Die Glocke im liturgischen Gebrauch des Mittelalters

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aixlibris

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Man hört sie jeden Tag, aber man hat sich vermutlich nie so richtig Gedanken über ihre Bedeutung gemacht: die Glocken. Daher hier mal ein Thread der ganz der Glocke und ihrer traditionellen Bedeutung gewidmet ist: War die Verwendung der Glocke zum Gebetsläuten in der christlichen Frühzeit zunächst nur auf die klösterlichen Gemeinschaften beschränkt, so wurde mit dem Beginn des Mittelalters das Gebetslauten morgens, mittags und abends auch in Pfarrkirchen durch die Anordnung der Päpste Sabinian (604), Gregor IX. (1230), Johannes XXII. (1325) und Calixt III. (1457) eingeführt und durchgesetzt. Papst Sabinian führte die Bezeichnung der monastischen kanonischen Stunden (Gebetstunden) durch Glockenklang, also ein siebenmaliges Läuten, viermal bei Tag und dreimal bei Nacht, ein. Dies geschah teils mit einer, teils mit mehreren Glocken, örtlich und zeitlich unterschieden. Diese Nutzung der Glocke zum Stundengebet zunächst im mönchischen Leben wird auf den Weltklerus und die Pfarrkirchen als ,,Betglocke" übertragen, wenn auch in geminderter Form: nicht das siebenmalige Läuten, sondern das Läuten morgens, mittags und abends ist die Form des Gebetsläutens für die westliche (römische) Christenheit. Daneben tritt als weitere Form des Gebetsläutens die Wandlungs-oder Sanctusglocke und die Todesglocke, sowie später das Patemoster-Läuten während des Gottesdienstes. Das Gebetsläuten begegnet zunächst in der Gestalt des Ave-Maria-(oder auch Angelus-)Läutens. Unter dem Ave-Maria-Läuten versteht man das Läuten zum Gebet des "Englischen Grußes" ( des sogenannten "Angelus"), der täglich dreimal (morgens, mittags und abends) auf ein gegebenes Zeichen gebetet wird und dem Gedanken an die Menschwerdung Christi gewidmet ist. Wahrend dieses Läutens wird die Tagesarbeit unterbrochen und der Versikel ,,Angelus Domini" mit Responsorium und drei Ave-Maria gebetet. Das Gebetsläuten am Morgen dient seit Papst Urban II.der Forderung des Kreuzgedankens. Die Besonderheit dieses Läutens ist, daß es nicht mehr als Ruf zum Gottesdienst (etwa der Hora des mönchischen Kults) dient, sondern als Ruf der nicht am Gottesdienst Beteiligten zum Gebet, sei es zu bestimmten Tagesstunden, sei es während bestimmter gottesdienstlicher Vorgänge. Die Einführung geschah durch die obengenannten Päpste Gregor IX., Johannes XXII. und Calixt III. Welche Bedeutung man den einzelnen Arten des Gebetsläutens schon bald nach ihrer Einführung beimaß, beleuchtet eine Anordnung des Konzils von Laveaux ( 1368 ), welche allen rectores ecclesiae und Kuraten bei Strafe der Exkommunikation das Gebetsläuten morgens zur Zeit des Sonnenaufganges und abends befahl. Durch die Synode von Beziers (1369) wurde verordnet, daß bei Tagesanbruch ein dreimaliges Zeichen mit der großen Glocke gegeben werde und wer es höre, habe drei Paternoster und drei Ave-Maria zu beten.
 
Ich finde es auch schön, dass dieses Thema angesprochen wird, danke! Das Glockenläuten empfindet man als selbstverständlich, gehört einfach mit zum Tag. Jedoch habe ich mir ehrlich gesagt nie darüber Gedanken gemacht, ab wann es auch außerhalb von Klostermauern gebräuchlich wurde.
 
Danke , daß Euch mein Beitrag gefällt ! :knuddel
Das Glockenläuten empfindet man als selbstverständlich, gehört einfach mit zum Tag. Jedoch habe ich mir ehrlich gesagt nie darüber Gedanken gemacht, ab wann es auch außerhalb von Klostermauern gebräuchlich wurde.
Ja, und genauso ging es mir auch. Man macht sich einfach keine Gedanken, daß das Geläut im Grunde ein Akt der Liturgie ist, und dem Menschen im MA nicht nur die Arbeitszeiten vorgab, sondern auch je nach Glocke und Geläut auch eine Art "Nachrichtenüberträger" war. Im Zeitalter der Taschen- oder Armbanduhren vergißt man einfach die historische Bedeutung. Mir ist es erst mal richtig bewußt geworden, als ich Aachen und sein allgegenwärtiges Geläut verlassen habe, und in die Stille Schwedens gezogen bin, wo man fast nur an den Sonntagen Geläut hört. So, und für die " Spielkinder" unter Euch habe ich hier noch einen ( nicht ganz ernst gemeinten) Link, wo man selbst ein wenig den Glöckner von Notredame spielen, und wie der Teufel Glöckchen läuten kann: :D http://glocken.warendorf-freckenhorst.de/cms/start In der oberen Reihe befinden sich Glocken, die man je nach Gusto läuten kann ( flash-player vorausgesetzt und Infos unter "Glockenspiel" und am besten Variante C wählen). Aber auch die Infos auf der webseite sind ganz interessant zu lesen. Viel Spaß damit ! :D
 
