Belegbarkeit/Interpretation

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S

Steffen

Guest
Was mich als relativer Neuling im Hobby immer etwas irritiert ist die oben genannte Sache. Also wenn man zu einer Sache einen Beleg hat ist es ja klar. Aber, wie verhält es sich mit der Interpretation. Wie bekommt dass der interessierte Hobbyist geregelt. Z.B. Abb.: Man sieht Bilder aus verschiedenen Büchern/Codex in denen sich die Klamotte ungefähr gleicht, man sucht nach der Art des Stoffes, der Gebrauchsgegenstände u.ä., findet aber nichts und jetzt fängt der Mensch an zu interpretieren. Wie weit geht aber diese Interpretation? Sollte man es dann ganz lassen? Oder sollte man etwas dazuspinnen? Wie weit kann/sollte man über den Tellerrand schauen? Kurzum: Wie weit geht ihr mit dem Hobby wenn euch Belege/Beweise fehlen, kann man auch hier den Weg des geringeren Widerstandes nehmen? Bin gespannt auf eure Antworten.
 
Es ist immer lohnenswert, nach einer "cross-referrence" zu suchen und sich nicht nur auf einen einzigen Beleg zu verlassen. Gerade Buchmalereien können ganz schön irreführend sein - handelt es sich doch häufig um Schablonenmalerei! Ähnlich Statuen an irgendwelchen sakralen Gebäuden oder ähnliches ... Wenn man schon auf Belegsuche geht, dann sollte man einfach den Faden möglichst weit spinnen --- gibt es irgendwo Ausgrabungsberichte, vielleicht eine Abhandlung eines Historikers? Was gibt die Literatur her? Und natürlich: Foren benutzen, fragen, fragen ... Für mich persönlich setze ich den Interpretationsspielraum sehr, sehr eng. Wenn ich anfangen muss, zu interpretieren, dann lasse ich vorsichtshalber mal die Finger davon. Es ist eine gute Geduldsübung: Mit der Zeit kommen schon die richtigen Informationen, das erlernte Wissen. Die Zeit der weitläufigen Interpretationen oder es so auszulegen, wie es mir grade passt, sind für mich vorbei. Mir hat das einiges an überflüssigen Geldausgaben oder Arbeitsstunden an Ausrüstungsgegenständen (egal, ob Klamotte, Möbel, Keramik, Accessoires) eingebracht. Das war lehrreich genug ... *seufz*
 
Habe mal einen Archäologen kennengelernt. selbst da ist viel interpretiert; Es war ja niemand dabei. Man überlegt welche Möglichkeiten die Menschen in der jeweiligen Epoche hatten. Ein Beispiel: eine reihe kreisrunder Löcher im Boden, die von Eichenbalken stammen; interpretation hier :ein Ständerhaus das man aufgrund von heute noch zu sehenden regionalen Baustilen, den verwendbaren Materialien der Statik und alten Schriftquellen (z.B. Publius Cornelius Tacitus) sehr genau rekonstruiert werden kann; aber trotdem nicht mehr als eine Interpretation. Daher denke ich, das man durch gute interpretation dem Wahrheitsanspruch recht nahe kommen kann.Also:nur Mut :) der Waldhamster
 
Tja, dass ist immer ein Problem, gerade wenn man gewisse Gegenstände rekonstruiert, die nicht vollständig erhalten waren. Ich persönlich bewege mich in meiner Reko nicht im MA sondern in der Frühgeschichte, Skythen. Manchmal gibt es Fragmente, die bei einer Reko ergänzt werden müssen. In dem Moment muss man sich hineinversetzen können. Wozu könnte dieser Gegenstand benutzt worden sein, was war sinnvoll, was entsprach einem normalen Menschenverstand, wie wurde der Gegenstand benutzt, was kam hinein, welches Ziel sollte damit erreicht werden. Das gleiche bei Klamotten. Manchmal hilft es sich in der direkten Nachbarschaft umzusehen. Die Skythen waren ja nicht eine Meute, sonderen mehrer "Stämme", die sich sehr ähnelten. Problematisch wird es, wenn man ein bestimmtes Grab rekonstruieren will und nicht alles vollständig erhalten war oder sogar völlig unbekannt ist, um was es sich handeln könnte. Selbst dann kann man sich in "Nachbargräbern" umsehen, ob bereits ähnliche Gegenstände gefunden wurden, d.h. Grabungsberichte suchen, Kataloge ansehen und Profis fragen, ob denen was bekannt ist. Von einem Gemälde kann man nur eingeschränkt "abkupfern" Ich habe es immer gerne verwendet, wenn es um Farben oder Formen ging. Mehr zeigen sie eigentlich nicht. ;)
 
Also gewisse Interpretationen werden ja auch von den Wissenschaftlern gemacht! Das dies aber auch nicht unbedingt immer richtig ist hat die Vergangenheit ja auch schon gezeigt. Ich denke manchmal geht es einfach auch nicht anders oder man lässt es einfach mit diesem Gegenstand.
 
