Gedanken zur Tradierung von Formen

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Holzhammer

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Wie ich so anfange darüber nachzudenken, was ich aus dem nächsten Stück Holz mache, fallen mir die vielfältigen Formen auf, die es durch die Jahrtausende für Keramik, Holzgegenstände, Schmuck etc. gegeben hat. Viele von denen findet man durch die verschiedensten Zeiten hindurch. Sie sehen sich nicht nur ähnlich, sondern sehen durchaus gleich aus, so daß ich eine Hallstattschüssel durchaus als eine aus Haithabu ausgeben könnte. Warum also will der Reenactor unbedingt wissen nach welchem Vorbild der Hersteller der jeweiligen Ware gearbeitet hat, wenn sie doch auch durchaus auch aus einem anderen Jahrhundert oder Jahrtausend stammen könnte, ich als Hersteller sie allerdings nur eben anders tituliere?Ich fahre morgen also erst mal an die Nordsee ohne Combuter und bin very gespannt darauf Eure Antworten nach meiner Rückkehr zu lesen. Grüßle vom Kläusle
 
Nicht viele Antworten bis jetzt. Liegt vielleicht auch daran, dass es den anderen ähnlich geht, wie mir: ich musste das Wort "Tradierung" auch erst einmal googeln. Also es geht anscheinend um die Überlieferung von Formen, die so durchaus zu verschiedenen Zeiträumen vorhanden waren. Warum das dann nicht auch so sagen, wenn man danach gefragt wird? Klar will der geneigte Reenactor schon wissen, nach welchem Fund etwas gearbeitet wurde. ich kann aber auch durchaus damit leben, wenn beim Hersteller steht: Diese Form wurde im römischen Reich erstmalig erwähnt und zieht sich dann durch alle Jahrhunderte durch. Mein Lieblingskreuz ist so ein Beispiel: Ich trage zivil und auch im Hobby Repliken eines Enkolpions (Reliquienkreuz), das häufig von Pilgern aus dem Heiligen Land mitgebracht wurde. Datiert ist diese Form auf das 9.-12. Jh. (nicht nur in mehreren Auktionshäusern, sondern auch in seriösen Museenkatalogen) So what? Das war wohl über 400 Jahre ein Verkaufsschlager, warum sollte man daran was ändern? Und da ich 12. Jh. darstelle, past das immer. Das Kreuz würde ich auch in der Ottonik tragen und auch in Hastings (11. Jh.) war es immer dabei.
 
Gerade bei solch alltäglichen Gegenständen wie z.B, Teller, Schüssel und Löffel treten Formen immer wieder auf, die sich im gesamten Zeitraum des Mittelalters gleichen. Ein schlichter Teller, eine schlichte Schüssel und ein schlichter Löffel sieht eben im 9. Jahrhundert genauso aus wie im 13. Jahrhundert. Und ebenso im 17. und im 21. Jahrhundert ... einzig spezielle Verzierungen können da eine Unterscheidung sein. Aber die Dinge sind nicht immer verziert, sondern häufig einfach und unverziert. Wobei sogar Verzierungen auch über Jahrhunderte verwendet wurden, seihe die Kreisaugen - die findet man im skandinavischen Frühmittelalter und aber auch noch viel, viel später auf verschiedenensten Gegenständen. Genau so Spinnwirtel ... da gibt es Funde aus dem Frühmittelalter, die sehen haargenauso aus wie welche aus dem Spätmittelalter.
 
