Heidensohn
Well-known member
- Registriert
- 11. Okt. 2010
- Beiträge
- 732
- Reaktionspunkte
- 337
Ich habe gerade keine Zeit die SNE (Slazburger Neidhart Edition) in der Bibliothek raus zusuchen und die entsprechenden Lieder abzutippen, deswegen nehme ich die eher unzureichenden Varianten von http://www.fabelnundanderes.at/sommerlieder.htm Nur um mal einen Eindruck zu geben, wie Neidhart (1. H. 13. Jh.), beziehungsweise eventuelle "Ergänzer" (13./14. Jh.), den Konflikt zwischen Mutter und Tochter um Ausgehen und Rausputzen wiedergegeben haben.
Sommerlied 1
1. Ein altiu diu begunde springen hôhe alsam ein kitze enbor: si wolde bluomen bringen. "tohter, reich mir mîn gewant: ich muoz an eines knappen hant, der ist von Riuwental genant. traranuretun traranuriruntundeie." 2. Muoter, ir hüetet iuwer sinne! erst ein knappe sô gemuot, er pfliget niht staeter minne." "tohter, lâ mich âne nôt! ich weiz wol, waz er mir enbôt. nâch sîner minne bin ich tôt. traranuretun traranuriruntundeie." 3. Dô sprach's ein alte in ir geile: "trûtgespil, wol dan mit mir! ja ergât ez uns ze heile. wir suln beid nâch bluomen gân. war umbe sollte ich hie bestân, sît ich sô vil geverten hân? traranuretun traranuriruntundeie." 1. Eine Alte sprang los, wie ein Zicklein hoch empor: sie wollte Blumen bringen. "Tochter, reich mir mein Feiertagskleid! Ich muss an eines jungen Ritters Hand, der nach Reuental benannt ist. Traranuretun traranuriruntundeie." 2. "Mutter haltet nur eure Sinne beisammen! Der Ritter denkt nicht dran, treu in der Liebe zu sein." "Tochter, lass mich ungeschoren! Ich weiß wohl, was er mir beteuert hat. Vor Sehnsucht nach seiner Liebe sterbe ich. Traranuretun traranuriruntundeie." 3. Froh rief sie da einer andern Alten zu: "Liebe Freundin, los, auf mit mir! Wir werden gewiss Glück haben. Wir wollen beide nach Blumen gehen. Warum sollte ich hier bleiben, da ich so viele Gefährtinnen habe? Traranuretun traranuriruntundeie." Sommerlied 3
1. Fröut iuch, junge und alte! der maie mit gewalte den winder hât verdrungen, die bluomen sint entsprungen. wie schôn diu nahtegal ûf dem rîse ir süeze wîse singet, wünneclîchen schal! 2. Walt nu schône loubet. "mîn muoter niht geloubet, der joch mit einem seile", sô sprach ein maget geile, "mir bunde einen fuoz, mit den kinden zuo der linden ûf den anger ich doch muoz." 3. Daz gehôrte ir muoter: "jâ swinge ich dir daz fuoter mit stecken umbe den rugge, vil kleine grasemugge. wâ wilt dû hüpfen hin ab dem neste? sitze und beste mit den ermel wider in! 4. "Muoter, mit dem stecken sol man die runzen recken den alten als eim sumber. noch hiuwer sît ir tumber, dan ir von sprunge vart. ir sît tôt vil kleiner nôt, ist iu der ermel abe gezart." 5. Ûf spranc sî vil snelle. "der tievel ûz dir belle! ich will mich dîn verzîhen; dû wilt vil übel gedîhen." "muoter, ich lebe iedoch, swie iu troume; bî dem soume durch den ermel gât daz loch." 1. Freut euch, ihr Jungen und Alten! Der Mai hat mit Macht den Winter vertrieben, die Blumen sind entsprossen. Wie schön die Nachtigall auf dem Zweig ihr liebliches Lied singt, Freudenjubel! 