aufeinander angewiesen? Moralischer? Oder stärker sozialen Normen unterworfen? Gewalttätiger? Oder musste man eben auf seine eigene Kraft vertrauen? Gläubiger? Oder ungebildeter? Oder stimmt alles zusammen??? Was meint Ihr? *) Hier eigenen Darstellungszeitraum einsetzen
 
Erstmal, wann ist "früher"? Ist ja ein weitreichender Begriff. Und jede Epoche, jede Region hat ja recht eigene Wertvorstellungen, in einigen Kulturen hat man alte Damen ins Moor geschubst um besseres Wetter zu bekommen, Herrscher fühlten sich nicht unbedingt zuständig wenn ihre Untertanen im Nachbarland raubten und mordeten, das Erschlagen von Andersgläubigen wurd oft mit Wohlwollen gesehen, Sklaven und Leibeigene waren willkommene Hilfsmittel etc pp. Ich denke aber dass man in den meisten kleinen Gemeinschaften mehr von der Gnade und dem Wohlwollen seiner nächsten Nachbarn abhängig war und deshalb sein möglichstes tat es sich nicht zu verscherzen
 
Stimme Lorb bei, ganz klares " Nein" !!! .. Das führen von Kriege, quer durch alle Epochen.. Gier und Machthunger bestimmt unser Handeln damals wie heute, so dass wir unsere Mittmenschen Und Lebensräume wie eh und Jeh ausbeuten.. Zu einen anderen Zeitpunkt hätte ich mal gesagt, "Damals haben die wenigstens nicht ihr Umwelt zerstört" Aber das stimmt ja leider garnicht, Wälder wurden für Schiffe Zerstört, der Wal fast ausgerottet nur um billiges Lampenöl herzustellen.. Und, und, und .. Es hat eine Zeitlang gedauert und wir begreifen erst Langsam das wir nur einen Planeten haben. Und es genetisch nur EINE Gattung Mensch gibt.. ! Die Zeit wo wir angeblich im Einklang mit der Natur gelebt haben und die Sprache Der Tiere verstehen konnten, muss sehr sehr lange her sein. Da waren wir vielleicht mal BESSER ^^
 
Wie ein "guter Mensch" beschaffen sein muss, kann man, glaub ich, immer nur für seine eigene Kultur und Zeit erörtern und festlegen. In einer Zeit, in der man es sich nicht leisten konnte, einen alten, kranken oder behinderten Artgenossen durchzuschleifen, kann es "gut" gewesen sein, den alten Häuptling zum Sterben auf den Berg zu bringen oder das viel zu früh geborene Baby in die Winternacht hinauszutragen. Ebenso konnte es "gut" gewesen sein, die knappen Ressourcen nur mit der eigenen Sippe, den eigenen Verbündeten zu teilen. Und in einer Kultur, in der jeder auf den anderen angewiesen war, verbot es sich von selbst, Frau und Gesinde regelmäßig arbeitsunfähig zu schlagen - da hätte man die Arbeit nämlich selbst machen müssen, was kaum zu schaffen gewesen sein dürfte. Das Recht, seine Angehörigen nach Belieben zu züchtigen, weist also nicht zwangsläufig auf besondere Grausamkeit hin. Es ist wohl immer das Vorhandensein bzw. das Fehlen von Alternativen, die menschliche Verhaltensweisen bestimmen und je größer die Wahlmöglichkeiten, umso wahrscheinlicher, dass sich ein kompliziertes Regelwerk an Normen und Gesetzen herausbildet. Diese werden immer wieder angepasst, weil sich die Erfordernisse ändern. Somit ist ein "guter" Mensch meist ein gesetzestreuer bzw. normenkonformer Mensch - ganz egal, wie die Gesetze und Normen aussehen und somit waren die Menschen zu allen Zeiten weder besser noch schlechter als heute.
 
