Das "Palästinalied" und andere "Hits" des MA

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Zu meinen Gebetszeiten am Lageraltar singe ich auch gerne "Marien wart ein bot gesant". Ist das Lied, Text und Melodei, den Herrschaften bekannt?!
 
Noch ein paar Ergänzungen zu Annos an sich sehr guten Ausführungen: "Definitiv" kann man über Walthers Lieder garnichts sagen. Das "Palästinalied" ist ebenso wenig "definitiv" ein Pilgerlied wie es "definitiv" ein "Propaganda"-Lied ist. Fakt ist, dass wir über Walther quasi nichts wissen (wir wissen nicht ob er "Ministeriale" war!) und somit weder 100%ig ausschließen noch belegen können, dass er auf einem Kreuzzug dabei war. Er ist in EINER Urkunde namentlich belegt. ALLES andere lässt sich nur aus Liedern erschließen (aus seinen eigenen und ein paar Strophen anderer über ihn), wie etwa sein völlig normales und logisches Anbiedern an den jeweiligen Brotgeber. Man muss also immer sehr sehr vorsichtig sein mit Behauptungen über Walthers Leben und Intention. Zum Palästinalied gibt heute in der Forschung auch ganz andere Ansätze, wie etwa den, darin eine Meditationsanleitung zu sehen. Denn was wir wirklich definitiv sagen können ist, dass das Leben Jesu Christi dergestalt umrissen wird, dass wir darin die sieben Lebensstationen finden die als traditionell gelten dürfen und in Zusammenhang mit den Sieben-Siegel-Reihen stehen (und eben nicht nur die Passion!). Das ist zwar teils nicht kanonisch (die Höllenfahrt Christi etwa), entsprach aber der damaligen Handhabe. Kurzum: Es ist nicht auszuschließen, dass (ergänzt mit Dichterstrophen und anderen Füllseln) grundlegend eine Meditationshilfe (für Laien?) vorliegen könnte. (Wofür genau weiß ich nicht, das ist nicht mein Gebiet. Irgendetwas aus dem Bereich der Mystik? Religiöse Selbsterfahrung?) Andere betonen die in den einzelnen Quellen differierenden Strophenfolgen und versuchen Schwerpunkte zu rekonstruieren, die der jeweilige Schreiber gesetzt haben mag. Was auch immer Walthers Intention gewesen sein könnte, auf diese Weise hätte der Schreiber (oder vortragende Musiker) durch Neuzusammenstellung ganz eigene Schwerpunkte setzen können (etwa nur Strophen zu bestimmten Lebensstationen Christi, oder nur solche zu Palästina selbst, oder was auch immer). Die Varianz mittelalterlicher Lyrik ist aber ein Thema für sich. Mancher geht so weit "Varianz als Konzept" vorauszusetzen (lässt sich auch für den musikalischen Vortrag nicht ausschließen). (Zu beiden oben angeführten Ansätzen liegen mir gerade keine schriftlichen Quellen vor. Ich zitiere das aus dem Gedächtnis aus einem Walther-Seminar. Bei Bedarf kann ich vll. mittels meiner Unterlagen noch präzisieren.)
Haben wir es hier sogar etwa mit einem "Plagiator" zu tun ?
Die Frage mutet mir von einem Fachmann eigenartig an... Kontrafakturen sind doch im Mittelalter völlig normal. Walther war doch sogar eher die besondere Ausnahme damit dass er für fast jedes Lied einen eigenen Ton verfasst hat (wobei wir natürlich nur vom Palästinalied eine authentische Melodie haben). Mancher schrieb doch sogar ausdrücklich im XYZ-Ton des Herrn Hastenichtgesehen. Ich muss jetzt wieder schwammig mein Gedächtnis bemühen, aber einer der späteren Meistersänger (ich glaube Hans Sachs) hat mehrere Tausend Lieder geschrieben - aber nur 13 Melodien... Von einem unantastbaren Autor-Originaltext im modernen Sinne geht die germanistische Forschung kaum noch aus, und ebenso dürfen wir keine modernen Copyright-Gedanken zulassen wenn wir von Sangspruchdichtern des Hochmittelalters reden. @Nairolf: Ganz generell existierte keine Interpunktion wie wir sie uns heute vorstellen, nur vereinzelte "Reimpunkte" als grobe Sinngliederung. Teils nach Sätzen, teils nach Halbsätzen (also wie moderne Kommata). Einen Doppelpunkt als Marker "Jetzt folgt ein Zitat" gab es nicht. Wir haben es hier mit der Interpretation eines modernen Germanisten zu tun, und nichts weiter. In der kleinen Heidelberger Liederhandschrift A lautet die Stelle tatsächlich: al div welt div stritet der wir sin ander rehten ger.reht ist dc er vns wer. In der großen Heidelberger Liederhandschrift C (die vermutlich die gleiche Quelle hat wie A) dagegen steht: al dú welt stritet her.wir sin an der rehten ger.reht ist dc er vns gewer. In der Weingartner Liederhandschrift (die nicht in direktem Zusammenhang mit A und C steht) finden wir letztlich: al dú welt stritet her.wir sin an der rehten ger.reht ist das er úns gewer. Andere Quellen habe ich gerade nicht vorliegen (Danke an Heidensohn, das Digitalisat von B war mir noch nicht bekannt!), aber wir bemerken auch hier schon die Unterschiede. Handschriften B und C setzen vor "wir sin an der rehten ger" einen Reimpunkt (der an sich schon wenig bedeutet), Handschrift A nicht. Man kann es also prinzipiell schon auf beide Weisen auslegen: Entweder wird der Satz "wir sin an der rehten ger" all der Welt in den Mund gelegt (wobei ich da Probleme mit dem Wortlaut hätte... da würde dann eher "sprechen" oder "sagen" stehen, nicht "striten"), oder es ist eben nur eine Aussage des Lyrischen Ichs. Aber was ändert das am Inhalt? Die Aussage ist so oder: Alle streiten sich um das heilige Land. Aber es ist rechtens dass Gott es uns Christen zuspricht - "Reht ist daz er uns gewer". Ich sehe nicht wie man da irgendetwas anderes hineinlesen kann. Ein christlicher Ritter der einem christlichen (höfischen) Publikum vorträgt dass Juden und sogar Heiden ein Anrecht auf das heilige Land haben könnten? Undenkbar!
 
