Die Spezies Mensch existiert zwar mehrheitlich in 2 Grundgeschlechtsvarianten, daneben gibt es aber auch eine - alles in allem (also wenn man alle derartigen Phänomene zusammennimmt) gar nicht so kleine - Gruppe von Menschen, die sich in ihrer Identität nicht eindeutig einem dieser Hauptgeschlechter zuordnen lässt. Wir sind durch das binäre Geschlechtermodell unserer Kultur geprägt und haben gelernt, alle Varianten jenseits der beiden Hauptgeschlechter als Abweichung von der Norm - und bis vor wenigen Jahren sogar noch immer offiziell als Krankheit - zu betrachten. Viele andere Kulturen haben hingegen
die biologische Realität von 2 Hauptgeschlechtern und einer Minderheit von nichtbinären Geschlechtsvarianten ganz anders in ihren Geschlechtermodellen umgesetzt und dieser Vielfalt in Form eines 3. Geschlechts (oder sogar noch weiterer) Rechnung getragen. Das Konzept von 3 Geschlechtern ist also nicht mehr oder weniger ein Gedankenkonstrukt als das Konzept von 2 Geschlechtern mit Ausnahmen, die von der Norm abweichen.
Grundsätzlich sind Geschlechterrollen immer ein Gedankenkonstrukt der jeweiligen Gesellschaft, mit der diese die biologische Realität in der ein oder anderen Weise interpretiert. Die wissenschaftliche Regel, die besagt, dass von allen Theorien, die ein Phänomen zutreffend beschreiben, die einfachste zu bevorzugen ist - auch bekannt als "Ockhams Rasiermesser", bedeutet auch, dass jene Theorie zu bevorzugen ist, die mit weniger Sonderfällen auskommt. Und in dieser Hinsicht ist eine nichtbinäre Sichtweise* auf menschliche Geschlechterrollen der binären zweifellos überlegen. *In diesem Falle meine ich damit nicht die von mir angesprochenen traditionellen nichtbinären Geschlechtermodelle, sondern die heutige Sichtweise auf Geschlechterrollenmodelle. Ich fürchte, für dich ist deine "binäre Geschlechterbrille" so selbstverständlich, dass du gar nicht merkst, dass du sie auf hast.
Ich versuche Dir lediglich aufzuzeigen, dass Deine Herangehensweise auf falschen Annahmen beruht und so einfach nicht korrekt ist. Das ist weder wissenschaftlich noch seriös, weil Deine Prämisse nicht wertneutral ist.
Genau das gleiche versuche ich dir aufzuzeigen. Ich habe mich - aufgrund meiner persönlichen Situation - intensiv mit den Zusammenhängen von "***" (biologisches Geschlecht) und "Gender" (soziales Geschlecht) und den diesbezüglichen wissenschaftlichen Konzepten befasst und kann auf dieser Basis deiner Argumentation leider nur widersprechen.
Deine ersten Beiträge hier im Thread waren streng faktenbasiert und auch für einen Außenstehenden aufgrund der Quellen logisch gut nachvollziehbar. Und - noch wichtiger - auch nachprüfbar. Aber zumindest unsere Debatte ist mittlerweile ins polemische Geschwurbel abgedriftet, und das finde ich sehr schade.
Bevor du meine Argumentation als "polemisches Geschwurbel" mit "Bildzeitungs-Niveau" abtust, befasse dich doch bitte erstmal eingehender mit der Materie. ò.ó Meine Argumentation beruht nach wie vor auf anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen aus dem interdisziplinären Feld der Gender-Forschung. Allerding ist diese Thematik derart komplex, dass ich sie in diesem Thread eigentlich nicht noch weiter ausbreiten möchte. Bei Interesse würde ich das Thema aber in einem separaten Thread (ggf. im OT-Bereich?) noch vertiefender diskutieren. Da wir ja die ganze Zeit über ein hypothetisches 3. Geschlecht diskutieren, möchte ich mal ein Beispiel dafür geben, was man sich eigentlich darunter vorstellen kann: In den altnordischen Sagas gibt es das Motiv der Schildmaiden. Dabei handelt es sich um unverheiratete junge Frauen, die - entgegen der klassischen Frauenrolle in der Wikingergesellschaft - in die männliche Kriegerrolle wechseln und sich fortan wie ein Mann kleiden und verhalten. Es handelt sich also um eine biologisch weibliche Person, die jedoch vollständig eine Männerrolle annimmt. Wenn diese Person heiratet, legt sie die Männerrolle wieder ab und kehrt von da an in die klassische Frauenrolle zurück. Dieses Phänomen wird mittlerweile verbreitet unter dem Blickwinkel eines 3. Geschlechts diskutiert, bspw. in folgenden Publikationen:
"The Valkyrie’s Gender: Old Norse Shield-Maidens and Valkyries as a Third Gender", Kathleen M. Self "Shieldmaidens in the Gesta Danorum (I-IX) The collective literary imaginary and history", Francesca Zappatore Es gibt also zumindest in der literarischen Überlieferung der Wikingerkultur ein starkes Bild von etwas, dass sich sehr gut als 3. Geschlecht auffassen lässt (inklusive der Aspekte Crossdressing und Transgender
). Ein 3. Geschlecht definiert einen gesellschaftlich anerkannten Rahmen, in dem eine Person sich abweichend von den Rollenvorstellungen verhalten kann, die ihrem biologischen Geschlecht (genauer gesagt Personen, mit bestimmten primären körperlichen Geschlechtsmerkmalen) in der jeweiligen Kultur traditionell zugeschrieben werden. Wesentliche Aspekte sind dabei, dass die Person diese Identität vollständig annimmt - also nicht nach belieben zwischen den Geschlechterrollen hin und her wechselt oder sie gar mischt - und dass es einen bestimmten Rahmen gibt, innerhalb dessen das Verhalten als gesellschaftskonform gilt. (Und ja, ich stimme dir in dem Punkt zu, dass ein Wikingerkerl in einem rosa Tutu sehr wahrscheinlich außerhalb eines solchen Rahmens gelegen hätte.
) Umgekehrt zu den Schildmaiden gibt es in vielen Kulturen mit nichtbinären Geschlechtermodellen eine Rolle für Personen, die biologisch (primär) männlich sind, jedoch vollständig die Rolle einer Frau annehmen. Oftmals ist dafür eine spezielle Rolle vorgesehen, die mit den Aufgaben eines Priesters, Schamanen, Heilers... verbunden ist. Vielleicht hilft diese Beispiel ja noch irgendwie weiter. Ansonsten müssen wir uns für's erste glaube ich darauf einigen, dass wir bei dieser Thematik unterschiedliche Perspektiven haben.