Somit ist ein "guter" Mensch meist ein gesetzestreuer bzw. normenkonformer Mensch - ganz egal, wie die Gesetze und Normen aussehen
Da fallen mir Zeiten der neueren Geschichte ein, für die ich das nicht unterschreiben würde... man berief sich auf Befehle, Gesetze, war eins mit der Masse und ... fabrizierte doch Verbrechen. Nix "gut". Aber Du schreibst ja auch: "meist". Wie wenig sich geändert hat, sieht man an dieser feinen Sammlung zum beliebten Stammtisch-Thema "Die Jugend von heute ist eine lausige Generation": Diese heutige Jugend ist von Grund auf verdorben, sie ist böse, gottlos und faul. Sie wird nie wieder so sein wie die Jugend vorher, und es wird ihr niemals gelingen, unsere Kultur zu erhalten. (Babylonischer Kulturkritiker vor 5000 Jahren, and.Quelle: Ritzung in babylonischen Tonziegel) Die Jugend achtet das Alter nicht mehr, zeigt bewusst ein ungepflegtes Aussehen, sinnt auf Umsturz, zeigt keine Lernbereitschaft und ist ablehnend gegen überkommene Werte. (Altägyptischer Papyrus) Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos. Die jungen Leute hören nicht mehr auf ihre Eltern. Das Ende der Welt ist nahe. (Keilschrifttext aus Ur um 2000 v. Chr.) Ich habe keine Hoffnung für die Zukunft unseres Volkes, wenn sie von der frivolen Jugend von heute abhängig sein soll. Denn die Jugend ist ohne Zweifel unerhört rücksichtslos und frühreif. Als ich jünger war, lehrte man uns gutes Benehmen und Respekt vor unseren Eltern. Aber die Jugend von heute will alles besser wissen und ist immer mit dem Mund vorweg. Hesiod, um 800 v. Chr. Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer. Sokrates, 470-399 v.Chr. Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen. Aristoteles, 384-322 v. Chr.
 
Somit ist ein "guter" Mensch meist ein gesetzestreuer bzw. normenkonformer Mensch - ganz egal, wie die Gesetze und Normen aussehen
Da fallen mir Zeiten der neueren Geschichte ein, für die ich das nicht unterschreiben würde... man berief sich auf Befehle, Gesetze, war eins mit der Masse und ... fabrizierte doch Verbrechen. Nix "gut". Aber Du schreibst ja auch: "meist".
Und vor allem schreibe ich "gut" (in Anführungszeichen) ;) aber vor allem zeigt dies, dass da die Normen und Gesetze wieder dringend überarbeitet werden mussten, weil sie unzweckmäßig geworden waren. All das, was ich geschrieben habe: Das Aussetzen von Alten und Kranken, das Verteilen der Ressourcen nur an die eigenen Leute, war in "grauer Vorzeit" gelegentlich sinnvoll, später aber immer seltener. Und speziell in der neueren Geschichte nicht. Wunderbare Zusammenfassung über die "Jugend von heute" übrigens :) Ich werde das mal hübsch abschreiben und mir irgendwo aufhängen.
 
In diesem punkt schlagen zwei herzen in meiner Brust zum einen sagt mir der Verstand das die Welt heute Nur "schlechter" ist da alles ans Licht kommt durch die Medien( fruher hatte man nicht oder mit großer zeitverzögerung mit bekommen wenn auf der anderen seite der erde ein krieg tobt oder jemand einen Mord begeht. Andererseits glaube ich das höherer psychischer druck Menschen in den Wahnsinn. Das erklärt auch die vielen Sonderschulen auf die alle ab geschoben werden die nicht in rei und glied lernen und sich anders verhalten. Was Gewalt angeht so wird die immer Wege finden sich zu entladen egal welchen ursprung sie hat. den Zivilisirtheit ist nur ein Mantel mit dem man sich tarnt und den man schon in frühster Kindheit übergeworfen bekommt!! Gieb einem Menschen Gelegenheit und er wird schlimmer als alles was das Tierreich sonst zu bieten hat.
 
Was Gewalt angeht so wird die immer Wege finden sich zu entladen egal welchen ursprung sie hat. den Zivilisirtheit ist nur ein Mantel mit dem man sich tarnt und den man schon in frühster Kindheit übergeworfen bekommt!! Gieb einem Menschen Gelegenheit und er wird schlimmer als alles was das Tierreich sonst zu bieten hat.
es klingt schon sehr hart und brutal aber das schlimme ist, dass Du recht damit hast....
 
