2.) Das Christentum Kaum ein Mittelalterdarsteller bezeichnet sich als „echter“ Christ, man findet sogar besonders viele Atheisten, Schamanen und Heiden unter den Darstellern. Fakt aber ist, dass die katholische Kirche im Mittelalter das Leben der Menschen regelte: Vom Tages- und Wochenablauf (z.B. Sonntags früh in die Kirche !) über die Jahresgestaltung (Kirchenfeste, Fastenzeit etc.) bis hin zum Lebensablauf (Taufe, Hochzeit, Tod). Nur gelegentlich aber findet man Darsteller von Rittern, die vor einer „Show- Schlacht“ niederknien und den Christengott um Beistand bitten. In kaum einem Ritterzelt gibt es Kreuze oder ähnliche Talismane des Christentums. Merkwürdig, dass viele der Darsteller des Mittelalters „irgendwie auf dem Kreuzzug nach Jerusalem“ sind, den Pabst aber „Sch..... finden“ und das auch während der Darstellung offen bekunden. Für den Autoren des vorliegenden Artikels ist der Punkt Christentum in der Darstellung mittelalterlichen Lebens der am kritischsten zu bewertende. Der Streit um eine „authentische“ Darstellung jedoch entbrennt eigentlich nie an einer so wichtigen Sache, wie an der des katholischen Christentums, welches doch so offensichtlich das Leben der Menschen bestimmte und sich in deren Denken einmischte (man denke nur an die vielen Ketzerverfolgungen des Mittelalters- nein, keine Hexen sondern KETZER !). Der Spruch „ora et labora“ (bete und arbeite) stammt von einem gewissen Benedikt von Nursia, der im frühen Mittelalter lebte und dessen Wirken im Mittelalter außerordentlich war (Gründung des Benediktinerorderns). Fazit: Wer sich als „Authentiker“ versteht, sollte auch über den Punkt „Glauben“ bzw. christliche Kirche nicht nur nachdenken, sondern sich auch als Christ darstellen (es sei denn, man ist Wikinger, Sarazene, Sachse etc). 3.) Errungenschaften unserer Zeit Es erscheint zwar trivial aber unumgänglich darauf hinzuweisen, dass es töricht wäre, auf so manche Errungenschaft unserer Zeit während eines Lagers (also während man auf einem Mittelaltermarkt in einem Zelt lebt) völlig verzichten zu wollen. Tempotaschentücher, bakterienfreie Getränke (d.h. alles, was aus Flaschen kommt und nicht aus dem hiesigen Brunnen) und Klopapier sind schon sehr bequem, manche Medikamente für den Asthmatiker und Allergiker lebenswichtig und auf die bereits erwähnte Verhütung möchte manche Dame und Herr sicher auch nicht verzichten. Leider scheitern genau daran viele besonders authentische Darsteller, die allzu schnell bereit sind, andere zu kritisieren- das zeugt weder von Konsequenz, noch von der Fähigkeit zu reflektieren (d.h. über sich selbst nachzudenken) - manches geht eben heute nur unter gesundheitlichen Einbußen. Schon die Ernährung wird zum Problem, da sich im Mittelalter öfters Hungerphasen mit Phasen der Völlerei abgewechselt habe, was bekanntermaßen nicht sehr gesund ist. Auch müssten sich die Adelsdarsteller anders ernähren als ein Bauer oder Händler. Vollkornbrot, Rüben und Kraut sollten für den Ritter tabu sein und den gewaltigen Fleischkonsum kann heute kein gesundheitsbewusster Mensch nachahmen, nicht mal auf einem Mittelaltermarkt, von den unglaublichen Mengen Alkohol ganz zu schweigen. (C) Die wissenschaftliche Seite: Mittelalterdarstellung als gelebte Wissensvermittlung Der Streit um die Authentizität ist vor allem und in erster Linie auch ein Streit um Wissenschaftlichkeit, auch wenn es den Vertretern der Kontrahenten (orthodoxe Authentiker und die „anderen“) gar nicht so bewusst ist. Der Autor des vorliegenden Artikels ist von Berufs wegen