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schöner beitrag. dann ergänze ich noch, dass am karfreitag abend die glocken verstummen und erst an oster sonntag in der früh wieder erklingen. am karfreitag als jesus ans kreuz genagelt wurde und starb verstummen die glocken und am dritten tage als er auferstanden ist erklingen sie wieder. vielleicht passt der ein oder andere über die osterzeit auf, ob es in seiner gemeinde auch so gehandhabt wird :)
 
dann ergänze ich noch, dass am karfreitag abend die glocken verstummen und erst an oster sonntag in der früh wieder erklingen. am karfreitag als jesus ans kreuz genagelt wurde und starb verstummen die glocken und am dritten tage als er auferstanden ist erklingen sie wieder. vielleicht passt der ein oder andere über die osterzeit auf, ob es in seiner gemeinde auch so gehandhabt wird :)
:D Stimmt, hab ich unterschlagen: Am Gründonnerstag werden die Glocken das letzte mal geläutet, die Wandlungsschellen der Ministranten werden durch Klappern ersetzt und erst in der Osternacht, also am Karsamstag, einem der höchsten katholischen Feiertage, werden zum Gloria wieder die Glocken geläutet, und dann üblicherweise im Plenum.
 
Heutzutage unterscheidet man bei Klagen gegen allzu lautes oder störendes Geläut (gibt es häufiger als man denkt) zwischen sog. liturgischem und weltlichem Geläut. Wendet man sich gegen liturgisches Schlagen, dann muss man vor den Verwaltungsgerichten klagen, weil die Kirche dann als öffentlich-rechtliche Körperschaft handelt. Stört man sich am Zeitschlag muss man vor dem Zivilgericht gegen die Kirche als Eigentümerin der Glocken auf Unterlassung klagen, denn das Zeitschlagen erfüllt heute keine öffentliche Funktion mehr. Ich hoffe, das führt nicht zu weit weg vom Mittelalter.
 
Heutzutage unterscheidet man bei Klagen gegen allzu lautes oder störendes Geläut (gibt es häufiger als man denkt) zwischen sog. liturgischem und weltlichem Geläut.
Nun, so ist es leider in unserer heutigen Gesellschaft. Ich habe mal vor Jahren als Gast an einem Campanologischen Kongress teilgenommen ( ja, so etwas gibt es auch) und es war der Klage von Anwohnern ein eigener Themenbereich gewidmet. Insofern ist es zumindestens schön, das der Mensch des MA vom Glockenklang durch den Tag geleitet wurde, und er dies auch irgendwie zu schätzen wußte. :D
 
Eine Glocke der Marktkirche St. Benedicti bei mir in Quedlinburg war nur dafür gedacht, die Bürger zur Zahlung ihrer Steuern auf den Marktplatz zu rufen. Wer seine Steuern bezahlt hatte, bekam danach von der Stadt FREIBIER!!! :trink01
 
Das tolle an Glocken ist, dass nicht wenige aus dem Mittelalter noch heute erklingen - und uns so einen (abgesehen von Klangverschiebung durch Abnutzung, partieller Korrosion...) echt authentischen Klangeindruck hinterlassen haben. Ein paar Beispiele: - die älteste, datierte Glocke Deutschlands, die Lullusglocke von 1038 - 300 Jahre später, die Große Marienglocke, von 1338 - Bienenkorbglocke St. Georg Lutter, Mitte 12. Jhd. - ein Doppelgeläut aus dem 13. Jhd., St. Georg Lutter - die Vaterunserglocke, um 1050 - für die FrühMi's, Eisenblechglocke, 8. Jhd. - die "Königin der Glocken", die Gloriosa von 1497
 
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Ja, absolut unverständlich, v.a. wenn wie im Falle der Glocke von Groß Ridsenow (Mecklenburg-Vorpommern) diese von den Dieben völlig zerstört und in Einzelstücke zerlegt wurde. :cursing: Wir sprechen hier immerhin von einer 600 kg schweren Glocke aus dem 15.Jhd. (!) die damit unwiederbringlich zerstört worden ist. :kopfwand Weitere Informationen auch hier: http://www.wamsiedler.de/tag/glockendiebstahl/
 