Ich finde den Aspekt spannend, dass Moral von gesellschaftlichen Umständen abhängen kann. Das Beispiel mit dem Aussetzen (i.S. von Sterben lassen) von Alten oder Frühgeborenen ist ja für unsere Epoche fast unvorstellbar. Obwohl es noch immer Menschen gibt die meinen, man dürfe der Allgemeinheit nicht zur Last fallen und das eigene Dasein sei nur lebenswert, solange man etwas schaffen kann. Ich frage mich auch, ob es von "echtem" sozialem oder moralischem Denken zeugt, wenn man sich in den Normen der Allgemeinheit anschließt. Wenn man also dem Bettler vor dem Kircheneingang spendet, weil es Alle tun und die Nachbarn sonst tratschen, oder weil man befürchtet, sonst zu sündigen. Im Sinne Jesu: Hütet euch, eure Gerechtigkeit vor den Menschen zur Schau zu stellen; sonst habt ihr keinen Lohn von eurem Vater im Himmel zu erwarten. Wenn du Almosen gibst, lass es also nicht vor dir herposaunen, wie es die Heuchler in den Synagogen und auf den Gassen tun, um von den Leuten gelobt zu werden. Amen, das sage ich euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten. Wenn du Almosen gibst, soll deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut. Dein Almosen soll verborgen bleiben und dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten. ( Matthäus 6, Vers 1 ff. ) Gibt es übrigens auch im Koran: "Und daß ihr fastet, ist besser für euch, wenn ihr (es) nur wisst!" Moralisches Handeln ist doch oft gerade außerhalb der allgemeinen Normen zu finden. Viele Heilige wurden bekannt, weil sie in ihrer Zeit sich gegen die Prasserei und Prunksucht der Kirche gewendet und sich den Kranken und Armen zugewendet haben. Weil sie das nicht mehr ertragen konnten, was für die meisten in ihrer Gesellschaft zur Routine geworden war. Insofern hat man "früher" mehr Gelegenheit zur Heuchelei, aber auch mehr Gelegenheit zur Barmherzigkeit gehabt...
 
Da hast du wichtige Dinge gesagt, Rhonwen. Es gibt ja auch immer den Unterschied zwischen Moral und Ethik. Moral ist, zu tun und zu lassen, weil es darüber einen gesellschaftlichen Konsens gibt. (Moral kommt von lat. mores - Sitten, Gebräuche) Ethik ist, WARUM man tut und lässt. Deshalb gibt es ja auch in D eine Ethikkommission, aber keine Moralkommission. Wer moralisch (also im Sinne dessen, was gesellschaftskonform ist) handelt, kann zutiefst unethisch handeln, wenn er, ohne nachzudenken, einfach tut, was alle tut. Wer aber darüber nachdenkt, warum er dies tut und anderes lässt und seine Handlungsweise begründen kann, handelt durchaus ethisch, wenn auch vielleicht unmoralisch (im Sinne von nonkonformistisch). Diese Ethik kann, wenn die Beweggründe einen gesellschaftlichen Konsens zu schaffen vermögen, zu einer neuen Moral führen. Das heißt immer noch nicht, dass die neue Moral sich langfristig durchsetzen wird. Manche "Moralvorstellungen" scheinen mir schlichtweg "Irrwege der kulturellen Evolution" zu sein, weil sie mehr schaden als nutzen - siehe Hexenverbrennung, "Heilige" Kriege oder die Gesetzgebung der NS-Zeit.
 
Selena, ich habe auch schon viel über den Sinn unserer Nachrichtentechnik nachgedacht. Was hilft es mir zu wissen, dass irgendwo Frauen vergewaltigt werden, Kinder an Hunger sterben oder Männer umgebracht werden? Hilft es der Welt, wenn ich das weiß? Tu ich was dagegen? Könnte ich etwas tun? Das Gefühl von Unsicherheit, das unsere Gesellschaft umtreibt, hängt ganz sicher mit dem Bombardement an schlechten Nachrichten zusammen. Da hat man es "früher" leichter gehabt.
 
