Ich denke in meinen letzten Post ist etwas viel herein interpretiert worden, woran meine Formulierung nicht ganz unschuldig ist. Ich hatte von diesem letzten Post bereits eine längere Version geschrieben, mich aber entschieden sie nicht abzuschicken, sondern lieber erst mal ein paar grundlegende Fragen zu stellen. gerade weil ich die Diskussion offen halten und erst einmal genauer wissen will, wie die entsprechenden Vorposts gemeint waren. Dann versuche ich mal meine eigene Frage zu beantworten:
Wie sollen subjektive Wesen (...) bitte in der Lage sein die Handlungen von ganzen Völkern über Jahrzehnte, die mehrere Generationen zurückliegen, "richtig" zu erfassen? (...) Aber warum befindet man sich nach solchen Gedanken immer noch in einem Geschichtsforum?
Wenn man den Relativismus, den ich aus Cords und Cantrifusors ersten Posts heraus gelesen habe und der auch in der zitierten Frage steckt bis zum Ende geht, dann folgt der Erkenntnis, dass es keine objektiv greifbare vergangene Realität (evtl. noch nicht einmal eine gegenwärtige Realität) gibt, als Ergebnis dass man es auch lassen kann, bzw. die angenehmen Aspekte des Hobbies (basteln, draußen Zelten, kämpfen, mit einfachen Mitteln zurechtkommen) auch im Liverollenspiel (ohne A-Gemeckere, dafür mit weichen Schwertern) umsetzen kann. Meinem beschränkten Geist kommen nun zwei Möglichkeiten in den Sinn, warum man trotzdem darauf besteht "Mittelalter" zu machen und in einem Unterforum mit dem Titel "Das historische Mittelalter" (soviel zum Geschichtsforum
) postet: 1) Es liegt einem etwas am historischen Mittelalter und man möchte den Widrigkeiten zum Trotz versuchen einer vergangenen Realität so nahe wie möglich kommen, indem man sich Grenzen und Methoden sucht/erarbeitet, die eine halbwegs verlässliche Arbeitsgrundlage ermöglichen. 2) Man bleibt aus Bequemlichkeit bei einer Bezeichnung und einem Erkenntnis-/Vermittlungsanspruch, dessen Grundlagen man selbst als zweifelhaft erkannt hat, und macht trotzdem was man will. Vielleicht auch weil man die alternativen Betätigungsfelder kindisch/lächerlich findet. Ich gehe mal optimistisch davon aus, dass die meisten für sich 1) wählen würden. Nun haben Wissenschaftler das Problem und die Wahl von 1) schon ein paar Jahre hinter sich. Die Grenzen und Methoden, die für sie eine halbwegs verlässliche Arbeitsgrundlage bilden sind erprobt. Ein paar (unvollständige) Stichworte:
Geschichtsbewusstsein - Sich bewusst sein, dass man nur ein Bild der Vergangenheit im Kopf hat, welches der realen Vergangenheit mehr oder weniger (meist weniger) ähnelt und bereit sein dieses Bild aufgrund neuer Informationen und Argumente zu ändern.
Quellenbasis - Die Gegenstände (Funde, Schriften, Abbildungen), die aus der relevanten Zeit erhalten geblieben sind, sind das Nächste was uns zu dieser Zeit verfügbar ist. Jede Interpretation, jede Theorie, jede Spekulation muss sich direkt oder indirekt auf diese Quellen stützen und bis zu diesen nachvollziehbar sein.
Quellenkritik - Um einen Gegenstand angemessen interpretieren zu können muss man möglichst viel über seine Entstehung-/Nutzungsumstände herausfinden, am besten durch Bezugnahme auf andere Quellen.
Wissenschaftlicher Disput - Jede Interpretation und jede Theorie ist immer kritisierbar. Jede wissenschaftliche Veröffentlichung ist zur Diskussion frei gegeben, wer veröffentlicht muss mit Reaktionen (optimalerweise um die Theorie kreisend, aber eben auch persönlich werdenden Ausreißern) zurechtkommen. Es ist nicht immer möglich und selten wünschenswert einen Kompromiss zu finden, wichtiger ist, dass möglichst viele Personen mit ihrem eigenen Erfahrungs- und Quellenhintergrund über die Theorie sprechen und sich einbringen. Das kann auch in einem Forum stattfinden. Daraus folgen dann Dinge und Vorgehensweisen, die hier schon beschrieben wurden. Erweitert besonders um einen Punkt der mit dem Geschichtsbewusstsein aber auch dem Disput zusammenhängt: Ehrlichkeit. Ehrlich zu sich und möglichen Zuschauern sein, was die Quellennähe der eigenen Sachen, besonders von Spekulationen und Improvisation betrifft. Denn eine auf Quellenbasis, Quellenkritik und Disput basierende Interpretation hat zwar eine größere Wahrscheinlichkeit falsch zu sein als richtig, aber eine vom modernen Menschen unabhängig von Quellen vorgenommene Spekulation ist wahrscheinlich nur im Rahmen eines Glückstreffers richtig. Wer die Quellen völlig begründet mit
Grabfunde, Ausgrabungen und dergleichen können immer nur kleine Ausschnitte wiedergeben in denen obendrein auch noch Interpretationsspielraum ist. Die schriftlichen Überlieferungen stammen meist aus kirchlicher Feder, und deren Sicht auf Wahrheiten war schon immer stark „eingefärbt“.
kritisch in Frage stellt, der sollte sich genau überlegen, wie kritisch er Problemlösungen (in Problemfelder die ebenfalls nur kleine Ausschnitte wiedergeben und obendrein auch noch von zahlreichen Vorannahmen/Vorinterpretationen geprägt sind) durch moderne Menschen (deren Denken ebenfalls stark gefärbt ist) gegenüber steht. Das heißt nicht, dass man solche Problemlösungen (gerade wenn sie für ein konsistentes Bild/funktionierendes Lager nötig sind, generell ablehnen muss. Man sollte ihnen nur dann ein angemessenes Maß an Skepsis entgegenbringen. Und diese Skepsis ist bei vielen Leuten, von denen ich annehme, dass sie einen solchen Gedankengang mitgemacht haben, so groß, dass sie diese Problemlösungen lieber vermeiden, unsichtbar sein lassen oder offensiv als unbelegt kennzeichnen. Soweit mein etwas längerer Beitrag zum Thema. Ich hoffe er ist verständlich, zum Thema passend und konsistent - und natürlich ist er zum Disput frei gegeben. Viele Grüße Sebastian Edit zu jüngsten Posts: Wissenschaftler/Dozent zu sein hat weniger damit zu tun alles in einem Feld zu wissen, als vielmehr die wissenschaftliche Methodik seines Fachs zu beherrschen und den Studenten die ersten Hintergründe und Möglichkeiten zu geben diese anzuwenden. Ausreißer gibt's überall.