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Roger
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Geburt und Ausbildung Geburtshaus von Zwingli in Wildhaus Ulrich Zwingli wurde als Sohn des Lokalpolitikers Johann Ulrich Zwingli und Maria Bruggmann am 1. Januar 1484 in Wildhaus im Toggenburg als drittes von elf Kindern geboren. Bereits im Alter von sechs Jahren verliess Zwingli sein Heimatdorf und lebte während der nächsten vier Jahre als Schüler bei seinem Onkel, dem Dekan Bartholomäus Zwingli, in Weesen. 1494 wechselte er an die Lateinschule in Basel und später an die Lateinschule in Bern. Wegen seiner grossen Musikalität hätten ihn dort die Dominikaner gern in ihr Kloster aufgenommen, doch sein Vater war dagegen. So verliess Zwingli 1498 die Aarestadt und begann als Fünfzehnjähriger sein Studium an der Universität Wien. Von 1502 bis 1506 studierte er an der Universität Basel und schloss mit dem Titel Magister artium ab. Wie viele seiner Zeitgenossen wechselte Zwingli bald nach dem Magisterexamen und ohne gründliches Theologiestudium in die kirchliche Praxis. Im September 1506 wurde Zwingli zum Priester geweiht. Die Zeit als Pfarrer in Glarus 1506–1516 Im Spätsommer 1506 wurde Zwingli als «Kilchherrn» zum leitenden Pfarrer in Glarus gewählt. Am 21. September 1506 erfolgte mit einem feierlichen Essen die Einführung in sein Amt. Warum die Glarner gerade den 22-jährigen Magister beriefen, ist unklar. Zum einen dürfte Zwingli ihnen empfohlen worden sein. Zum anderen wollten die Glarner ihren Priester selber wählen und nicht den Vorschlag des Bischofs von Konstanz übernehmen. Eigentlich sollte nämlich der einflussreiche Zürcher Heinrich Göldi die einträgliche Pfründe, d. h. die Einkünfte der Pfarrei, vom Bischof erhalten. Göldi hatte auch schon eine beträchtliche Summe nach Konstanz überwiesen. Göldi wäre damit Inhaber der Pfründe und formell Pfarrer von Glarus geworden, doch er wollte nicht nach Glarus umziehen, da er die Stelle und ihre Einkünfte als eine Geldanlage betrachtete. Die Glarner waren aber nicht an einem Pfründenjäger interessiert und wollten einen richtigen Pfarrer. Deshalb brauchten sie dringend einen eigenen Kandidaten, den sie in Zwingli fanden. Nach der Wahl Zwinglis wurde es für Göldi schwierig, das Pfarramt gegen den Willen der Glarner zu übernehmen. Um nicht leer auszugehen, verlangte Göldi eine hohe Abfindung. Zwingli musste dazu bei den Glarnern Geld aufnehmen, und die Abzahlung des Kredits machte ihm noch lange zu schaffen. Bei der Kreditvergabe zeigten sich die Glarner durchaus grosszügig. Etwas weniger entgegenkommend scheinen sie beim Pfarrhaus gewesen zu sein; dessen Unzulänglichkeiten waren den Glarnern offenkundig bewusst. Als Zwingli 1516 um die Entlassung bat, versprachen sie ihm, wenn er bleiben würde, ein besseres Pfarrhaus zu bauen. Die Glarner Pfarrei umfasste mehrere Dörfer, neben Glarus die Gemeinden Riedern, Netstal, Ennenda und Mitlödi. Der Hauptort umfasste mit Riedern zusammen rund 1.300 Einwohner. Für die geistliche Versorgung war Zwingli zusammen mit drei oder vier Kaplänen zuständig. Über die Tätigkeit Zwinglis in Glarus ist wenig bekannt. Die wenigen Zeugnisse lassen keine Kritik an der Kirche erkennen. Er las die Messe und erteilte die Absolution. 1512 schrieb er an den Papst und bat um Ablass für die Glarner. Zwingli war auch Feldprediger und nahm an den Feldzügen der Glarner für den Papst gegen die Franzosen in der Lombardei 1512–1515 teil. Der Bauernsohn Zwingli schien sehr volksverbunden gewesen zu sein. Im Laufe der Zeit lernte er wohl alle seine Kirchgenossen kennen. In einzelnen Familien hatte Zwingli mehr als nur offiziellen Zugang gefunden. So übernahm der Geistliche die Patenschaft für verschiedene Kinder. Zwinglis ungebrochene Kirchlichkeit zeigt sich auch im Bestreben, einen angeblichen Splitter des Kreuzes Jesu nach Glarus zu holen, was