Fifill
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Wie schon in meinem Vorstellungs-Thread erwähnt, hat das Thema "kämpfende Frauen" aufgrund meiner Geschlechtsidentität für mich eine besondere Bedeutung. Deshalb habe ich in den vergangenen Jahren recht umfangreiche Recherchen in diesem Bereich betrieben. Mittlerweile habe ich alle Threads durchgearbeitet, die ich hier im Forum zum Thema finden konnte.* Dabei sind mir einige Diskussionspunkte begegnet, zu denen ich womöglich noch etwas Neues beizutragen vermag. In diesem und folgenden Beiträgen möchte ich einige dieser Punkte aufgreifen und – schwerpunktmäßig auf der Basis des Artikels "The woman warrior: gender, warfare and society in medieval Europe" von Megan McLaughlin (erschienen in "Women's Studies", vol. 17, 1990, p. 193-209) – diskutieren. Obwohl der Artikel schon recht alt ist, wirkt er auf mich auch aus heutiger Sicht noch sehr fundiert und beleuchtet den Gender-Aspekt des Phänomens wie ich finde sehr aufschlussreich. Zunächst möchte ich mich der Auffassung anschließen, dass kämpfende Frauen im mittelalterlichen Europa eine Ausnahmeerscheinung waren und nicht die Regel. In Anbetracht dessen ist es allerdings erstaunlich, dass es dennoch so viele Berichte von Frauen gibt, die entgegen der vorherrschenden Rollenbilder in unterschiedlichen Situationen und aus unterschiedlichen Motivationen heraus zur Waffe griffen und in den Kampf zogen. Wie wurden kämpfenden Frauen gesehen – bloß ungewöhnlich oder eine Ungeheuerlichkeit? Ein wiederholt auftretender Diskussionspunkt ist die Frage, inwiefern es aus zeitgenössischer Sicht als zwar ungewöhnlich aber akzeptabel oder als Ungeheuerlichkeit angesehen wurde, wenn eine Frau entgegen des vorherrschenden Rollenbildes zur Waffe griff und in den Kampf zog. In diesem Punkt kommt McLaughlin zu dem Schluss, dass um das Ende des 11. Jahrhunderts herum ein Wandel stattgefunden hat, welcher sich in der Art widerspiegelt, in der die Chronisten der damaligen Zeit über kämpfende Frauen berichten. Vor Ende des 11. Jahrhunderts erwähnen die zeitgenössischen Chronisten die Teilnahme von Frauen an kriegerischen Auseinandersetzungen, ohne diese ausführlich zu kommentieren. Derartiges Verhalten wird zwar als ungewöhnlich wahrgenommen, jedoch nicht als derart ungeheuerlich, dass es einer besonderen Erklärung bedurft hätte. Ab dem Ende des 11. Jahrhunderts beginnt rollenuntypisches Verhalten von Frauen hingegen starke Reaktionen bei den Schreibern auszulösen, die davon berichten. Die Teilnahme an kriegerischen Auseinandersetzungen wird nun nicht mehr bloß als ungewöhnlich, sondern als widernatürliches Verhalten angesehen, das mit dem Wesen der Frau unvereinbar ist und somit zwingend einer Erklärung bedarf. Aus dem quantitativen Unterschied – die kämpfende Frau als seltenes Phänomen – wird ein qualitativer Unterschied – die kämpfende Frau als unnatürliches Phänomen. Diesen Wandel in der Haltung gegenüber kämpfenden Frauen führt McLaughlin auf ein stärker werdendes Bedürfnis nach klaren Rollendefinitionen zurück, das auf dem Hintergrund rasanter ökonomischer und sozialer Veränderungen zu jener Zeit aufkommt. Dadurch treten Abweichungen von der gesellschaftlichen Norm nun stärker hervor und stoßen zunehmend auf Argwohn und Ablehnung. Diese Tendenz spiegelt sich auch in Berichten aus dem späteren Mittelalter wider, in denen das kriegerische Verhalten von Frauen aus früheren Jahrhunderten in z.T. sehr negativer Weise neu interpretiert wird. Kämpfende Frauen sind nun zunehmend gesellschaftlichen Sanktionen und Feindseligkeiten ausgesetzt, anfangend bei restriktiver Gesetzgebung, über öffentlichen Spott, bis hin zum Vorwurf sexuellen Fehlverhaltens oder gar der Hexerei. Auf Basis der schriftlichen Quellen kommt McLaughlin zu dem Schluss, dass es zwischen dem 10. Und 13. Jahrhundert eine Phase gegeben hat, in der das Rollenbild der Frau weniger streng war als zuvor oder danach und dass in diesem Zeitraum rollenuntypisches Verhalten – z.B. als Frau zum Schwert zu greifen und in den Kampf zu ziehen – eher auf Akzeptanz stieß. Mich würde sehr interessieren, inwiefern ihr für die Zeit eurer Darstellung den Thesen von McLaughlin zustimmen könnt (oder auch widersprechen müsst). Kennt ihr diesbezügliche Beispiele aus den Schriftquellen? Ich habe vor, weitere Diskussionspunkte in noch folgenden Beiträgen aufzugreifen, u.a.: Kämpfende Frauen – nur in Notsituationen? Militärische Ausbildung von Frauen So weit fürs Erste… Mit freundlichem Grinsen Ilka :bye01 ---------- *Hier eine Liste, der von mir durchgearbeiteten Threads: "Weibliche Krieger?" "Gab es in Europa auch Frauen als Soldat?" "Schildmaiden – Sage oder Tatsache?" "Wikinger - Darstellungsprobleme einer Frau" "Frauenbeschäftigung?" "Quellenkritik: Bögen bei Frauen - ja oder nein?" Ich hoffe, ich habe keinen wesentlichen Thread zu dem Thema übersehen. Leider sind viele der Links in diesen Threads nicht mehr aktiv, weshalb ich diese Inhalte nicht in meine Betrachtung mit einbeziehen konnte.