Mittelalterliche Bautätigkeiten: Was gibt es schon?

This site may earn a commission from merchant affiliate links, including eBay, Amazon, and others.

Heidensohn

Well-known member
Registriert
11. Okt. 2010
Beiträge
732
Reaktionspunkte
337
Ort
0815 Diesesforumwurdevonärschengekauft
Die Diskussion um die geplant Errichtung einer "Klosterstadt" nach dem Vorbild des Plans von St. Gallen hat mich daran erinnert, dass ich von ähnlichen Projekten inzwischen schon mehrfach gehört habe: Immer ging es darum etwas mittelalterlich zu bauen, dann zu beleben und touristisch zu nutzen. Aber ich habe bei den Geschichtsparks, Mittelalterzentren, Historienerlebnisarealen, usw. den Überblick verloren. Um die jetzige und auch zukünftige Diskussion um solche Projekte zu vereinfachen würde ich hier gerne Links und Kurzbeschreibungen (über Finanzierung, Verlauf, Status, Nutzen für Anwohner/Betreiber, Scheitern) solcher Projekte sammeln. Je umfangreicher die Angaben sind desto besser, also bitte freimütig ergänzen und gerne auch diskutieren.
 
Ich fange mal mit der Einrichtung an, die ich am besten kenne: Der Histotainment Park Adventon bei Osterburken Gegründet und geleitet von Michael E. Wolf, wird als GmbH privatwirtschaftlich geführt, erhält keine (oder nur sehr geringe kommunale) Fördergelder. Der GmbH mit etwa einem halben Dutzend festen Angestellten steht ein Förderverein zur Seite. Plan ist es eine mittelalterliche Stadt mit mittelalterlichen Materialien und Arbeitsweisen entstehen zu lassen, ergänzt um ein Gromi-(Verkaufs)-Areal im von Anfang an bestehenden neuzeitlichen Hofkomplex und einem Wikinger/Slawen-Areal auf dem Bereich hinter der Stadt. Es ist gedacht, dass die GmbH eigene Gebäude möglichst historisch korrekt durch eigenes Personal und freiwillige Helfer errichtet und zugleich Parzellen an Personen der Mittelalterszene verpachtet werden, die eine geringe Pacht zahlen und auf der Parzelle unter Anleitung und Hilfe des GmbH-Personals möglichst historisch korrekt Gebäude zur eigenen Nutzung errichten (und dem Förderverein beitreten - also offiziell "Siedler" sind). Die Arbeiten begannen Mitte/Ende 2004. Inzwischen stehen einige Siedlergebäude in einfachen Holzbauweisen, die offiziell nur Übergangshütten oder Nebengebäude noch folgender Stadthäuser sind. Die GmbH hat den Hofkomplex und Arbeitsbereiche komplett (bis zu einem Brand diesen Winter...) hergerichtet und neben Kleinarbeiten ein erstes Stadtnebengebäude in Ständerbauweise mit sehr sauberen Lehmflechtwerkfachungen errichtet. Für bald 8 Jahre Bauzeit sieht man erschreckend wenig. Das Wikingerlanghaus war nach Absprung der gesamten Wikingergruppe (bis auf einen) eine Bauruine, nur am Grubenhaus wurde kontinuierlich gearbeitet. Inzwischen hat sich eine neue Wikingergruppe geformt, die den Frühmi-Bereich stark vorantreibt. Mit dem "Beerenwein-Haus" hat sich erst nach 4 Jahren ein Händler zu einer Bautätigkeit im Stadtbereich entschlossen - das Ergebnis ist einem Schuppen näher als einem Haus. Das nur als Beispiele. An allen Wochenenden wird mittelalterlich gearbeitet. Die Qualität der Gewandung ist dabei stark von den Ansprüchen des Helfers abhängig die Handwerker haben sich aber gut ausgestattet (und ihre Kleidung wirkt durch konstante Arbeitsnutzung unglaublich "echt"). Holzschuhe wurden vom Bauamt und Arbeitschutz im ebenerdigen Betrieb als S1-Sicherheitsschuhen gleichwertig anerkannt. Es gab und gibt Pläne für homi-Schnürschuhe (Modell