Hab nochmal ein Bisschen über die heutige Praxiserfahrung hinsichtlich Zuggewicht von Bögen und den Trainingslevel im spätmittelalterlichen England nachgedacht...
Ich kenne einen der einen richtig schweren ELB schiesst; der hat aber dickere Pfeile und: er hat berichtet, dass er im Prinzip täglich trainieren muss und Krafttraining macht, um das zu schaffen. Und wenn er schiesst, reisst es ihn fast mit: [...] Ich selber muss, um gut zu schiessen, mindestens zweimal besser dreimal die Woche mindestens 100 Pfeile pro Training schiessen, wenn ich gut sein will. Vernachlässige ich das länger, dann braucht es Wochen, bis ich wieder in Form bin. Das Problem ist nie der erste Schuss, sondern der 61:e.
Ich trainiere 1x pro Woche für 2 Stunden auf einer Indoor-Anlage und habe dabei mit meinen derzeitigen knapp 30# keine Ermüdungserscheinungen. (Oftmals schieße ich sogar gegen Ende meine besten Gruppen des Tages.) Daneben habe ich seit einigen Monaten auch einen selbstgebauten Pfeilfang bei mir in der Wohnung stehen und trainiere damit fast täglich auf extrem kurze Distanz, also bloß, um den Bewegungsablauf weiter zu verinnerlichen und den Körper (einerseits Muskeln, aber vor allem die von dir ja schon angesprochenen Gelenke und Bänder) zu trainieren. (Das stimmt so nicht ganz: Ich schieße immer nur, weil es mir riesen Spaß macht, der Rest sind erfreuliche Nebeneffekte.
) Wenn ich mir anschaue, wie sich meine Technik und meine körperliche Verfassung entwickelt haben, seit ich fast täglich zu hause schießen kann, würde ich zustimmen, dass das Trainingsintervall einen enormen Unterschied macht.
Und ja, Muskeln kann man schnell auftrainieren, Bänder und Gelenke aber nicht. Und es war immer wieder erstaunlich, wie schwer sich scheinbar gut trainierte Männer in Anfängerkursen mit relativ moderaten Zuggewichten taten (25-30 #)... es sind eben ganz andere Muskeln, die man sonst so nicht nutzt.
Ich glaube auch, dass es beim Bogenschießen vor allem um eine gute Technik geht, bei der man den Körper möglichst effektiv einsetzt, sowie um den Aufbau der nötigen Muskeln, Gelenke und Bänder. Mit Blick auf die Technik scheint mir besonders wichtig zu sein, die große Rückenmuskulatur einzusetzen, die natürlich viel weniger leicht ermüdet, als die vergleichsweise kleine Armmuskulatur. In sofern ist die Frage glaube ich nicht (wie ganz zu Beginn gestellt), ob Frauen stark genug zum Bogenschießen sind. Vielmehr ist die Frage, ob jemand eine gute Technik beherrscht und darüber hinaus seinen Körper für diese Art der Belastung aufgebaut hat. Ob Mann oder Frau scheint mir dabei eher zweitrangig (sofern es nicht um die allerhöchsten Zuggewichte geht). Ein im Bogenschießen gänzlich untrainierter Mensch dürfte einen schweren Kriegsbogen wohl am effektivsten als Knüppel eingesetzt haben können.
[...] Das bedeutet: der versuch, mit hohem Zuggewicht die Rüstung auszugleichen, ist zum Scheitern verurteilt. Natürlich (und so ist es ja auch berichtet) schiesst man auf die Pferde, die dann schon hinreichend viel Unordnung in die heranrasenden Reiter bringen.
Das trifft im Falle der legendären Schlachten in der Zeit des hundertjährigen Kriegs zweifelsohne zu. Bei den Wikingern (und auch anderen Kulturen) gab es jedoch nicht diese Tradition schwer gerüsteter, berittener Krieger. Bei diesen war bspw. der Schildwall die gängige Schlachtformation und der Durchschnittskrieger vermutlich nicht einmal mit einem Kettenhemd gepanzert. Und selbst bei einem Kettenhemd niedriger Qualität (Ringe nicht verschweißt) dürfte schon ein recht leichter Bogen reichen, um es zu durchdringen (bei Verwendung geeigneter Pfeilspitzen).
Dann zu den sonntägliv'chen Trainings: genau darauf wollte ich hinaus. In Zeiten, in denen ich nur einmal die Woche schiesse, werde ich nicht gut mit meinen Zuggewichten. Bei leichteren Zuggewichten kann das reichen, einfach weil Kraft in diesem Bereich, vor allem, wenn man viele Pfeile schiesst, bedeutsam wird.
Da ist was dran... Einen entscheidenden Vorteil der Engländer, die mit dem Bogentrainings schon im Kindesalter begannen, sehe ich allerdings im Aufbau der Bänder und Knochen. Bei wöchentlichem Training vermutlich tatsächlich nicht ausreichend für die legendären Zuggewichte jenseits der 100#, aber zumindest regelmäßig über einen langen Zeitraum. Hinsichtlich der sehr hohen Zuggewichte dürfte das aufkommende Söldnerwesen entscheidend gewesen sein. Als sich in England herumsprach, dass man als Bogenschütze im Krieg gegen Frankreich zu Reichtum kommen konnte, entstand meines Wissens eine Elite 'hauptberuflicher' Bogenschützen, die zum einen aufgrund ihres schon vorhandenen Könnens mit dem Bogen ausgewählt wurden und dann natürlich auch entsprechend trainiert haben werden.
Daher nehme ich an, dass es, wie ja auch in dem verlinkten Beitrag zu lesen, eine grosse Bandbreite an Zuggewichten gegeben hat, und es sollte mich erstaunen, wenn der Durchschnitt über 60, vielleicht 70 # gelegen hat. Alles andere erscheint mir aus praktischen Gründen nicht machbar, jedenfalls nicht in der breiten Masse.
Diese Argumentation erscheint mir nach näherer Betrachtung stichhaltig. Die große Variation im Zuggewicht der Mary-Rose-Bögen war für mich tatsächlich neu und ein wichtiger Hinweis. Mit Blick auf die von mir angestrebte Darstellung eines Bogenschüzen (vermutlich aus dem skandinavischen Kulturkreis) kommt mir der große Variationsbereich des Zuggewichts sehr entgegen. Dann muss ich mich mit meinem leichten Bogen nicht gar so sehr verstecken. ^^ Und wenn jemand moppert, dass man mit so nem Schlabberding ja keinem Gegner Schaden zufügen kann, soll sich derjenige in der entsprechenden Rüstung vor meine Zielscheibe stellen und zeigen, wie überzeugt er davon ist.*
*Und
Nein!!! Ich würde nicht und unter gar keinen Umständen dann wirklich schießen. PS: Den Kampf mit dem Editor kenn ich. X/ Probier mal die erste Schaltefläche (links neben
B,
I,
U). Damit gelangt man in den Quellcode-Modus, der weniger 'hakelig' ist als der "What-you-see-is-maybe-what-yo-like-to-get-or-maybe-not"-Modus (insbesondere beim Bearbeiten von Zitaten).