Das einzige Leder welches für den Bau einer Rüstung, aufgrund seiner Materialstärke, geignet wäre ist Rindsleder. Wild, Ziegen und Schafsleder sind zu dünn dazu. Ein Rind war im Frühmittelalter ein unglaublich wertvolles gut welches nur im äußersten Notfall geschlachtet wurde. Zum Herstellen einer Lederschuppenrüstung benötigt man, wie ich aus eigener Erfarung sagen kann da ich mir dummerweise mal eine gebaut habe, mindestens eine halbe moderne Rinderhaut. Einmal ganz davon abgesehen das die damaligen Rinder erheblich kleiner waren, war auch Stabieles Leder ein wertvolles gut.
Das kann man aber auch anders rechnen. Nach der klassischen frühmittelalterlichen Rechnung war ein Schuppenpanzer 12 Kühe wert. Komplette Kühe, nicht bloß deren Haut. So gesehen ist also eine Lederrüstung mit gerade mal einem Zwölftel dieses Preises, die leckeren Steaks noch gar nicht berücksichtigt, also geradezu ein Schnäppchen für eine Rüstung. Kurzer Exkurs: Ich mag diese Kuhrechnungen grundsätzlich nicht, weil daraus mit schöner Regelmäßigkeit irgendwelche mehr oder weniger hahnebüchenen Schlussfolgerungen gezogen werden bezüglich der fürstlichen Kostbarkeit von Rüstungsgütern. Der Umstand, dass eine Metallrüstung mit 12 Kühen zu Buche schlägt, eine komplette Panzerreiterausstattung mit etwa 45 Kühen, führt immer zu der Behauptung, dass ein solcher Krieger nahezu unbezahlbar war außer für die Allerreichsten. Denn, so das Argument, 45 Kühe entsprechen - grob geschätzt, denn so genau weiß das dann doch irgendwie keiner - dem kompletten Kuhbestand eines ganzen Dorfes. Daraus folgt, dass man sich für eine Panzerreiterausstattung ein ganzes Dorf hätte kaufen können. (Fehler Nummer 1: Nicht das Dorf, sondern nur die Kühe desselben!) Daraus folgt ferner, dass sich das eigentlich niemand leisten konnte. (Fehler Nummer 2: Doch, das taten offenbar einige, denn der olle Kalle hatte durchaus einige Panzerreiter) Was bei der ganzen Preisvergleicherei, die ja durchaus auf Fakten beruht, aber übersehen wird, ist der Umstand, dass wir schlicht nicht wissen, was den nun eine Kuh wert war. Der Vergleich ist also mehr oder weniger wertlos, außer, man legt willkürlich die Kostbarkeit einer Kuh fest, was zwar in Ermangelung konkreter Belege völlige Phantasterei ist, aber irgendwie professionell wirkt. Da müsste man jetzt schon tief einsteigen und Rechnungsbücher von Klöstern oder ähnlich trockene Quellen wälzen, um da halbwegs brauchbare Vergleichswerte zu finden. (Beispiel aus dem Rechungsbüchern des Klosters Monte Cassino für die Zeit Kaiser Justinians, also späte römische Kaiserzeit: 1 Ochse: 40 Denare, 1 Panzerrüstung: 50 Denare. Zu frühen Karolingerzeiten dann 1 Ochse 24 Denare, eine Panzerrüstung 216 Denare. Na, bei den Römern funktionierte die Rüstungsindustrie offenbar noch...) Und selbst dann kommt man noch zu dem Ergebnis, dass die realen Werte regional verschieden waren. Aber auch jetzt weiß ich nur, wie viel die Rüstung konkret in Geld wert war. Das ist zwar schon mehr als vorher, aber immer noch nicht wirklich hilfreich, solange ich nicht weiß, was etwa ein Handwerker so üblicherweise verdiente. Zur gleichen Zeit, wohlgemerkt, denn 100 Jahre später kann sich das schon wieder völlig verändert haben. Inflation ist kein modernes Phänomen. Man flüchtet sich dann gerne in die Feststellung, dass