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Johanis Holzken
Guest
Zu meinen Gebetszeiten am Lageraltar singe ich auch gerne "Marien wart ein bot gesant". Ist das Lied, Text und Melodei, den Herrschaften bekannt?!
Die Frage mutet mir von einem Fachmann eigenartig an... Kontrafakturen sind doch im Mittelalter völlig normal. Walther war doch sogar eher die besondere Ausnahme damit dass er für fast jedes Lied einen eigenen Ton verfasst hat (wobei wir natürlich nur vom Palästinalied eine authentische Melodie haben). Mancher schrieb doch sogar ausdrücklich im XYZ-Ton des Herrn Hastenichtgesehen. Ich muss jetzt wieder schwammig mein Gedächtnis bemühen, aber einer der späteren Meistersänger (ich glaube Hans Sachs) hat mehrere Tausend Lieder geschrieben - aber nur 13 Melodien... Von einem unantastbaren Autor-Originaltext im modernen Sinne geht die germanistische Forschung kaum noch aus, und ebenso dürfen wir keine modernen Copyright-Gedanken zulassen wenn wir von Sangspruchdichtern des Hochmittelalters reden. @Nairolf: Ganz generell existierte keine Interpunktion wie wir sie uns heute vorstellen, nur vereinzelte "Reimpunkte" als grobe Sinngliederung. Teils nach Sätzen, teils nach Halbsätzen (also wie moderne Kommata). Einen Doppelpunkt als Marker "Jetzt folgt ein Zitat" gab es nicht. Wir haben es hier mit der Interpretation eines modernen Germanisten zu tun, und nichts weiter. In der kleinen Heidelberger Liederhandschrift A lautet die Stelle tatsächlich: al div welt div stritet der wir sin ander rehten ger.reht ist dc er vns wer. In der großen Heidelberger Liederhandschrift C (die vermutlich die gleiche Quelle hat wie A) dagegen steht: al dú welt stritet her.wir sin an der rehten ger.reht ist dc er vns gewer. In der Weingartner Liederhandschrift (die nicht in direktem Zusammenhang mit A und C steht) finden wir letztlich: al dú welt stritet her.wir sin an der rehten ger.reht ist das er úns gewer. Andere Quellen habe ich gerade nicht vorliegen (Danke an Heidensohn, das Digitalisat von B war mir noch nicht bekannt!), aber wir bemerken auch hier schon die Unterschiede. Handschriften B und C setzen vor "wir sin an der rehten ger" einen Reimpunkt (der an sich schon wenig bedeutet), Handschrift A nicht. Man kann es also prinzipiell schon auf beide Weisen auslegen: Entweder wird der Satz "wir sin an der rehten ger" all der Welt in den Mund gelegt (wobei ich da Probleme mit dem Wortlaut hätte... da würde dann eher "sprechen" oder "sagen" stehen, nicht "striten"), oder es ist eben nur eine Aussage des Lyrischen Ichs. Aber was ändert das am Inhalt? Die Aussage ist so oder: Alle streiten sich um das heilige Land. Aber es ist rechtens dass Gott es uns Christen zuspricht - "Reht ist daz er uns gewer". Ich sehe nicht wie man da irgendetwas anderes hineinlesen kann. Ein christlicher Ritter der einem christlichen (höfischen) Publikum vorträgt dass Juden und sogar Heiden ein Anrecht auf das heilige Land haben könnten? Undenkbar!Haben wir es hier sogar etwa mit einem "Plagiator" zu tun ?
Als musikalisches Vorbild für das Palästinalied mag die Kanzone "Lanquan li jorn" des okzitanischen Trobadors Jaufré Rudel (Hauptwirken um 1148 ), gestanden haben. " (Walther) benutzt... ...den gleichen Strophengrundriss und, fast Ton für Ton, die gesamte melodische Substanz des provenzalischen Liedes" (Franz Wellner in "Die Trobadors", Sammlung Dietrich Band 104) Spielt man beide Stücke aus der in dem Buch abgedruckten, beide Lieder gegenüberstellenden Übertragung, erkennt man nicht die kongruente Melodie, aber eine sehr enge Verwandschaft. Offensichtlich handelt es sich um einen Ton, der sich über Zeit (Entstehung des Palästinaliedes nach Wellner zwischen 1205 und 1212) und Gebrauch in höfischen Kreisen ausgeformt hat.Die Frage mutet mir von einem Fachmann eigenartig an... Kontrafakturen sind doch im Mittelalter völlig normal. Walther war doch sogar eher die besondere Ausnahme damit dass er für fast jedes Lied einen eigenen Ton verfasst hat (wobei wir natürlich nur vom Palästinalied eine authentische Melodie haben). Mancher schrieb doch sogar ausdrücklich im XYZ-Ton des Herrn Hastenichtgesehen. Ich muss jetzt wieder schwammig mein Gedächtnis bemühen, aber einer der späteren Meistersänger (ich glaube Hans Sachs) hat mehrere Tausend Lieder geschrieben - aber nur 13 Melodien...
