A
Amici
Guest
Jüngst wurde das Thema auf den Wust an Infos gelenkt welcher einen Neuling, einen Anfänger oder Greenhorn in der Mittelalterszene zu überrollen droht - und zwar nur im Bereich der Stoffwahl. Dies ist freilich nur ein Beispiel von vielen aber in dem Fall ist es ein guter Aufhänger für folgende Einleitung für Anfänger, denn Living History besteht nicht nur aus dem Stoff eines Kleidungstücks, nein es kommt noch dicker. Hinzu kommen Faden, Schnitt, Belegbarkeit ein Gürtel, Schuhe, Keramik, Metallurgie, Accessoires wie Taschen, Almosenbeutel, evtl Schmuck und weil einem der Kopf noch nicht genug schwirrt bitte zeitlich und regional möglich auf die eigene Darstellung bezogen. POW! IN YOUR FACE! So und nun, da wir alle kurz vor einer Herzattacke ob der schieren Gewaltigkeit dieses Unterfangens kommt der beruhigende erlösende Hinweis, Leute niemand braucht den Notarzt anrufen, alles halb so schlimm. Wenn man weiß worauf man achten muss einige Regeln beachtet und sich diese zu Herzen nimmt stellt man schnell fest, dass Eigenrecherche erstens unumgänglich ist und zweitens sehr viel Spaß macht. Kommen wir zuerst zu den limitierenden Faktoren. Das Ganze macht natürlich nur Sinn wenn man eine historisch korrekte Darstellung anstrebt oder für sich selbst den Anspruch erhebt auf belehrenden Veranstaltungen, wie Museumstagen oder Museumsbelebungen auftreten zu wollen um Besuchern zu erzählen wie eine bestimmte Epoche aus heutiger Sicht eigentlich war. Ja es dreht sich mal wieder um die Gute alte "A"-Debatte, aber nur zum Teil und da wir dieses Thema an anderer Stelle schon einmal zu Genüge hatten will ich an dieser Stelle näher nicht drauf eingehen. Recherche - warum soll ich damit Zeit verschwenden wenn doch so viele Leute schon wissen von was sie reden? Wie an anderer Stelle schon einmal ausgeführt sind wir innerhalb der LH-Szene eine kleine Gruppe von Leuten die versuchen die Fundlage unserer Zeit auszuwerten. Dies bedeutet im groben, dass wir - Funde - Abbildungen - Texte für unsere Interpretation des Menschen von Damals bemühen um dem Besucher zu Visualisieren was eine Vielzahl an Archäologen in Facharbeiten ausgewertet haben. Und genau da liegt die Crux. Mehrere Archäologen und Historiker schreiben mehrere Bücher mit ihrer Auswertung der Sachlage. Der Rahmen ist gesteckt, das Ergebnis nicht. Natürlich bewegen wir uns innerhalb der Meinung der Fachleute - dies ist die Grundlage unseres Arbeitens - aber dennoch bleibt es uns überlassen ob wir Archäologe Mayer mehr glauben schenken als Historiker Müller. Das mag der ein oder andere als abschreckend empfinden, aber tatsächlich ist es vor allem eines, nämlich spannend. Spannend weil es einem immer passieren kann, dass man auf jemand anders trifft, der selbiges Kleidungsstück anders nachgearbeitet hat oder sein Hauptaugenmerk auf ein anderes Detail gelenkt hatte. Daraus kann ein interessanter Disput entstehen der letzendlich allen hilft und niemanden schadet denn eines muss einem immer innerhalb dieses Hobbies bewusst sein. Man wächst mit der Erfahrung. Und genau deshalb ist es bedenklich und absolut unratsam einen anderen Darsteller zu kopieren. Und das aus mehreren Gründen. Erstens sollte man sich immer vor Augen führen wieviel Zeit und Mühe in den ein oder anderen Kleidungsstück steckt und wie es sich anfühlt wenn man von jemand mit einer kurzen unpersönlichen E-Mail aufgefordert wird mal eben die Schnittmuster raus zu schicken. Die Frustration ist vorprogramiert und - wenn ich mir die persönliche Meinung erlauben darf - begründet. Dieses Beispiel ist übrigens genauso passiert. "Hallo ich finde ihr rotes Kleid auf ihrer Internetseite super. Das aus dem Jahre 1474. Schicken Sie mir doch bitte das Schnittmuster zu." ... naja wenigstens hat sie bitte gesagt. Bekommen hat sie von der befreundeten Darsellerin, die diese Anfrage tatsächlich so erhielt eine - bedenkt man die Dreistigkeit - freundliche Absage. Aber es gibt noch mehr Gründe für die gemäßigte Nutzung von Sekundärquellen. Das Schlagwort ist hier Flüsterpost. Ich erwähnte eingangs, wir sind Interpreten von Fachinterpreten. Einige historische Fachleute graben und werten etwas aus. Auf Grundlage dessen erstellen wir nun ein Bild davon. Was aber wird passieren wenn ich die augenscheinlich mühsame Auswertung von Fachmeinung umgehe und die Sekundärquelle eines Darstellers bemühe, der dies doch schon einmal getan hat. Es werden Fehler entstehen. Anfangs Kleine, später Witzige zum Schluss völlig Abstruse. Das Prinzip der Flüsterpost. Ein weiteren Punkt für die Eigenrecherche ist gleichzeitig einer, den immer sehr wenig Beachtung geschenkt wird. Die persönliche Note. Das mag sich für den ein oder anderen jetzt paradox anhören. Da redet der Amici doch die ganze Zeit darüber, dass man sich an Fakten halten