Man muss es eben ausprobieren. Ich kenne einige, die schon lange rekonstruieren und oft vor diesem Problem stehen. Es hilft oft nix anderes als zu probieren. Dabei wird aber nicht einfach irgendwas gemacht, sondern sich schon informiert, was in der Zeit so üblich war. Wenn dann fertig spekuliert wurde, werden die Rekos gebaut. Dabei kann es durchaus passieren, dass man eine komplette Reko verwirft oder umbaut, da sie sich im Praxistest als nicht tauglich erweist, d.h. das z.B. eine bestimmte Handhabung nicht sein konnte oder der Griff einer Waffe zu unbequem ist und für das eigentliche Ziel nicht tauglich, wie auch immer. Das kann schon einige Zeit in Anspruch nehmen. Und die Recherche sowie die Gespräche mit "Profis" bleiben nicht aus. Am Ende hat man einen Gegenstand, der vielleicht nicht auf einem kompletten Fund basiert aber man kann trotzdem mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es so war, vielleicht mit kleinen Unterschieden aber das weiß man ja nicht. Wenn jemand 100% authentisch sein will, dann gibt es keine Spekulation. Finde ich aber langweilig und kaum umsetzbar, denn es eröffnen sich immer Fragen, alles andere ist gelogen. So long. ;)
 
Ich denke dass man in keiner Darstellung um Interpretationen drum herum kommt. Das wichtige an der Sache ist nur, dass man: - Unnötige Interpretationen weg lässt. - Sich umfassend informiert um Interpretationen so sinnvoll wie möglich angeht. - Die Aufmerksamtkeit nicht auf interpretationen lenkt, die wegen schlechter Beleglage nur sehr schwammig sind. Wenn man diese Dinge beachtet, ist meiner Meinung nach nichts gegen Interpretationen in einer Darstellung einzuwenden.
 
hm, ab wann weißt du, dass es sich um eine unnötige Interperetation handelt? Und zum 3. Punkt, gerade zur Frühgeschichte gibt es sehr oft seeehr schwammige Befundlagen bis nüscht, im MA ist das eigentlich nicht viel anders. Und trotzdem wird interpretiert und probiert ;) Wenn es einen interessiert, dann sollte es ruhig angegangen werden. Kann natürlich ganz schön in die Zeit gehen. ;)
 
Ok, mal ein Beispiel. Wikingerhelm: Es gibt keinen Helm der eindeutig Skandinaviern im 8. bis 10. Jh. zugeordnet werden kann. Die Quellenlage ist hier leider so erdrückend schlecht, dass man davon ausgehen kann, dass Helme eine seltenheit waren, dennoch läuft fast jeder Freizeit Wiki mit einer mehr oder weniger guten Gjermundbuhelm Interpretation rum. Meiner Meinung nach handelt es sich hierbei um eine unnötige Interpretation. Zu Punkt 3 Wenn man nun aber dazu gezwungen ist einen Helm zu tragen, weil es im Freikampf nunmal absolut notwendig ist und man eben nicht (aus welchem Grund auch immer) auf eine Skandinavier Darstellung verzichten möchte. Dann sollte man sich keinen, mit Runen verzierten, Messing beschlagenen und silber tauschierten Brillenhelm kaufen, sondern eben etwas schlichtes unnaufälliges, damit die Aufmerksamkeit eben auf die belegbaren Details der Darstellung gelenkt wird.
 
Original von Lukas Wikingerhelm: Es gibt keinen Helm der eindeutig Skandinaviern im 8. bis 10. Jh. zugeordnet werden kann. Die Quellenlage ist hier leider so erdrückend schlecht, dass man davon ausgehen kann, dass Helme eine seltenheit waren, dennoch läuft fast jeder Freizeit Wiki mit einer mehr oder weniger guten Gjermundbuhelm Interpretation rum.
Ist schwierig. Wenn man sich auf der anderen Seite überlegt, was für ein essenziell wichtiges Rüstungsteil ein Helm ist, erscheint es auch nicht so recht plausibel, daß man keinen getragen hat. Es sei denn natürlich, ein Helm hat in der Zeit in der Region den Gegenwert von etwas in der Gegend von 2 Wohnhäusern gehabt, dann hatte selbstverständlich nicht jeder Zugang zu soetwas. Welches Argument nun das wahrscheinlicher richtige bzw. das historisch richtige ist, halte ich fün unheimlich schwer zu beurteilen. Gruß Lorgarn
 
Naja es gibt eine unglaublich große Anzahl an Grabfunden aus der Fraglichen Zeit in Skandinavien. Auf der Insel Gotland an die 300 Schwerter gefunden und keinen einziger Helm. Die Erklärung, dass Helme zu wertvoll waren um sie mit in Gräber zu geben, schwankt meiner Meinung wenn man sich anschaut welche Reichtümer sonst so ausgehoben wurden. Ich will ja nicht ausschließen, dass es Helme gab, aber sie waren zumindest extrem selten. Aber es sollte wie gesagt nur ein Beispiel sein...
 