Schöner Thread, danke aixlibris. Glockenklau scheint ja ein richtiges Problem geworden zu sein. Gruselig! ;( Das sich einige moderne Menschen an dem Gebimmel stören, kann ich jedoch nachvollziehen, den manches Gebimmel kann echt nervtötend sein. Ich habe das Vergnügen in zwei Bimmelarealen zu wohnen. Die eine Kirche bimmelt mit einem monotonen harten Ton. Das darf man sich als penetrantes, elektronisches Bingbingbing vorstellen. Der Ton schwingt auch nicht und durch den elektronischen gleichmäßigen Impuls wirkt das entsprechend tot. Da ist man froh, wenn es vorbei ist. Zwar nicht alt, aber schöner (sie läutet gerade jetzt) ist die Konkurrenz. Lange hat das Glockenspiel geschwiegen , aber seit 2010 ist es wieder da. :thumbsup: Unter Vollgeläut wunderschön, wie ich finde. http://www.youtube.com/watch?v=60EW37JjzNY (ihr müsst ein bisschen warten bis das Glockenspiel richtig in Fahrt ist, zu Weihnachten bringt einen das schon in Stimmung )
 
Glockenklau scheint ja ein richtiges Problem geworden zu sein. Gruselig! ;(
Ja, das ist es, und ich finde so etwas sehr ärgerlich, besonders wenn es um den unwiederbringlichen Verlust von Kulturgut geht. Da nutzt es auch wenig, wenn man die Täter festnimmt, wenn die Glocke bereits komplett zerstört ist. :cursing: Und ich gebe Dir Recht, Fusselhirnchen, ein Vollgeläut ist einfach nur schön. Besonders schön: Aachen, Köln und ganz faszinierend fand ich vor Jahren das Geläut der Kathedrale von Dublin. ^^ Eine "Gänsehaut" bekomme ich auch immer, wenn ich das Video von der letzten Papstproklamation sehe: Noch herrschte Unsicherheit über die Farbe des Rauches, aber als dann so langsam die Glocken zu schwingen begannen.... Herrlich ! :)
 
Da frage ich mich ja schon, was die Schrotthändler für welche sind. Auch eine auseinander geschweiste Glocke ist immer noch als Glocke zu erkennen. Also das gibt einem schon zu denken, so kriminalistisch, meine ich. Ich bin eigentlich ein Glockenfan. Die Glocken hier im Stadtteil klingen aber nicht gut, weder von der einen noch von der anderen Kirche. Das klingt ungefähr so, wie wenn ich auf meinen größten Kochtopf mit einem Hammer draufhaue. 8| Die sind zum Glück nachts ausgeschaltet. Da ich einen leichten Schlaf habe, kann ich auch diejenigen verstehen, die nächtliches Geläut stört. Wenn ich unterwegs bin und im Hotel schlafe, reißt mich der Glockenschlag auch aus dem Schlaf. Es gibt aber wohl die Möglichkeit, die Klappen des Glockenstuhls zu verstellen, dann geht der Klang mehr nach oben als nach unten an die Häuser. Das erspart der Kirche dann unnötigen Streit und wird wohl in einigen Gemeinden so gehandhabt. Die alten Kirchen in der Umgebung haben aber sehr schönes Geläut, viele Glocken und auch sehr melodisch. Wobei ich als alter Rocker ja zugebe, dass mir der tiiiiieeefe Ton der Riesenglocken am besten gefällt. Die, die man eher spürt als hört. Solche Glocken hängen meistens in Kathedralen und werden an Weihnachten geläutet. Ach fällt mir gerade ein: mein Schwager - stammt aus einer Familie von praktizierenden Katholiken - erzählte mir einmal, dass das Totengeläut bei einem Mann einmal mehr schlage als bei einer Frau. Naja, wen wundert's. Und es gäbe noch viel mehr solcher Regeln, aber er wüßte die auch nicht mehr alle.
 
Als ich jetzt zur Weihnachtszeit im Kölner Dom war, habe ich erfahren, daß zur "Wandlung" eine der ältesten Domglocken läutet, wenn der Erzbischof die Messe zelebriert, nämlich die sog. "Pretiosa" von 1448. Eine gotische Glocke von immerhin 10500 kg (!) Gewicht im Schlagton " G". Ansonsten läutet zum Hochamt zur Wandlung die etwas kleinere "Speciosa" von 1449. Aber der "Sound" ist einfach geil ! ^^
 
Bei aller Wut und Ärger über diesen unerträglichen Vandalismus derartiger Metalldiebe sollte man aber auch die positive Seite sehen: Das Bewußtsein für die Existenz historischer Glocken ist wieder geweckt ! :thumbsup: Das Stichwort ist ja bereits gefallen, nämlich: Deutsches Glockenmuseum in Gescher. Ein Besuch dieses Museums ist absolut empfehlenswert ! ( siehe Link zur Webseite ) ^^ : http://www.gescher.de/staticsite/staticsite.php?menuid=55&topmenu=49
 

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