Halo Klaus, ich kann mich da Mara und Lisabeth anschließen. Viele Dinge sind über mehrere Epochen hinweg nahezu unverändert geblieben. Nun was heist nahezu darüber kann man sich sinnvoll und sinnfern auseinandersetzen. Aber je mehr Informationen man vergleicht um so mehr Ähnlichkeiten tauchen auch auf. Da ist es am Betrachter für sich zu ermessen welche Veränderung er noch als angemessen erachtet diese als ähnlich früherer und späterer Formen zu beurteilen. Zudem wurden durchaus zumindest im Frühen Mittelalter, Gräber der Antike geöffnet und Brauchbare Gegenstände entnommen und weiter genutzt. So bestätigte dies unlängst eine Archäologin des LVR bei einem Vortrag zu Keramik während dem Fachtag beim Frühmittelalter Markt in Wesel-Diersfordt. So bin ich geneigt dies auch für Klingen und Gläser und Schmuck anzunehemen, auch bei Gläsern finden sich Beispiele dafür. Doch ich bin kein Archäologe und daher sind meine Annahmen für einen Archäoogen rein spekulativ. Selbst Informationen in älteren Büchern werden aufgrund neuer Veröffentlicheungen auch verworfen und nicht mehr zum Vergleich akzeptiert. Bei Keramik habe ich von 2 Archäologen zwei verschieden Aussagen zu Keramik des frühen Mittelalter am Niederrhein erhalten. Eine Meinug sagte es gab nur grobe und dickwandige Keramik mit krummen Mundrand die andere Meinug hieß die Keramik war eben teilweise dünnwandig und im Mundrand geben geglättet. Bei den Glasrepliken ist zu sehen das diese durchaus abweichend zu den Originalen sind. Das Glas aus Birka Grab 539 wird in dickerer Ausführung als auch auf Wunsch in anderer Farbe angeboten als es die Beschreibung der Fundberichte aussagt. Aber das ist nicht schlimm, wenn es etwas robuster ist können wir es besser nutzen die bei Glas immer hohe Bruchgefahr ist so gemindert. Und den Archäologen ist es auch lieber wenn Repliken abweichend zu den Originalen sind, sollten wir Dinge verlieren ist ggf. die Zuordnung für künftige Archäologenbei späterem Auffinden sehr schwierig zumindest bei 1:1 Repliken. Weswegen fragen Darsteller nach der Fundlage... Einige haben sich festgelegt auf eine Fundlage oder ein bestimmtes Grab bzw. eine mehr oder weniger eng begrenzte Zeitendarstellung. Und möchten genau diese Funde oder mindestens möglichst nah an diese Funde/ Fundregion herum alles anpassen. Das funktiniert aber nicht immer - da müssen wir als Anbieter von Waren unser Wissen über Tradierte Epochenübergreifende ähnliche Funde nahebringen. Sowie soweit beweisbar, die Information beibringen das früher Bewährtes sowohl möglichst lange erhalten als auch gehandelt wurde. Vieles ist in begrenztem Maße "Massenware" ( es gab oft mehr als nur ein Stück) zum Handeln. Die von uns die Ihre Darstellung auf Fundlagen mit großen Gräberfeldern aus bekannten großen Siedungen oder Handelsstellen berufen, sollten sich auch im Klaren sein das diese dort gefunden Waren nicht alle aus der Heimischen Produktion stammen. Und etwas das nicht defekt war muss nicht weggeschmissen werden nur weil es beim Nachbarn eine neue Form z.B. eines Messers, Glases oder Kessels gab. Wir kennen nur die veröffentlichten Funde. Viele in der Szene kennen nur die Repliken die auf Märkten oder die in Facebook zu sehenden Abbildungen und verallgemeinern dies. Das ist schade, denn es gibt so viel mehr in Fachschriften, Büchern und Museen zu entdecken. Und dem Archäologen und Studenten dieser Fachrichtung erschließen sich noch weitere für uns verschlossene Quellen der nicht dokumenteirten Archive. Aber wir bekommen nicht immer diese Informationen. So stürzen sich bei Darstellung der Wikinger einige zum Beispiel auf.: Haithabu um 850 was auch immer mit "um" gemeint ist. Oder Birka Grab 750 etc... Wir werden dies nicht ändern aber können Informationen wietergeben über Dinge die vergleichbar sind. Dafür ist dieses Forum gut geeigent. Dem Kunden sollte man auf keinen Fall bewusst etwas falsch deklariert anbieten, dann besser offen mitteilen das es angenähert ist bzw. so gewesen sein könnte aber der Beleg nicht vorhanden ist. Repliken die sich auf Originale berufen die nicht veröffentlicht wurden kann ich meinem Gegenüber nicht beweisen, wenn es nicht wenigstens vergleichbares Veröffentlichtes dazu gibt. Dennoch sind Repliken z.B.: von Funden aus Privatsammlungen oder einer Archivbesichtigung zu denen eventuell nur der Anbieter Zugang hatte, Repliken oder Kopien von Originalfunden. Grüße sendet Olegsson :wiki4
 
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Dass sich die Grundformen der Gebrauchsgegenstände über Jahrhunderte hinweg und unabhängig von der Region immer wieder finden lassen - da sind wir uns längst einig! Ich will einen weiteren Punkt ansprechen: Wer selbst schon mal gedrechselt (oder auch getöpfert) hat, merkt schnell, dass die endgültige Form des Produktes sich oft erst bei der Arbeit findet. Die (gefundene) Schale oder der Becher spiegelt nicht zwangsläufig die Formensprache einer Region oder Epoche wider, sondern ist zu großen Teilen das Ergebnis des persönlichen Geschmacks und der Fertigkeiten des Handwerkers. (Jeder kennt das: "Ist nicht so geworden, wie ich eigentlich wollte...;-)" Dazu kommt noch die Inspiration durch das Ausgangsmaterial:
Wie ich so anfange darüber nachzudenken, was ich aus dem nächsten Stück Holz mache,
Die Abmessungen eines Rohlings "in der Warteschleife" geben häufig die spätere Form vor. So. Das ist jetzt keine Aufforderung, nach Lust und Laune zu improvisieren mit der Rechtfertigung "Dashabendiefrüherschonsogemacht!", sondern meine Annahme, dass viele Realien eher die Handschrift der ortsansässigen Werkstätten bezeugen. Leider sind diese kaum namentlich bekannt - und so projizieren wir deren Formempfinden auf eine ganze Region. Oder eine ganze Epoche. Und so schließt sich der Kreis: "Ja doch, der Teller ist Hintertupfingen 1428, 5. Mai, 9:28 Uhr!"- "Oh schade, ich mach 1424." 8|
 
Ist jetzt nur eine gaaanz vage Vermutung: Könnten nicht auch die als "Schaumeister" der Zünfte eingesetzten Meister dafür gesorgt haben, dass sich nicht nur eine bestimmte Fertigungsqualität, sondern auch eine einheitliche "regionale" Formensprache entwickelt hat... siehe Kuttrolfe?
 