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Wollte ich auch nicht bestreiten. Daß es keine Funde gibt ist ein ziemliches Argument. Ich wollte nur anhand Deines Beispiels aufgreifen, daß ich gerne mal schlüssige Begründungen gegen oder für eine These geben kann. Gruß Lorgarn
 
Zu den Schwertfunden hab ich eine Theorie:die Schwerter wurden in Walhalla gebraucht, die Helme eben nicht.Schliesslich zogen die guten Geister ja abends wieder alle in die Halle und feierten(Was für ein Leben) Übrigens würde das auch erklären warum nie ein Begräbniss in Winterkleidung stattfand,also so mit Mänteln und Pelzen .Aber das ist leider nur eine Theorie von mir,die niemand bisher versucht hat zu beweisen. ;)
 
Da ist dann wieder interpretation gefragt. Da will ich das Beispiel des Wikingerhelms weiterdenken...Eisen war in der Antike und dem Mittelalter sehr teuer, Metallverbindungen gaben oft nur unausrecihend Schutz, woher sollte sich ein Mensch im 8. Jahrhundert der aus einem sehr agrarlastigen Umfeld kommt wie Norwegen oder Südschweden also einen Helm nehmen? Aber was wäre wenn Fund- und Beutestücke benutzt wurden...Also könnte man Interpretieren, das auf "Wikinger"schiffen die meisten eher Mützen oder Kappen trugen, einige vielleicht bunt zusammengewürfelte Helme und bestenfalls der Eigner oder Kapitän je nach Geldbeutel einen eigens für ihn angefertigten Helm. Aber dabei war ja keiner und Fundstücke sind fast nicht vorhanden. Natürlich werden interpretationen manchmal widerlegt...es wurde nach einem Fund angeblich interpretiert, das Wikinger Hörner an Ihren Helmen hatten...das wurde als Unsinn entlarvt...Die Hörner würden zu schwer sein, Angriffsfläche bieten usw. Wahrscheinlich lagen nur zufälllig Trinkhörner in unmittelbarer Nähe des Helms. :) der Waldhamster
 
"Das ist nicht belegbar, das machen wir nicht." Diese oder ähnliche Aussagen höre ich sehr oft von den verschiedensten MA-Reenactor(gruppen). Ich selbst stehe dieser Aussage eher skeptisch gegenüber, denn: Auch der beste Reenactor kommt nicht um die Interpretation herum. Das fängt bereits bei der Kleidung an, denn dort beruft man sich nur allzuoft auf den "Beleg" einer Miniatur in den bekannten Bilderhandschriften. Aber nur diese Zeichnungen umzusetzen ist in meinen Augen bereits eine Interpretation. Schliesslich wurden keine Schnittmuster überliefert, und auch Kleidungsfunde halten sich in Grenzen (sowohl zeitlich als auch regional). Hinzu kommt der Aspekt der künstlerischen Freiheit. Waren alle Menschen im MA gross und schlank? Auch die Qualität der Zeichnungen schwankt enorm. Von einigen wackeligen Männchen (Sachsenspiegel), über detailiertere (Manesse) bis zu sehr detaillierten (Kreuzfahrerbibel). Bei Kleidung beruft man sich meist auf die KFB (zumindest in meiner Epoche), obwohl diese in Frankreich entstand, auf der anderen Seite sollte man seine Darstellung örtlich einschränken?!? Eine Zeichnung, so finde ich, ist niemals alleine als Beleg heranzuziehen. Allenfalls als Ergänzung zu Ausgrabungsfunden oder (detailierten) schriftlichen Beschreibungen. Alles andere ist bereits Interpretation. Krassestes Beispiel: Die Bruche. Es wurde meines Wissens nie eine Bruche gefunden, auch nicht als Fragment. Aufgrund der Zahlreichen Miniaturen interpetiert man dass sie wohl aus viel Stoff bestehen müsse aufgrund der Falten, der Schnitt in etwa wie eine riesengrosse Boxershort. Genaueres ist nicht ersichtlich. O.K. würde man eine Miniatur mit einer ausgefalteten Bruche (z.B. an einer Wäscheleine ;-) ) finden wäre die Sache wieder etwas anders. Aber so? Meine Meinung ist, wer sagt: "Das ist nicht belegbar, machen wir nicht" der führt sein eigenes Hobby ad absurdum. Interpretation muss sein, um eine Darstellung zu machen, aber nur so wenig wie möglich. Die Grenze muss jeder selbst bestimmen. Wichtig ist nur dass man den geneigten Besucher auf die Interpretationen aufmerksam macht, wenn man direkt darauf angesprochen wird.
 