Die Frage mutet mir von einem Fachmann eigenartig an... Kontrafakturen sind doch im Mittelalter völlig normal. Walther war doch sogar eher die besondere Ausnahme damit dass er für fast jedes Lied einen eigenen Ton verfasst hat (wobei wir natürlich nur vom Palästinalied eine authentische Melodie haben). Mancher schrieb doch sogar ausdrücklich im XYZ-Ton des Herrn Hastenichtgesehen. Ich muss jetzt wieder schwammig mein Gedächtnis bemühen, aber einer der späteren Meistersänger (ich glaube Hans Sachs) hat mehrere Tausend Lieder geschrieben - aber nur 13 Melodien...
Als musikalisches Vorbild für das Palästinalied mag die Kanzone "Lanquan li jorn" des okzitanischen Trobadors Jaufré Rudel (Hauptwirken um 1148 ), gestanden haben. " (Walther) benutzt... ...den gleichen Strophengrundriss und, fast Ton für Ton, die gesamte melodische Substanz des provenzalischen Liedes" (Franz Wellner in "Die Trobadors", Sammlung Dietrich Band 104) Spielt man beide Stücke aus der in dem Buch abgedruckten, beide Lieder gegenüberstellenden Übertragung, erkennt man nicht die kongruente Melodie, aber eine sehr enge Verwandschaft. Offensichtlich handelt es sich um einen Ton, der sich über Zeit (Entstehung des Palästinaliedes nach Wellner zwischen 1205 und 1212) und Gebrauch in höfischen Kreisen ausgeformt hat.
@Nairolf: Ganz generell existierte keine Interpunktion wie wir sie uns heute vorstellen, nur vereinzelte "Reimpunkte" als grobe Sinngliederung. Teils nach Sätzen, teils nach Halbsätzen (also wie moderne Kommata). Einen Doppelpunkt als Marker "Jetzt folgt ein Zitat" gab es nicht. Wir haben es hier mit der Interpretation eines modernen Germanisten zu tun, und nichts weiter.
In der kleinen Heidelberger Liederhandschrift A lautet die Stelle tatsächlich: al div welt div stritet der wir sin ander rehten ger.reht ist dc er vns wer. In der großen Heidelberger Liederhandschrift C (die vermutlich die gleiche Quelle hat wie A) dagegen steht: al dú welt stritet her.wir sin an der rehten ger.reht ist dc er vns gewer. In der Weingartner Liederhandschrift (die nicht in direktem Zusammenhang mit A und C steht) finden wir letztlich: al dú welt stritet her.wir sin an der rehten ger.reht ist das er úns gewer.
Andere Quellen habe ich gerade nicht vorliegen (Danke an Heidensohn, das Digitalisat von B war mir noch nicht bekannt!), aber wir bemerken auch hier schon die Unterschiede. Handschriften B und C setzen vor "wir sin an der rehten ger" einen Reimpunkt (der an sich schon wenig bedeutet), Handschrift A nicht. Man kann es also prinzipiell schon auf beide Weisen auslegen: Entweder wird der Satz "wir sin an der rehten ger" all der Welt in den Mund gelegt (wobei ich da Probleme mit dem Wortlaut hätte... da würde dann eher "sprechen" oder "sagen" stehen, nicht "striten"), oder es ist eben nur eine Aussage des Lyrischen Ichs. Aber was ändert das am Inhalt? Die Aussage ist so oder: Alle streiten sich um das heilige Land. Aber es ist rechtens dass Gott es uns Christen zuspricht - "Reht ist daz er uns gewer". Ich sehe nicht wie man da irgendetwas anderes hineinlesen kann.
Meine Ausführungen sind natürlich nur als reine Spekulation zu verstehen. Dein Post hilft mir da echt mal weiter. Die von mir erwogene Möglichkeit der Lesung ergibt sich dann, wenn man den Satz "Reht ist daz er uns gewehr", als "all der Welt in den Mund gelegt", mit einbezieht. Dies wird nun auch in meinen Augen nach Handschrift A dünner, wenn man den Satz wiederum als von Walther aus christlicher Perspektive ausgesprochen liest. Die anderen Überlieferungen lassen den Schluss noch weniger zu.
Ein christlicher Ritter der einem christlichen (höfischen) Publikum vorträgt dass Juden und sogar Heiden ein Anrecht auf das heilige Land haben könnten? Undenkbar!
Ja! Was ich meinte, ist auch nur die Möglichkeit eines "versteckten, verschlüsselten" Hinweises darauf, dass jemand wie Walther durchaus einen Gedankengang gehabt haben könnte, dass es nicht unbedingt Sinn macht, wenn sich alle unter Gottes Himmel deswegen die Köpfe zertrümmern. Ein Anrecht würde er natürlich in seiner Position nur den Christen zusprechen. Ich weiss, dass das sehr weit hergeholt klingt und würde nichts dergleichen behaupten. Rein subjektiv klingt es aber für mich ein wenig mit - mag meiner kritischen Hinterfragung entspringen, wie man heute als Interpret damit umgehen könnte. Vielleicht haben sich die Überträger, welche den Doppelpunkt setzen, ähnliche Gedanken gemacht...? Übersetzung nach Friedrich Maurer in "Walther von der Vogelweide, Sämtliche Lieder", (UTB Germanistik): Alle Welt ist hier im Streit: unser Anspruch geht zu Recht, Recht ist, daß er uns entspricht. Wenn er (der Übersetzer) primär ausdrücken wollte, dass es ein besitzansprechender Auspruch der Christenheit wäre, hätte er nach "Streit" am besten ein Ausrufezeichen gesetzt. So aber liest es sich für mich als: "von aller Welt gesprochen". Keiner kann sich natürlich mit seiner Übertragungs-/Übersetzungsmethodik auf Walther beziehen, aber ich finde die Möglichkeit dieser Variante ist zulässig.
 