Was hat diese Diskussion die teilweise hochpolitisch ist, denn mit den Gedankengängen und der Philosophie des Mittelaltermenschen zu tun? Nichts! Martin
 
Eine Menge, Martin, eine Menge. Auf den ersten Blick war ich versucht, genau wie mein kongenialer Mitdiskutant Lorb, reflexartig "Nein" zu tippen. Aber dann habe ich angefangen, nachzudenken. Üble Angewohnheit von mir, ich weiß, aber ich kann sie mir einfach nicht abgewöhnen. Und nun möchte ich, nachdem ich ja einen Ruf als ständiger Querulant zu verlieren habe, Euch mit meinen wie immer wirren Gedanken belästigen. (Wer jetzt weiter liest ist selber schuld und ich akzeptiere jeden, der das nicht tut prost1 ) Karl Valentin hat mal gesagt: "Die Menschen san gut, nur die Leut san so schlecht", was ein von mir sehr geschätzter Biologieprofessor leicht abwandelte zu: "Der Mensch ist in Ordnung, aber die Leut sin a Sau" Vom biologischen Standpunkt aus gesehen stimmt das auch. Der Homo Sapiens als Individuum einer Art ist kein Problem, er ist weder "gut" noch "schlecht" oder "böse", denn diese Parameter werden erst von der Gesellschaft (oder besser: von Teilen der Gesellschaft, aber mit dem Gültigkeitsanspruch für alle - womit wir ein großes Problem schon mal lokalisiert haben) definiert. Er ist, wie alle Lebewesen, zuvorderst mal egoistisch. Ist ein Alpha-Löwe,der die Jungen seines Vorgängers tötet, damit die Mütter wieder empfängisbereit werden und er zum Zuge kommt, nun böse? Eine Katze, die mit dem Opfer spielt und es leiden lässt, anstatt es effektiv und gnädig schnell zu töten? Die Natur hat andere moralische oder ethische Vorstelllungen als wir. Setzt man die Begriffe "Natur" und "Gott" - egal unter welchem Namen man diesen nun ansprechen möchte- gleich, kommt man zu einer Erkenntnis, die in allen großen Religionen der Welt - nicht nur den monotheistischen - schriftlich fixiert wurde: Gottes Wege sind unergründlich. Was aber uns Menschen nicht davon abhält, ständig zu meinen, der da oben müsste gefälligst dieselben Moralvorstellungen haben wie wir. Davon sind wir dermaßen überzeugt, dass wir - oder einige von uns - uns anmaßen, in Gottes Namen zu richten und zu urteilen. Welch Blasphemie, begangen ironischerweise gerade von denen, die sich am allergläubigsten, Gott näher als andere, betrachten. Der Umweg über Gott (Der Panzerreiter hat ja mitunter, wie wir alle wissen, etwas wirre Gedanken) ist so groß und unpassend nun nicht, wie man zuerst meinen könnte. Denn die Entwicklung religiöser und gesellschaftlicher Normen, Moral, Ethik (denn auch ethische Grundsätze, Argumente und Logiken werden von der Gesellschaft entweder akzeptiert oder nicht) ist weitgehend homolog (im biologischen Sinne. "homolog" bedeutet: Ähnlich im Aufbau, ähnlich in der Entstehungsgeschichte, aber durchaus unähnlich in der aktuellen, äußeren Form). Beide dienen, positiv betrachtet, dazu, das Zusammenleben von Gruppen von Homo Sapeins, die zu groß sind, um selbstregulierend zu sein, zu regeln und damit zu ermöglichen. Negativ betrachtet dienen sie dazu, einzelnen Untergruppen oder Individuen eine Machtposition und eine Sonderstellung zu verschaffen, gerne auch auf Kosten anderer. Der Knackpunkt ist nun, dass sich zwar unsere Technologie rasant weiterentwickelt hat, unsere Körper, Hirne, also unsere physischen, psychischen und auch metaphysischen Fähigkeiten aber nicht. Wir leben, biologisch betrachtet, immer noch in der Steinzeit. Wir bilden uns zwar ein, ein hochentwickeltes gesellschaftliches Niveau erreicht zu haben, aber das ist purer Selbstbetrug. Haben wir nicht. Wir haben nur die technischen Möglichkeiten, unsere primitive Gesellschaftsfähigkeit modern umzusetzen. (Der geneigte Leser mag erkennen, vielleicht auch erst auf den zweiten Blick, dass ich immer noch eng beim Thema bin). Es gibt, wie schon in der Antike, Individuen, die sich, manchmal durch Leistung und ein hohes ethisches Bewusstsein, in der Mehrzahl aber leider nur durch Betrug, Bestechung, Drohung und eiskalte Intrige, an die Spitze einer Gesellschaft stellen und in dieser Position geltende Normen und Moral bestimmen. Diese Normen und Moral werden als notwendig, gottgegeben und alternativlos bezeichnet. Das genügt, um die Mehrzahl der untergebenen Individuen zu überzeugen, da diese eben, wie erwähnt, den geistigen Entwicklungsgrad, die Reife, vermissen lassen, um diese Normen und diese Moral selbstständig kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls anzuzweifeln und zu verweigern. Die Beeinflusser, die Leitwölfe, müssen dabei nicht unbedingt Kronen tragen, es genügt vollauf, laut genug zu sein - es ist ebenfalls ein Zeichen niederen gesellschaftsphilosophischen Entwicklungsstandes, gesellschaftliche Leitpositionen