ihm gelang. Um den Splitter würdig aufzubewahren, musste die alte Glarner Pfarrkirche erweitert werden. Auch dafür setzte sich Zwingli mit Erfolg ein. 1510 wurde die Kreuzkapelle angebaut, die ihren Namen von diesem Kreuzsplitter erhielt. Die Glarner sprachen aber noch lange von der Zwingli-Kapelle und nicht von der Kreuzkapelle. In den Glarner Jahren bildete sich Zwingli stark fort. Mit grossem Eifer studierte er viele Werke der antiken Klassiker und die Kirchenväter. Ausserdem lernte er griechisch und konnte so den Urtext des Neuen Testaments lesen, den Erasmus von Rotterdam 1516 in einer kritischen Edition veröffentlichte. Durch den Humanisten Erasmus lernte Zwingli, den eigentlichen Sinn der biblischen Texte zu suchen und zu erkennen. Dadurch fand er einen neuen, befreienden Zugang zur Heiligen Schrift. Trotz der Abgeschiedenheit des Bergtales Glarus stand Zwingli in regem Kontakt mit den Gelehrten seiner Zeit und war dadurch stets unterrichtet über das Erscheinen neuer Bücher. Zwingli besass am Ende seiner Glarner Zeit die damals bedeutende Zahl von über 100 Büchern. Zwingli wollte sein Wissen weitergeben. Auf seine Veranlassung stimmte die Landsgemeinde 1510 der Gründung einer Lateinschule zu. Auf dieser höheren Schule konnten die Knaben Grundkenntnisse in Latein erwerben und mussten nicht eine auswärtige Schule besuchen. Zwingli wurde zum Lehrer gewählt. Zu Zwinglis Schülern gehörten eine Reihe bedeutender Glarner: Valentin Tschudi, Zwinglis Nachfolger in Glarus, Aegidius Tschudi, Chronist und Politiker, und vermutlich auch Fridolin Brunner, der spätere Reformator des Landes Glarus. In der glarnerischen und eidgenössischen Politik anfangs des 16. Jahrhunderts wurde heftig gestritten, ob mit dem Papst, dem Kaiser oder mit den Franzosen zusammengearbeitet werden sollte. In Glarus ging es konkret vor allem darum, in wessen Dienste die jungen Glarner als Söldner treten sollten. Zwingli stellte sich stets auf die Seite des Papstes, was ihm mit einer stattlichen päpstlichen Pension von 50 Gulden vergolten wurde. Im Oktober 1515 nach der Schlacht bei Marignano endete die eidgenössische Grossmachtpolitik nach einer vernichtenden Niederlage gegen die Franzosen. Danach offerierten die Franzosen einen schnellen Friedensschluss, allerdings nicht zu vorteilhaften Bedingungen. Zwingli votierte dagegen und unterstützte weiterhin den Gegenspieler der Franzosen, den Papst. In Glarus wie auch in der Eidgenossenschaft schlug die Stimmung zugunsten der Franzosenpartei um. Die Stellung des päpstlichen Parteimanns und Propagandisten Zwingli wurde deshalb unhaltbar. Zwingli musste 1516 trotz grossem Rückhalt in der Bevölkerung weichen und wurde für drei Jahre beurlaubt. Nach Glättung der Wogen hätte Zwingli wieder das Glarner Pfarramt übernehmen sollen; doch er entschloss sich 1519, nicht wieder nach Glarus zurückzukehren und nahm eine Berufung an das Zürcher Grossmünster an. Die intensiven Studien und seine Erfahrungen in Glarus wie auch in Einsiedeln hatten den bis dahin sehr kirchentreuen Priester verändert. Die Entwicklung, die in Glarus begonnen hatte, führte Zwingli in neue Bahnen, und er wurde zu einem scharfen Kritiker der damaligen kirchlichen Zustände. Mit dem Land Glarus blieb Zwingli weiterhin intensiv verbunden. Mit verschiedenen Personen korrespondierte er auch weiterhin als Zürcher Pfarrer. Die Hauptschrift «Auslegen und Gründe der Schlussreden» von 1523 widmete er dem Landsgemeindekanton. Am 12. Oktober 1522 predigte Zwingli sogar noch einmal in der Pfarrkirche Glarus anlässlich der Primiz seines ehemaligen Schülers Valentin Tschudi. In dieser Predigt wurde die Veränderung Zwinglis deutlich. Was er früher den Glarnern gepredigt habe, so sagte er, sei nicht die Wahrheit gewesen. Die Glarner sollen davon Abstand nehmen. Zwingli distanzierte sich von seiner Verkündigung in den Glarner Jahren 1506 bis 1516.