Konstanz) mit Stahlkappe, für die aber noch kein kostengünstige Hersteller gefunden wurde. In den Öffnungszeiten ist das Gelände auch für die "modernen" Fahrzeuge (vom 70er-Jahre-Traktor bis zur Schubkarre) tabu. Versuchsäcker und Gehege mit "alten" Tierrassen bestehen, Weide wird u.A. auf den Abgrenzungswällen der Parkplätze geerntet. Grundsätzlich vorhandene historisch/wissenschaftliche Ansätze/Wünsche müssen im Betrieb oft hinter wirtschaftlichen und rechtlichen Zwängen zurückstehen, bleiben aber bestehen. Die Umsetzung des bisher einzigen GmbH-Hauses ist mustergültig. Die Siedlerhäuser von schwankender Qualität, aber sehendswert. Die Veranstaltungen, die auf dem Gelände laufen sind zu einem guten Teil auf Besucherzug und nicht auf qualitätvolle Darstellung ausgelegt (solche Veranstaltung finden aber auch statt). Das Projekt besteht nach 8 Jahren und ungezählten Problemen noch, es ist nicht auf Fördergelder angewiesen und ich traue dem Geschäftsführer zu hartnäckig und wenn es sein muss skrupellos an seiner Vision zu arbeiten. Für Langzeitbeobachtung gerade was Besucherzahlen angeht scheint es mir sehr gut geeignet, da Erfahrung und Ressourcen bei der Werbung reichlich vorhanden sind.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Die Bachritterburg bei Kanzach Eine "Rekonstruktion an neuem Ort" einer hochmittelalterlichen Turmhügelburg mit kleiner Vorburg. Ich zitiere zur Entstehung mal die Internetseite:
Die Geschichte der Bachritterburg hätte wohl geendet, wäre da nicht 700 Jahre später, kurz vor Weihnachten 1998, Karl Banghard, der damalige Bauleiter des Steinzeitdorfes in Bad Buchau auf den Plan getreten. Ihm gelang es, Gemeinderat und Bürgermeister für seine Idee zu begeistern. Kanzach sollte die erste Rekonstruktion einer mittelalterlichen Niederadelsburg wagen. Gebaut wurde bereits 2000 nach den Forschungsergebnissen von Dr. Tilman Mittelstraß (Grabungsbefund eines hölzernen Wohnturmes der ehemaligen Wasserburg Eschelbronn im Kraichgau). Die Einweihung am 24. Juni 2001 wurde zum großen mittelalterlichen Spektakel. Schon zwei Jahre später wurde nach den Plänen von Dr. Stefan Uhl und Burkhard Lohrum mit dem Bau der Vorburg begonnen. Nach nur einjähriger Bauzeit konnte am 1. April 2004 die durch eine Vorburg erweiterte spätmittelalterliche Niederadelsburg neu in Betrieb genommen werden. Die Bachritterburg erlebte jetzt unerwartete Besucherströme. Schon 2006 konnte der 100.000 Besucher begrüßt werden. Gestützt auf das von Dr. Siemers konzipierte Burgbelebungskonzept, indem regelmäßig professionelle Museumspädagogen und Living-History-Darsteller die Anlage bewohnen, sieht sich die Gemeinde für ihr mutiges Vorgehen belohnt, denn jährlich kommen zwischen 25.000 und 30.000 Geschichtsinteressierte in die in Europa einzigartige idealtypische Rekonstruktion einer Niederadelsburg.
Danach und aus dem Impressum zu schließen ist es eine kommunale Einrichtung. Damit dürfte die finanzielle (Weiter-)Existenz gesichert sein. Gebaut wurde alles innerhalb von eineinhalb Jahren mit schwerem Gerät, moderner Technik, aber (so wird zumindest behauptet) nach mittelalterlichen Formen, Vorgehen und Material. Ein weiterer Ausbau ist nicht geplant, bis auf Burgbelebungen ist die Präsentation statisch. Das Living-History-Belebungsprogramm ist tatsächlich in seiner Qualität für Süddeutschland einzigartig. Interessant um zu sehen, wie ein sich kaum änderndes Objekt ohne gezeigte Bautätigkeit auf Publikum wirkt.
 
