Zu meinem Glück entsteht mein Selbstbild größtenteils aus meiner Selbstwahrnehmung und ist kaum von generalisierenden Vorverurteilungen anderer abhängig. Was mich aber nicht davon abhält, mich über mir Unliebsames zu beschweren. Auffällig erscheint mir die Bezeichnung des Mittelalters als "dunkle Zeit" und die Ablehnung der "Glorifizierung" selbiger. Ohne zu hinterfragen, ob tatsächlich glorifiziert wird und vor allem ohne zu hinterfragen, ob der Glorifizierung als solcher etwas Ablehnenswertes innewohnt. Die "dunkle Zeit" beinhaltet jedenfalls ein starres Gesellschaftssystem, das kaum soziale Veränderung für den Einzelnen bereithält. Das scheint mir für die meisten, die eine "dunkle Zeit" postulieren, das Hauptmerkmal zu sein - dieser Mangel an Freiheit verursacht durch die Fremdbestimmung durch Obrigkeit und Kirche. Im Gegenzug bestand dafür in wesentlich größerem Ausmaß die Möglichkeit, sich durch selbstbestimmte Arbeit selbst zu verwirklichen und seinen Arbeitsalltag selbst einzuteilen. Ebenso wurden die Grundlagen für die persönliche Existenz zumeist selbst und direkt hergestellt. Das ist nun mal so in einer Gesellschaft, deren Existenzsicherung auf Landwirtschaft beruht, die von einem Großteil der Bevölkerung betrieben wird. In unsere postmodernen postindustriellen Gesellschaft hat sich das Ausmaß an Freiheit nicht erhöht. Lediglich die Bereiche in denen Freiheit oder vermeintliche Freiheit stattfindet haben sich verschoben. Geh mal zu einem mittelalterlichen Bauern und sag ihm, er soll gefälligst um 7 Uhr morgens sein Zuhause verlassen und 8 Stunden ununterbrochen für Fremde schuften und darf in der Zeit nicht heimgehen oder andere Tätigkeiten (wie etwa Flöte spielen während dem Schafehüten) ausführen. Und die Hälfte von dem was er verdient muss er abgeben. Für diese Abgabenquote und dieses Ausmaß an Frondiensten hätten vor 1000 Jahren alle Burgen gebrannt. Tatsächlich könnte man auch von einer Enteignung der Bevölkerung sprechen. Zwar haben mittlerweile alle Geld (wer keines hat bekommt welches vom Staat), aber kaum einer verfügt über Produktionsmittel. Also kaum einer kann kann sich selbst versorgen, weil keiner Geld herstellen kann - und ohne Geld (und den Staat, der dieses zur Verfügung stellt und den Wert garantiert) kann keiner seine Existenz sicherstellen. Weil im Gegensatz zum armen Mann der dunklen Zeit der Großteil der modernen Bevölkerung keine Möglichkeit hat sich Ziegen und Hühner in seiner selbstgebastelten Hütte zu halten (das ist ja heute alles durch den Staat streng und teuer geregelt) kann auch keiner der Abhängigkeit entkommen. Die Kirche der dunklen Zeit konnte glaubhaft das Paradies versprechen - inklusive Schritt-für-Schritt-Anleitung und Erfolgsgarantie. In unserer modernen Gesellschaft darfst du dir den Weg ins Paradies selber suchen. Ohne Garantie, ohne Sicherheit. Nur mit ganz viel Vielleicht und der Zuversicht, dass man nicht zu intensiv glauben darf. Solche Typen wie dieser Franz aus Assisi, der behauptet, dass Gott ihm im Schlaf erscheint und daraufhin als Einsiedler lebt, gelten heutzutage als verrückte Penner und werden psychiatriert (also unter Freiheitsentzug mit bewusstseinsveränderten Substanzen behandelt). Insofern erscheint mir die zweifellos oftmals vorhandene Regression keinesfalls infantil sondern vielmehr als das Aufzeigen alternativer Gesellschafts- und Existenzmodelle. Wer bereits mit der Präsentation historisch überlieferter Lebensalternativen überfordert ist hat auch keine Offenheit und kein Empfindungsvermögen für neue Alternativen. Solche intoleranten Charaktere sind zentnerschwere Klötze an den Beinen der Evolution der menschlichen Gesellschaften. Solche Menschen sind schuld daran, dass alles bleibt wie es ist. Solche Menschen tragen die Verantwortung dafür, dass nichts besser werden kann.