Wissenschaftler und auch in der Lehre tätig. Das bedeutet, dass es die Aufgabe des Autors ist, Menschen das Verständnis, welches Forscher von sich haben, nahe zu bringen. Was bedeutet Wissenschaft ? Der Wissenschaft zugrunde liegt die Theorie der Wissenschaft (Wissenschaftstheorie). Diese sagt unter anderem aus, dass alles und jedes „zu belegen“ ist, wobei jede Disziplin der Wissenschaft (Chemie, Biologie, Psychologie etc.) ihren eigenen Weg hat (z. B. Experimente). Extrem formuliert könnte man auch sagen, dass nur dasjenige, das belegt ist, auch existiert. Manche Wissenschaftler sehen das heute noch so. Wenn man nun Mittelalter darstellt, so kommt man um Wissenschaft, d. h. um Wissen über das Mittelalter nicht herum. Was aber den meisten Darstellern nicht bewusst ist: Wissenschaft und damit Wissen verändert sich im Laufe ihres Daseins ständig und was gestern „up to date“ war, ist heute schon überholt. Anders ausgedrückt: Was gestern als gesicherte Erkenntnis galt, ist heute schon widerlegt. Für kaum eine andere Disziplin gilt das so wie für die Geschichte, denn hinzu kommt noch, dass besonders die Betrachtung von Geschichte sehr davon abhängt, in welcher Epoche und in welcher Gesellschaft man gerade lebt. Beispiel: In der ehemaligen DDR haben sich Forscher mittelalterlicher Geschichte sehr stark mit den niedrigeren Ständen, den Bauern und Handwerkern befasst und belegen können, dass es oft Streit zwischen Lehnsherren (v. a. kleineren Rittern) und den Bauern (eher den Freien als den Unfreien) gab. Man hat sich ebenfalls mit dem Alltagsleben im Mittelalter und der frühen Neuzeit auseinandergesetzt. Derartige Betrachtungen wurden zur selben Zeit in der BRD kaum angestellt. Daraus entsteht für die Darsteller von Mittelalter das Problem, immer auf dem neuesten Stand sein zu müssen, wenn sie nach möglichst „echter“ Darstellung streben. Erfahrungsgemäß vergehen aber von der wissenschaftlichen Erkenntnis hin zur Publikation und der Aufnahme des neuen Wissens in größeren Kreisen immer Jahre, sodass das Wissen der „Masse“ immer der wissenschaftlichen Erkenntnis hinterherhinkt. Das größte Problem innerhalb jeder Wissenschaft ist das der „richtigen“ Interpretation von Befunden: 1.) In jeder Wissenschaft gibt es unterschiedliche Meinungen (Theorien) – Welche ist denn da nun die Richtige ? Bis die Frage, welche der verschiedenen Theorien widerlegt werden kann, geklärt ist, vergehen Jahre, manche Frage ist gar nicht zu klären. Prinzipiell gilt: Jede Theorie hat ihre Berechtigung, im Grunde sind meistens mehrere (und nicht eine „seligmachende“) erkenntnisreich ! 2.) In der Wissenschaft wird „generalisiert“, d.h. man verallgemeinert Erkenntnisse auf ein größeres Gebiet. Beispiel: Im Brunnen einer Burg wird ein roter Schuh gefunden, ebenso auf einem Misthaufen und in einem Stadtgraben einer Stadt. Daraus schließt man, dass im Mittelalter rote Schuhe verbreitet waren. Das Problem ist, dass jeder Forscher weiß, wie vorsichtig er mit solchen Interpretationen sein muss, wohingegen der Laie, der von solchen Ausgrabungen liest, der Vorstellung anheim fällt, dass das nun Tatsachen sind. Man könnte nicht falscher liegen: Der Forscher interpretiert und zieht seine Schlussfolgerungen daraus, weiß also, dass er auch falsch liegen kann - oder anders gesagt: Jeder Forscher weiß, dass keine Erkenntnis 100%ig ist. Es könnte auch sein, dass nur in einem bestimmten Umkreis von ganz bestimmten Personen (etwa eine Familie mit exzentrischem Geschmack) rote Schuhe getragen wurden. ......nächster Teil......