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Da habe ich doch gerade ein "Gebet" Walthers gelesen, welches zwar meine etwas abenteuerlichen Thesen zum Palästinalied keinesfalls untermauert, jedoch eine etwas direktere Deutung bezüglich meiner Vermutung zulässt, dass er möglicherweise durchaus eine Art "liberal-humanes Existenzverständnis" für "Jedermann" aufzubringen vermochte - sei er nun Christ, Jude oder Heide. Die 2. Strophe aus dem "Wiener Hofton", um 1207 Swer ane vorhte, herre got wil sprechen diniu zehen gebot, unt brichet diu, daz ist niht rehtiu minne. dich heizet vater maneger vil, swer min ze bruoder niht enwil, der sprichet diu starken wort uz krankem sinne. wir wahsen uz gelichem dinge; spise frumet uns, diu wirt ringe, so si dur den munt gevert. wer kan den herren von dem knehte scheiden, swa er ir gebeine blozez fünde, hete er ir joch lebender künde, so gewürme daz fleisch verzert? Im dienent kristen, juden unde heiden, der elliu lebenden wunder nert. Übersetzung: Wer ohne Furcht, Herr Gott, über deine Zehn Gebote spricht und sie bricht, der lebt nicht die wahre Liebe. Viele nennen dich Vater, wer aber nicht mein Bruder sein will, der spricht das starke Wort aus schwachem Verstande. Wir wachsen aus dem gleichen Holz; Speise ernährt uns, die wird nichtig, sobald sie durch den Mund gefahren ist. Wer kann den Herrn von dem Knecht unterscheiden, wenn er der beiden blankes Gebein fände, - auch wenn er sie als Lebende gekannt -, und das Gewürm das Fleisch verzehrt hätte? Ihm dienen Christen, Juden und Heiden, der alle Lebenden wunderbar ernährt. Aus "Gebete der Dichter", Alois Weimer, Patmos Verlag Wenn jemand der Gott "Vater" nennt, jedoch nicht Walthers "Bruder" sein will, von ihm einen schwachen Verstand attestiert bekommt, und er alle aus dem gleichen Holz gewachsen sieht, kann man schon mal annehmen, dass Walther mitunter alle Menschen als Kinder Gottes betrachtet. Er verweist durch den Hinweis auf die Gleichheit der Gebeine darauf, dass im Grunde doch, zumindest aus Menschensicht alle im Kern gleich beschaffen sind. Er schlägt eine Brücke zu Christen, Juden und Heiden - die alle von Gott ernährt werden, also demnach "Gottgewollt" sind - sonst würde er (Gott) es ja nicht machen! Sollte Walther dann etwa im Palästinalied (wohl zwischen 1205-1212) wiederum absolutistisch behaupten "reht ist daz er uns gewer" und dabei einzig die Christenheit meinen? Ich finde das passt so nicht! Gut möglich, dass er aus politischen und existenziellen Gründen es so hat aussehen lassen, dass man die Aussage schon so deuten kann - aber eben nicht muss!
 