mit Titeln oder Ämtern zu verbinden. In einer kleinen, prägesellschaftlichen Stammeskultur reichen unsere gesellschaftsphilosophischen Geistesgaben aus. Die Gruppe ist überschaubar genug, um die wahren Qualitäten eines Individuums, das die Führungsrolle beansprucht, zu überprüfen und die Umstände und den Sinn der erlassenen Normen zu erleben und zu verstehen. Werden aber die Gesellschaften größer, unüberschaubarer, dann eröffnen sich ungeahnte Gelegenheiten für Blender und Machtmissbraucher, deren einzige Qualität die der Beeinflussung ist. Sie zwingen uns Normen auf, die angeblich von übernatürlicher Wahrheit und Notwendigkeit sind, tatsächlich aber von völlig fehlbaren Menschen kommen und keinerlei Anspruch auf irgendeine metaphysische Wahrheit haben. Ja, sie regeln auf die ein oder andere Art und Weise das Zusammenleben, aber das macht sie noch lange nicht gut oder legitim. Geregelt waren Euthanasie und KZ-Inhaftierung auch. Und diese Normen wurden von der Mehrzahl der Leute nicht nur akzeptiert, sondern auch gedeckt und umgesetzt. Es ist nur erforderlich, die Opfer zu stigmatisieren, um die Gesellschaft hinter sich zu einen und den Volkszorn auf eine entbehrliche Minderheit zu lenken. Ob die Vorwürfe, die vermeintlichen Gründe der Stigmatisierung, der Kriminalisierung, der Wahrheit entsprechen, ob sie objektiv wissenschaftlich bewiesen sind, ist dabei vollkommen unerheblich, solange sie nur vehement genug agitiert werden. Ob es nun Hexen, Hugenotten, Juden, Kommunisten, Ballerspieler oder Pädophile sind, ist völlig zweitrangig. Hauptsache, eine Minderheit, die man als Herrschender zu opfern bereit ist. Auch ein Freisler sprach nur geltendes Recht, war also "gut" in eben genau den Anführungszeichen, die Morgan so bewusst und treffend gesetzt hat. Nicht nur gesellschaftlich, sondern auch in anderen Teilen des Lebens in und mit dieser Welt gelten diese beschriebenen Probleme. Der Wahrnehmungshorizont des durchschnittlichen Steinzeitmenschen geht nicht über die Grenzen des bewohnten Reviers hinaus. Das ist für ihn auch völlig ausreichend. Der Kakadu in Australien interessiert sich nicht für den Wasserstand des Nils oder den Baumbestand des brasilianischen Regenwaldes. Ebensowenig hat der einfache Homo Sapiens nur dann tiefergehendes Interesse an der Verschmutzung des Ganges, wenn er aus diesem sein Trinkwasser schöpft. Die Situation der Bewohner 50 km weiter flussabwärts ist ihm egal, solange er bequem hineinscheißen kann. Man mag nun einwerfen, dass sich das ja heutzutage geändert hat, zumindest bei uns aufgeklärten Europäern. Aber das glauben eben nur wir Europäer. In dem Moment, wo das Objekt der Begierde, der neue Flachbildfernseher mit 12 Hektar Bildschirmfläche, 50 Euro billiger ist als das Konkurrenzmodell, ist Geiz plötzlich geiler als alles andere auf der Welt und es ist uns völlig egal, wo, wie und unter welchen Umständen das Ding gebaut wird und was alles dafür vernichtet wird. Trotzdem empören wir uns selbstverständlich über Umweltschäden (die anderen Leuten anzulasten sind) und phantasieren von ökologischen Fußabdrücken (anderer), die uns in Wahrheit vollkommen egal sind. Wir scheißen weiterhin fröhlich in den Fluss und scheren uns in immer noch nicht um die Leute flussabwärts. Wir aufgeklärten Europäer behumsen uns selbst. Wir sind gar nicht aufgeklärt, zumindest sind wir nicht in der Lage oder willens, Konsequenzen zu ziehen. Wir sind aber schnell dabei, die bösen Chinesen zu verurteilen, weil die so viel schädliches CO2 produzieren. Wir biegen uns die Moral so zurecht, dass andere schuld sind, damit wir selber fein raus sind. Das ist einer der wahren Hauptzwecke von Normen: Einzelnen (anderen) die Schuld zuweisen für Probleme der Mehrheit, um sich selbst (Mehrheit) moralisch zu entlasten. Da nun die Machtgier, die Egozentrik und die Skrupellosigkeit der Leittiere sich aber ebensowenig real weiterentwickelt hat (3.000 Jahre sind evolutorisch gesehen so gut wie nichts) wie die Ingoranz, die Beschränktheit und der Mitläuferdrang der Geleiteten, ist auch das Problem immer noch dasselbe. Wir verbrennen die Sündenböcke nicht mehr, wir verfolgen und vernichten sie zivilisierter, moderner. Aber wir tun es immer noch, konsequenter und effektiver als je zuvor. Und wir bilden uns immer noch ein, genau wie weiland, hochentwickelt zu sein. Insofern muss ich konstatieren: Ja, die Menschen waren früher besser. Ganz einfach, weil wir es nicht geschafft haben, in 1000 und mehr Jahren besser zu werden als sie. Wir sind genauso schlecht, aber die Leute damals hatten 1000 und mehr Jahre weniger als Ausrede. Welcher Schüler ist besser: Der, der mit 9 Jahren knapp durch's Abi fällt, oder der, der das mit 18 tut?
 