2. Der Wald bedeckt sich mit frischem Laub. "Meine Mutter glaubt nicht, dass, selbst wenn man mit einem Strick", so sprach ein fröhliches Mädchen, "mir den Fuß festbände, ich doch mit den Mädchen zur Linde auf den Anger muss." 3. Das hörte ihre Mutter: "Wahrlich, ich werde dir schon das Futter mit dem Stock auf den Rücken schwingen, winzige Grasmücke. Wo willst du hinhüpfen aus deinem Nest? Bleib sitzen und näh mir den Ärmel wieder fest!" 4. "Mutter, mit dem Stecken soll man den Alten die Runzeln glätten wie einer Trommel. Ihr werdet dümmer von Jahr zu Jahr. Ihr sterbt noch an einer Lappalie, wenn euch bloß der Ärmel abgerissen ist." 5. Geschwind sprang sie auf. "Der Teufel soll in dich fahren! Ich will nichts mehr mit dir zu schaffen haben, du drohst ganz schlimm auszuarten." "Mutter, ich bin wach und bei Verstand, während ihr träumt. Am Saum geht das Loch durch den Ärmel." Sommerlied 6
1. "Nu ist der küele winder gar zergangen, diu naht ist kurz, der tac beginnet langen, sich hebet ein wunneclîchiu zît, diu al der werlde vreude gît; baz gesungen nie die vogele ê noch sît. 2. Komen ist uns ein liehtiu ougenweide: man siht der rôsen wunder ûf der heide, die bluomen dringent durch daz gras. schône ein wise getouwet was, dâ mir mîn geselle zeinem kranze las. 3. Der walt hât sîner grîse gar vergezzen, der meie ist ûf ein grüenez zwî gesezzen: er hât gewunnen loubes vil. bint dir balde trûtgespil! dû weist wol, daz ich mit einem ritter wil." 4. Daz gehôrte der mägde muoter tougen; si sprach: "behalte hinne vür dîn lougen! dîn wankelmuot ist offenbâr. wint ein hüetel um dîn hâr! dû muost âne dîne wât, wilt an die schar." 5. "Muoter mîn, wer gap iu daz ze lêhen, daz ich iuch mîner waete solde vlêhen, dern gespunnet ir nie vadem? lâzet ruowen solhen kradem! wâ nu slüzzel? sliuz ûf balde mir daz gadem!" 6. Diu wât diu was in einem schrîne versperret: daz wart bî einem staffel ûf gezerret. diu alte ir leider nie gesach: dô daz kint ir kisten brach, dô gesweic ir zunge, daz sî niht ensprach. 7. Dar ûz nam sî daz röckel alsô balde, daz was gelegen in maneger kleinen valde. ir gürtel was ein rieme smal. in des hant von Riuwental warf diu stolze maget ir gickelvêhen bal. 1. "Nun ist der kalte Winter endlich vorbei, die Nacht sind kurz, die Tage werden länger. eine herrliche Zeit bricht an, die aller Welt Freude schenkt. Schöner haben die Vögel noch nie gesungen. 2. Ein strahlender Anblick liegt vor unseren Augen: unzählige Rosen sieht man auf der Heide, die Blumen sprießen durch das Gras. Mit frischem Tau war die Wiese benetzt, auf der mir mein Liebster Blumen zum Kranze las. 3. Der Wald weiß nichts mehr von seiner grauen Farbe, der Mai hat sich auf einen grünen Zweig niedergelassen. Neues Laub hat er in Fülle. Setz schnell deinen Kranz auf, liebe Freundin! Du weißt doch, dass ich zu einem Ritter will." 4. Das hörte des Mädchens Mutter heimlich. Sie sprach: "Hör auf, es länger abzuleugnen! Dein Leichtsinn liegt offen zutage. Bind dir lieber ein Kopftuch ums Haar! Du musst ohne dein Kleid gehen, wenn du zur Tanzschar willst." 5. "Liebe Mutter, wer gab euch das Recht dazu, dass ich euch um mein Kleid erst anflehen müsste? von dem ihr keinen einzigen Faden gesponnen habt? Hört auf mit solchem Spektakel! Wo ist der Schlüssel? Schließt schleunigst mir auf die Kammer!" 6. Das Kleid war in einem Schrank eingeschlossen. Mit einem Stuhlbein wurde er aufgezwängt. Die Alte hatte nie etwas Betrüblicheres gesehen. Als das Mädchen ihren Kasten aufbrach, verschlug's ihr die Sprache, so dass sie kein Wort mehr hervorbrachte. 7. Geschwind nahm sie das Röckchen heraus, das war in viele zierliche Falten gelegt. Ihr Gürtel war ein schmales Band. In die Hand des Reuentalers warf das übermutige Mädchen ihren buntscheckigen Ball.