Ich lese immer Zünfte und meisterhandwerk. Wieviele Dinge wurden schlichtweg selbst gemacht. Grade auf dem Land oder in Gebieten die erst erschlossen wurden. Wieviel davon ergab sich beim täglichen Gebrauch. Was entwickelte man weiter, was unterlag einer Spezialisierung. Ich denke das ist nicht einfach zu bestimmen. Ich sah mal eine Ausstellung über frühe Christen. . Es gab nicht nur Goldschmuck der heute noch tragbar wäre, es gab sogar Noppen Becher aus Glas. Was mich am meisten beeindruckte, waren Teller, diese waren aus Ton gebrannt, lasiert und mit einem Blumen Dekor bemalt. Nach all denn Jahrhunderten prankten die Blumen immer noch in leuchtenden Farben. Bei Ikea wären sie nicht aufgefallen.
 
Vielleicht spielt auch Ecos Mutmaßung in "Der Name der Rose" eine Rolle: "Dreierlei wirkt nämlich zusammen, um wahre Schönheit zu schaffen: erstens die Unversehrtheit oder Vollendung, weswegen uns unvollendete Dinge hässlich erscheinen, zweitens die maßvolle Proportion oder Harmonie und drittens die Klarheit oder das Licht, weswegen wir schön nennen, was von klarer Farbe ist." Vollendete Formen bleiben im Auge der Betrachter lange "schön" und somit begehrenswert... und bleiben über lange Zeit erhalten, wenn sie auch noch im Praxistest bestehen.
 
Könnten nicht auch die als "Schaumeister" der Zünfte eingesetzten Meister dafür gesorgt haben, dass sich nicht nur eine bestimmte Fertigungsqualität, sondern auch eine einheitliche "regionale" Formensprache entwickelt hat...
Durchaus! Eine gute Idee... besonders im städtischen Umfeld. Allerdings greift dies nur im Einflussbereich dieser Zünfte. Gerade im ländlichen Raum waren längst nicht alle Handwerker dem Zunftzwang unterworfen. Auch setzt das Zunftwesen (wenn ich mich nicht irre ;) ) vowiegend erst im 13./ 14. Jahrhundert ein.
 
Nochmal zu Gryphan. Du hast Recht mein Gutester, wenn ich anfangen will zu drechseln, habe ich eine bestimmte Form im Kopf, woraus dann meist doch etwas anderes wird. Wollte ich vorher eine Schüssel machen, wird es am Ende vielleicht nur ein tiefer Teller. Oder umgekehrt. Und was Lorbi meinte wegen der Formensprache . . . Da habe ich ein schönes Beispiel aus Kafaji im Vorderen Orient. Da gibt es alle möglichen Behältnisse aus Ton für Flüssigkeiten, die sich nur in der Ausformung des Randes unterscheiden. Demnach gab es dort eine weitgestreute lokale Produktion vieler Werkstätten, die alle den gleichen Typ Gefäß herstellten, nur mit dem Unterschied, das der Rand ein anderer war, sozusagen ein Markenzeichen. Ich mache da meistens drei Kreise in den Boden.
 
Was man aber nicht unterschätzen sollte, ist die Mode. Bei Mode denkt man meist an Kleidung, aber es gibt Mode in allen Bereichen. Auch bei den Dingen des täglichen Gebrauchs. Vor Jahren war die Wildrose von V&B totschick. "Jeder" wollte es haben, es stand quasi bei mindestens einer Tante auf dem Kaffeetisch. Ich denke es gab Formen die in bestimmten Zeiten einfach beliebt und oft kopiert waren, und es gab die Dinge, die nur auf den Tisch kommen, wenn es nicht so genau kommt. Möchte man eine spezielle Zeit machen, möchte man etwas für die Zeit typisches. Kein Hättesogewesenseinkönnen, sondern etwas nachgewiesenes. Deshalb fragt man. Es gibt so viele kleine Details die man mit universellen Stücken auffüllen muss, weil die Belege fehlen, oder das Kleingeld, um wirklich alles genau nach Fund zu machen. Andererseits ist man als Darsteller auch schon mal froh, ein Stück zu haben, das durchgängig durch mehrere Jahrhunderte belegbar ist. So wie Mara mit ihrem Kreuz als Beispiel. Ein Pöttchen das man grundsätzlich in der Küchenkiste haben kann, weil es über Zeiträume glaubwürdig ist und in das man immer beim kochen etwas abfüllen kann, wirst Du auch immer los werden.
 

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