Somit ist ein "guter" Mensch meist ein gesetzestreuer bzw. normenkonformer Mensch - ganz egal, wie die Gesetze und Normen aussehen.
Wie wenig sich geändert hat, sieht man an dieser feinen Sammlung zum beliebten Stammtisch-Thema "Die Jugend von heute ist eine lausige Generation": Diese heutige Jugend ist von Grund auf verdorben, sie ist böse, gottlos und faul. Sie wird nie wieder so sein wie die Jugend vorher, und es wird ihr niemals gelingen, unsere Kultur zu erhalten. (Babylonischer Kulturkritiker vor 5000 Jahren, and.Quelle: Ritzung in babylonischen Tonziegel) ...
usw. Ich denke,dass es immer mehr oder weniger normal war,dass die Jugend ihren eigenen Weg gehen wollte und die ältere Generation sich darüber beschwerte. Interessant finde ich,dass mir einmal ein Atheist sagte, wie grausam die Katholische Kirche immer schon gewesen sei merke man daran,dass sie sich im Mittelalter nicht mal für die Umsetzung von Menschenrechten eingesetzt habe. Daraufhin habe ich gefragt: Welche Menschenrechte? aber zeitgleich nicht unerwähnt gelassen, dass zumindest die europäische Gesellschaft positiv vom christlichen Menschenbild geprägt wurde. So oder so sollten wir nie den Fehler machen,dass Handeln mittelalterlicher Menschen mit unserem heutigen Wissen verurteilen zu wollen.
 
Was hat diese Diskussion die teilweise hochpolitisch ist, denn mit den Gedankengängen und der Philosophie des Mittelaltermenschen zu tun? Nichts!
Doch, denn die Mentalität anderer Epochen kann man nur aus der Warte heutiger Moralvorstellungen betrachten. Ich find´s jedenfalls sehr spannend...
 

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