@Nairolf: Ganz generell existierte keine Interpunktion wie wir sie uns heute vorstellen, nur vereinzelte "Reimpunkte" als grobe Sinngliederung. Teils nach Sätzen, teils nach Halbsätzen (also wie moderne Kommata). Einen Doppelpunkt als Marker "Jetzt folgt ein Zitat" gab es nicht. Wir haben es hier mit der Interpretation eines modernen Germanisten zu tun, und nichts weiter.
In der kleinen Heidelberger Liederhandschrift A lautet die Stelle tatsächlich: al div welt div stritet der wir sin ander rehten ger.reht ist dc er vns wer. In der großen Heidelberger Liederhandschrift C (die vermutlich die gleiche Quelle hat wie A) dagegen steht: al dú welt stritet her.wir sin an der rehten ger.reht ist dc er vns gewer. In der Weingartner Liederhandschrift (die nicht in direktem Zusammenhang mit A und C steht) finden wir letztlich: al dú welt stritet her.wir sin an der rehten ger.reht ist das er úns gewer.
Meine Ausführungen sind natürlich nur als reine Spekulation zu verstehen. Dein Post hilft mir da echt mal weiter. Die von mir erwogene Möglichkeit der Lesung ergibt sich dann, wenn man den Satz "Reht ist daz er uns gewehr", als "all der Welt in den Mund gelegt", mit einbezieht. Dies wird nun auch in meinen Augen nach Handschrift A dünner, wenn man den Satz wiederum als von Walther aus christlicher Perspektive ausgesprochen liest. Die anderen Überlieferungen lassen den Schluss noch weniger zu.Andere Quellen habe ich gerade nicht vorliegen (Danke an Heidensohn, das Digitalisat von B war mir noch nicht bekannt!), aber wir bemerken auch hier schon die Unterschiede. Handschriften B und C setzen vor "wir sin an der rehten ger" einen Reimpunkt (der an sich schon wenig bedeutet), Handschrift A nicht. Man kann es also prinzipiell schon auf beide Weisen auslegen: Entweder wird der Satz "wir sin an der rehten ger" all der Welt in den Mund gelegt (wobei ich da Probleme mit dem Wortlaut hätte... da würde dann eher "sprechen" oder "sagen" stehen, nicht "striten"), oder es ist eben nur eine Aussage des Lyrischen Ichs. Aber was ändert das am Inhalt? Die Aussage ist so oder: Alle streiten sich um das heilige Land. Aber es ist rechtens dass Gott es uns Christen zuspricht - "Reht ist daz er uns gewer". Ich sehe nicht wie man da irgendetwas anderes hineinlesen kann.
Ja! Was ich meinte, ist auch nur die Möglichkeit eines "versteckten, verschlüsselten" Hinweises darauf, dass jemand wie Walther durchaus einen Gedankengang gehabt haben könnte, dass es nicht unbedingt Sinn macht, wenn sich alle unter Gottes Himmel deswegen die Köpfe zertrümmern. Ein Anrecht würde er natürlich in seiner Position nur den Christen zusprechen. Ich weiss, dass das sehr weit hergeholt klingt und würde nichts dergleichen behaupten. Rein subjektiv klingt es aber für mich ein wenig mit - mag meiner kritischen Hinterfragung entspringen, wie man heute als Interpret damit umgehen könnte. Vielleicht haben sich die Überträger, welche den Doppelpunkt setzen, ähnliche Gedanken gemacht...? Übersetzung nach Friedrich Maurer in "Walther von der Vogelweide, Sämtliche Lieder", (UTB Germanistik): Alle Welt ist hier im Streit: unser Anspruch geht zu Recht, Recht ist, daß er uns entspricht. Wenn er (der Übersetzer) primär ausdrücken wollte, dass es ein besitzansprechender Auspruch der Christenheit wäre, hätte er nach "Streit" am besten ein Ausrufezeichen gesetzt. So aber liest es sich für mich als: "von aller Welt gesprochen". Keiner kann sich natürlich mit seiner Übertragungs-/Übersetzungsmethodik auf Walther beziehen, aber ich finde die Möglichkeit dieser Variante ist zulässig.Ein christlicher Ritter der einem christlichen (höfischen) Publikum vorträgt dass Juden und sogar Heiden ein Anrecht auf das heilige Land haben könnten? Undenkbar!
Das rhetorische Hilfsmittel heißt hier "Ironie"...Zitat Haben wir es hier sogar etwa mit einem "Plagiator" zu tun ?
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