@Ragnar: Kein schlechter Gedanke, aber wenn der Helm ein wichtiger Bestandteil der Kriegsausrüstung war, dann würde man ihn doch auch in Valhalla brauchen? Gibt es vielleicht noch irgendwelche Überlieferungen die deine Theorie unterstützen? Ich denke es ist und bleibt ein ungelößtes Rätsel, ob es, wo, wann, wieviele Helme in Skandinavien gab. Aber allein schon weil sich die Helmformen, (wenn es tatsächlich eine gewisse Anzahl an Helmen gegeben haben sollte) sowieso nicht mehr herleiten lassen und das ist für mich mehr als genug Grund einen Helm als Skandinavier wegzulassen. @Waldhamster: Ich hab irgendwie Schwierigkeiten deinen Post zu verstehen... :( @Hellobello: Ich denke deine Skepsis ist unbegründet. Grundsätzlich ist es schwierig über dritte zu sprechen, wenn man nichtmal weiß wer genau gemeint ist. Ich habe ganz Grundsätzlich die Erfahrung gemaht, dass Leute die dieses Hobby vernünftig machen und wirklich so wenig Interpretation wie möglich drin haben auch solche Dinge besser ausdrücken. Über irgendwelche Dummschwätzer brauchen wir hier nicht zu Diskutieren die gibt es überall. Ich glaube nicht das ich irgendwann mal jemanden getroffen habe, der gesagt hat, er würde sich nicht auch teilweise auf Interpretationen stützen müssen. Auf Dinge verzichten für die es keine Anhaltpunkte gibt heißt ja noch lange nicht auf Interpretationen verzichten müssen. Selbst wenn man ein gefundenes Kleidungsstück rekonstruiert und nur eine andere färbung wählt, ist das in meinen Augen schon eine Art von Interpretation. Wichtig ist eben einfach nur das Interpretationen Geschichtsnah sind. Selbst der beste Reenactor macht Fehler oder Interpretiert falsch, aber das ist auch überhaupt kein Drama. Wir versuchen alle uns ständig zu verbessern und wenn sich die Leute mal ein wenig mehr darauf besinnen würden zusammen zu arbeiten (oder überhaubt mal anfangen würden an sich zu arbeiten) und diese Grabenkämpfe (Der hat aber gesagt!!!!) aufhören würden dann könnte das ganze noch viel besser funktionieren. Weltverbessernde Grüße Lukas :D
 
Das ist das gleiche Problem vor dem wir stehen. Hatten die Frauen im Winter jetzt auch eine Bruche an oder nicht. Aus vielen von mir gelesenen Forenbeiträgen kam raus, das sie nur Beinwickel , oder Beinlinge an hatten. Wir und unsere Weiber können sich das aber nicht vorstellen, da es sonst doch frostig werden kann. Also doch eine Auslegungssache.
 
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Original von Monasterianer Wir und unsere Weiber können sich das aber nicht vorstellen, da es sonst doch frostig werden kann.
Dann sollten "eure" Weiber mal ihre Überbekleidung prüfen. :D Das bisschen,was heutztage als Unterhose getragen wird, wärmt ja nun auch nicht grade. ;) Das ist eigentlich das Hauptproblem bei der Interpretationen: es wird zu sehr aus moderner Sichtweise beurteilt. "Das kann ich mir nicht vorstellen" ,"ist doch logisch", "einfachste Methode". "die waren doch nicht blöd damals". "viel zu kalt", "unpraktisch" "essenziell wichtiges Rüstungsteil".... :D Es kann doch nicht sein, was nicht sein darf. Bei jeder Interpretation würde ich sehr sehr sorgfältig überprüfen, ob diese nicht durch modrnen sichtweise und/oder mein Wunschdenken beeinflusst wird. Speziell für die "Wikingerszene" kann ich sagen, dass ein Großteil dessen, was von den Darstellern gezeigt wird, mehr einer romantischen Vorstellung entspricht und rein gar nichts mit der Fundlage zu tun hat. Eine Bekannte nannte das mal "Wikinger-Landhausromantik". :D Man hat halt so ein Bild im Kopf und das lässt man sich durch die Fundlage doch nicht kaputtmachen. Dann wird es halt so hingebogen (zurechtinterpretiert) bis es wieder passt.
 

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