muss, Fakten hier, Fakten da, ja ich weiß aber betrachtet das ganze mal nicht ganz so schwarz weiß. Wie schon oben ausgeführt kann die Auswertung von ein und dem selben Fund schon unter Fachleuten unterschiedlich ausfallen. Genauso können wir uns entscheiden ob wir den einem oder anderen Fachmann unser Ja-Wort geben. Hinzukommt, vielleicht noch die Unterschiedlichen Beweggründe für ein Kleid. EIn Darsteller der ein Kleid näht mag vielleicht mehr daran gelegen sein, dass es die selbe Webart ist, der andere will beweisen, dass man mit Hand genauso dicht und eng nähen kann. Heraus kommen können zwei gleichwertig gute Endprodukte mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Und auf dieser Basis und dem vielleicht gegebenen Austausch der Erkenntnisse beider Seite entsteht ein Disput, daraus ein Wissens- und Erfahrungsaustausch und daraus neue Erkenntnisse für das nächste mal. Denn eines muss uns klar sein. Schon morgen kann eine neue Ausgrabung neue Fakten präsentieren. Bedeutet das nun also, dass ich als Anfänger nichts anziehen darf wenn ich mich im Bereich der LH betätige? Nein das bedeutet es nicht. Nahezu jede LH-Gruppe und auch etwaige Museumsdörfer haben einen Kitguide mit Mindestanforderungen. Diese sind so gehalten, dass man sich gewandet an Veranstaltungen präsentieren und orientieren kann und dennoch ein gewisses Mindestmaß erfüllt wird. Dies bezieht sich meist auf Vorgaben der Stoff- und Farbwahl sowie vorgeschlagenen Schnittmustern für die Zeitstellung. Das selbe gilt für Schuhe, Alltagskleidung und Accessoires. Unwichtig ist hierbei die Fadendichte oder Webart eines Stoffes. Das sind Fakten die interessieren erst dann wenn der jenige in das Hobby der LH rein schnuppern konnte, sich dafür entschieden hat, dass er dies machen will und - ganz wichtig - seinen Schwerpunkt hier sieht. Denn - nein - es ist nicht so, dass jeder alles wissen muss. Es gibt durchaus Spezialisierungen innerhalb der Darsteller-Gemeinde. Der eine Schneidert gerne, der andere färbt, der andere Schustert, der nächste macht Taschen, wieder wer klöpelt gerne und wer anders weiß wie man den Braten in dem Tontopf am besten und mit mittelalterlichen Zutaten kocht. Die Szene lebt von der Vielfalt. Wichtig ist, dass man seinen Platz darin findet und um diesen zu finden braucht es eine Anfangsgewandung. Hierfür bemüht man Kitguides. Diese sind wie gesagt "die Mindestanforderung mit Ende nach oben Offen!" Also gut wie recherchier ich denn jetzt? Die Basis einer Recherche ist immer Funde, Abbildungen, Text Natürlich wären uns Funde am liebsten und am aller liebsten wäre uns wenn wir diese auch noch aus dem Nachbarort hätten um die regionale Verfügbarkeit dieses Schnittmusters oder Webmusters beweisen zu können. Hierzu gibt es einige gute Bücher und Fundkataloge. Meist sind Erklärungen und Interpretationen von dem Autor mit angegeben inklusive Quellenverweise auf andere Fachbücher. Wo uns der Fundkomplex im Stich lässt bleibt uns noch der Pinsel oder Federkiel. Sei es in Bild- oder Schriftwerken kann sich der ein oder andere Hinweis verstecken. Es gibt nichts schöneres als zufällig durch eine alte Kirche zu marschieren, stirnrunzelnd stehen zu bleiben und festzustellen, dass man zu einer monatelangen Fragestellung gerade das passende Bild gefunden hat. EIn gutes Beispiel fällt mir hier der Bamberger Psalter ein. Oftmals interessiert uns an Bildern nicht die Szene an und für sich sondern welchen Gegenstand die betreffende Person in der Hand hält und uns somit darin bestärkt, dass unsere Interpetation, nämlich, dass dieser Gegenstand bei uns zu unserem gewählten Darstellungszeitpunkt, Verwendung gefunden hat. Genauso verhält es sich mit Schriftwerken. Der betreffende Händler mag es zu der Zeit als die Rechnung für einige verloren gegangene Güter in einem Schuldnergericht archiviert wurden anders gesehen haben, aber ich jubiliere wenn ich sehe welche Waren da aus Russland nach Regensburg gehandelt wurden. Eine Quelle zu haben ist meist nur ein Ansatz und es versteht sich von alleine, dass ein Fund eines Gegenstandes dem Abbild oder der Erwähnung innerhalb eines Schriftwerkes vorzuziehen ist. Aber genau da liegt der Reiz je mehr Quellen ich finde desto schärfer wird mein Bild das ich von einem Gegenstand habe. Je weniger Quellen ich habe desto mehr muss ich interpretieren. Und um hierbei nicht in den Sumpf wilder Hanebüchener Interpretationen à la "Die waren ja nicht doof damals" abzugleiten brauche ich eines, Vorkenntnisse über die Materie sei es handwerklich oder theoretischer Natur, aber das ist ein neues Thema was ich behandeln will wenn ich meine Finger wieder spüre. Was fehlt? Ach ja: Fazit: Was betreiben wir hier also? Schnitzeljagt? Die Antwort ist einfach, denn sie ist .... ja.
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