Geschichtspark Bärnau - Tachov Ein 2008 begonnenes Projekt mit starker Beteiligung und Beobachtung aus dem akademischen (oder zumindest archäologischen...) Umfeld. Ziel ist ein Gelände, das sowohl eine frümittelalterliche slawisch-frühdeutsche Siedlung, eine Turmhügelburg, als auch eine hochmittelalterliche Siedlung umfasst, sowie ein modernes Informationszentrum. Das Projekt kann auf gute wissenschaftliche Kompetenz zurückgreifen, ist aber von Fördergeldern abhängig (Lage an der Grenze zu Tschechien und eine Außenstelle auf der anderen Grenzseite bringen auch Gelder für "internationales Projekt"). Seit 2010 wird gebaut und die Fortschritte sind ordentlich. Es hat sich aber gezeigt, dass letztendlich ähnlich wie im Adventon nur etwa 1/3 der Gebäude komplett in mittelalterlicher Handarbeit erreichtet werden wird. Beim Rest kommen zu Gunsten eines schnelleren Baufortschritts moderne Maschinen (Kräne, Sägen, usw.) bei generell mittelalterlichen Techniken (keine modernen Nägel, Oberflächen mit modernen Werkspuren werden wo sichtbar von Hand nachbearbeitet) zum Einsatz. Auch hier hat die Historizität also ihre Grenzen. Und aus einem privaten Gespräch mit einem zufällig getroffenen der Einrichtung nahestehenden Person glaube ich mich zu erinnern, dass gerade im Bereich des Brandschutzes (Lehmkuppelöfen in strohgedeckten Holz-Lehm-Häusern ohne Kamin und direktem Abzug) noch viele Fragen offen sind, man aber bereit ist im Zweifelsfall einfach drauflos zu bauen. Noch traue ich mir kein urteil zu ob es nur ein Steuergeldergrab wird. Die wissenschaftlichen Ressourcen sind da, wie sie sich letztendlich niederschlagen bleibt zu erwarten. 2012/13 werden wir mehr wissen.
 
Nicht mehr gnz in Deutschland, aber nur ein paar Kilometer dahinter: http://www.jomsborg-vineta.com/ Frühmittelalterliche Interpretation einer slawisch/ wikingischen Siedlung, die immer weiter ausgebaut wird. Und einmal im Jahr den Standort für Internationale Festival Wolin liefert. Wenn man im Norden ist, lohnt sich schon mal der Besuch, auf alle Fälle.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Heute in der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung: Die Burg Steinbrück könnte zu einem bundesweiten Zentrum für mittelalterliche Kultur und Handwerkskunst werden. Mit diesem Konzept wurde die Burg nun an ein Paar verkauft, die diese Burgruine nun mit mittelalterlichen Methoden sanieren und wieder aufbauen möchte. Auch soziale Veranstaltungen, Museums-Bereiche, Lesungen, Märkte und Workshops sind geplant. Mehr infos hier: http://www.castrum-steynbrugge.de/
 
Kann man nur hoffen, das dieses Projekt auf Dauer Bestand hat und nicht nur einer der vielen bunten Luftballons im Mittelalterburg und - park Bereich ist , die dann einfach zerplatzen. Ich erinnere nur an den Themenpark Weltentor – in Ronneburg (Thüringen) bei Gera – dieser hatte am 14. November 2008 mit einem Wintermarkt seine Pforten geöffnet. Am 1. August musste leider das Insolvenzverfahren eröffnet werden. Gerade mal 9 Monaten und aus der Traum ... ;(
 

Neueste Beiträge

Oben