Du hast aber schon bemerkt, dass ich in keinem Satz die Kirche im Allgemeinen oder die Katholiken im Besonderen angreife? In der Tat nenne ich keine einzige Glaubensgemeinschaft explizit, weil es im Grunde auf alle Glaubensgemeinschaften zu allen Zeiten zutrifft, sich auf transzendenze Belohnungen oder Strafen zu berufen, um bestimmte Verhaltensweisen zu provozieren. Der Christ darf auf Gottes Gnade und die bereits erfolgte Erlösung durch Christum vertrauen - was nicht heißt, dass der Gläubige nicht doch noch die Möglichkeit hat, es sich mit Gott zu verderben. Letztlich ist aber genau dieser Gnaden- und Erlösungsgedanke nicht beweisbar, weil transzendent. Religio heißt Rück-Verbindung. Zu wem oder was oder an was da angebunden oder angeknüpft werden soll, ist damit erst mal nicht definiert. Ich glaube, dass Religion ursprünglich etwas ganz anderes bedeutet hat und einen völlig anderen Zweck (um nicht zu sagen: Existenzberechtigung) hatte, als heute. Aber das führt an dieser Stelle zu weit. Ich bin jedenfalls fest davon überzeugt, dass es möglich ist, ein ethisches Leben zu führen, ohne sich auf transzendente Belohnungen oder Strafen zu berufen, ja, dass es eigentlich sogar unabdingbar ist, den transzendenten Bereich auszuklammern, weil er sich letztlich nicht beweisen lässt. Religion hat jedoch durchaus auch - egal, in welcher Ausrichtung - eine soziale Ordnung stiftende Funktion, die man nicht unterschätzen sollte. Diese Funktion erfüllt sie überall da, wo es den entsprechenden gesellschaftlichen Konsens gibt. Es scheint mir nur die soziale Evolution zu hemmen, wenn das Denken durch die Berufung auf letztlich wenig dynamische Glaubensinhalte beschränkt wird, da dann jeder Andersdenkende bzw. -gläubige eine Bedrohung des Denk- bzw. Glaubensgebäudes darstellt. Deshalb ist es nicht verkehrt, zu glauben - es ist nur in meinen Augen verkehrt, seine Entscheidungen auf Glauben zu basieren (wieder völlig unabhängig von der Art des Glaubens)