es immerhin der Kuhbestand eines ganzen Dorfes sei und das ja dann doch irgendwie ganz doll viel wert sein muss. Mal ein moderner Vergleich, um die Schwächen der so unausrottbaren Kuhwährungs-Gedankengänge zu verdeutlichen: Eine Kuh kostet heutzutage um die 1000 Euro. Ein VW Golf in der Grundausstattung um die 20.000 Euro. Für ein Auto, noch nicht mal ein großes, besonders luxuriöses, muss ich also 20 Kühe hinlegen. Das entspricht dem Kuhbestand eines ganzen Hofes. Ach, warum geh' ich nicht gleich in die Vollen: Das sind mehr Kühe, als in der gesamten Nürnberger Innenstadt zu finden sind! Für einen VW Golf kann ich mir also, nach der obigen Logik, die gesamte Nürnberger Innenstadt kaufen! Trotzdem fahren zigtausende von den Dingern auf unseren Straßen rum. Soviel zur Logik. Zurück zur Lederrüstung im Speziellen:
Leder bietet außerdem Schafen Waffen kaum nennenswerten wiederstand. (auch das haben wir selbst schon ausprobiert) Egal ob das Leder Wachs- oder Wassergehärtet war oder ungehärtet, die Waffen durchdrangen es wie Butter. Mehrer Schichten Kleidung hingegen leisteten mehr wiederstand, auch wenn sie natürlich auch nicht wirklich schutz bieten.
Trotzdem gab es grundsätzlich in der Geschichte Rüstungen aus Tierhaut, ob nun Leder oder Rohhaut oder sonstwie. Als Beispiel möchte ich nur den wunderbar erhaltenen skythischen Lederlamellar im Metropolitan in New York erwähnen. (Bitte selber googlen, Bild oder Link ist ja böse) Warum, wenn das Zeug so überhaupt nichts bringt, hat sich denn über Jahrhunderte immer wieder mal jemand die Mühe gemacht, so was zu bauen und zu tragen? Das kann jetzt erst mal verschiedene Gründe haben: 1. Die hatten's halt drauf, im Gegensatz zu uns. Das ist so unwahrscheinlich nicht, denn unsereins macht mal an ein, zwei Wochenenden ein paar laienhafte Versuche, während die Jungs damals jahrhundertelange Erfahrung hatten. Da ist es schon möglich, dass die ein paar Tricks draufhatten, die der engagierte Laienhistoriker nicht kennt. 2. Übersetzungs- oder Interpretationsfehler. Die zeitgenössischen Wörter müssen nicht unbedingt "Leder" bedeuten, sie können durchaus auch "Rohhaut", "Fell" oder andere Bedeutungen haben, was bei einer Übersetzung möglicherweise falsch interpretiert wurde. So wissen wir etwa durch diverse Sagas, dass es einen Wikingerhäuptling gegeben hat, dessen Rüstung aus "Rentierhaut" fast undurchdringlich war. Was die Knaben allerdings mit dieser Rentierhaut angestellt haben, damit sie so trefflich schützt, das wissen wir leider nicht. Jedenfalls sind solche Experimente, so interessant sie auch sein mögen und so viele sinnvolle Fragen sie auch aufwerfen, leider kein historischer oder archäologischer Beleg. Dass wir das nicht vernünftig hinbekommen bedeutet noch lange nicht, dass die das damals auch nicht hinbekamen und schon gleich gar nicht, dass es das nicht gab. Was es allerdings bedeutet, ist, dass man sich da mal Gedanken machen sollte, weil da irgendwo, irgendwie irgendwas nicht so ganz eindeutig ist. Ich sag's nochmal: Das ist keine Absolution für friesische Lederrüstungen. Dafür haben wir keine Belege, somit sind sie grundsätzlich reine Spekulation. Es ist aber der Versuch einer Erklärung, weshalb man mit den verbreiteten Argumenten, die eben gerne als "Fakten" verkauft werden, vorsichtig sein muss.