Genialer Thread ! :thumbsup: An dieser Stelle möchte ich mal an den zweiten Teil der Überschrift anknüpfen, nämlich "andere Hits des Mittelalters". Ich denke ein jeder hat so irgendwie ein bestimmtes Lieblingslied einer bestimmten Epoche. Mein absoluter "Hit" ist eigentlich nicht gerade spektakulär, aber so finde ich , sehr interessant und schön: Aus der Carmina Burana : "In taberna quando sumus" Hier der Text: http://www.martinschlu.de/kulturgeschichte/mittelalter/spaetmittelalter/carminaburana/cb196.htm Quelle: Martin Schlu, http://www.martinschlu.de/kulturgeschichte/mittelalter/spaetmittelalter/start.htm "Hörbar", zB. in dieser Version: http://www.youtube.com/watch?v=_7DMcG3UCY0 Quelle: You Tube
 
Eines meiner liebsten Lieder ist: " es fuegt sich..." von Oswald von Wolkenstein http://www.phil-fak.uni-duesseldorf...rall/Oswald von Wolkenstein_Es fuegt sich.pdf Eine wunderbare, und eigentlich auch eine sehr ehrliche, Lebensbeschreibung dieses aussergewöhlichen Ritters. Musikalisch habe ich es zum ersten mal in den 70-ger Jahren in einer Live-Aufnahme der Gruppe: BärenGässlin gehört. :thumbsup: Vergleichbar ist dieses Werk vor allem mit dem "großen Testament", oder im Original : "Le Testament" , von François Villon, welches 1461/62 entstand.
 

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