Mythos vom armen "Landadel"

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Die Frage war, ob es armen (Land) Adel gab. Den gab es mit Sicherheit, ein Lehen konnte durchaus klein sein und nicht sehr viel abwerfen. Bei der Beschäftigung mit Grimmelshausen las ich folgendes: " Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen stammte aus einer verarmten Adelsfamilie, die aus dem thüringischen Dorf Grimmelshausen an der Werra kam und sich im 16. Jahrhundert in Gelnhausen angesiedelt hatte................ Grimmelshausens Großvater, ein Bäcker und Gastwirt, legte seinen Adelstitel 1592 ab." Einer meiner Vorfahren kaufte sich und die seinen samt Hof von der verarmten Familie von Langen frei. Gruß René
 
Natürlich gilt das nur für einen eingeschränkten Zeitraum, Frühmittelalter oder Spätmittelalter sind schon wieder ganz andere Geschichten. Ausserdem muss man beachten, dass das auch geographisch zu sehen ist, in Österreich wars mit Ministerialen ganz anders als am Rhein, in Frankreich war die Struktur ganz anders und von Italien brauchen wir gar nicht anfangen ;-)
 
In Frankreich zum Beispiel ( zur Zeit des Sonnenkönigs ) wurde der Adel nach Paris befohlen und mußte dort auch wohnen, damit der König seine Adligen besser im Auge behalten konnte. Ich finde, nun tun sich zwei Fragen auf: Warum sollte es in den Zeiten vorher nicht auch diese Strategie gegeben haben? Wäre armer Landadel dann vielleicht ein Adliger, der nicht mächtig und damit wichtig genug war und daher weiter auf dem Land leben konnte? Grüsse vom Niederrhein
 
Nein, das war nur ein armer Mensch, dessen Lehen oder Job nicht genug abwarf, um standesgemäß zu Leben. Nun, im zentralistischem Frankreich mag es diese Regelung gegeben haben. Funktioniert aber nur wenn der Herrscher die entsprechende Macht hat. Oder es drängte sich alles um sich im Glanze des Palastes, um Posten usw. feilschend dem Sonnenkönig den Allerwert.... zu küssen. Unter dem Tokugawa Schogunat in Japan herrschte in der Tat Residenzpflicht in Edo, dem späteren Tokyo. René
 
Nun, was die französischen Adligen angeht, die beim Sonnenkönig leben durften / mussten: Das waren die eigentlichen armen Hunde. Nur die engste Entourage wurde nämlich vom Herrscher verköstigt, speiste an seiner Tafel und bewohnte gratis prächtige Räumlichkeiten. Die nächste Stufe musste sich schon mit weniger zufrieden geben, bekam das (meist schon kalte und zerkochte) Essen aus der Schlossküche in die wenig komfortablen Gemächer geliefert. Alle anderen mussten Miete zahlen. Wer Glück hatte, konnte auf einem kleinen Herd selbst kochen; der Rest, der keinen Herd im Zimmer hatte, konnte sehen, dass er irgendwo etwas Essbares herbekam - meist recht teuer aus der Schlossküche gekauft. Top gestylt musste man natürlich trotzdem rumlaufen und so hatte manch Edler mehr Schulden als Läuse unter der Perücke!
 
hallo, wenn ich zeit habe arbeite ich meine familienchronik durch. adel ist nicht immer gleich reichtum, es gab auch viele ich schreib hier mal bauern/landwirte mit landbesitz ( in meinemfall burgähnlich ausgebaute/befestigte anwesen)die für ihre leistungen bei feldzügen in den adelstand erhoben wurden (Herrenstand/>Ritterstand). die konnten ihr erwirtschaftetes geld glaube ich kaum in lauter edel kleidung stecken, da gabs wohl nur ein sonntags/repräsentationsgewand. das meiste wanderte wie heute in den ausbau der "firma" und in die aufgebote die sie für feldzüge zu stellen hatten nicht zu vergessen der zehnt und die abgaben an die obrigkeit. ich denke mal der niedere adel war zwar gut aber zweckmäßig gekleidet wo auch der wohnort eine rolle spielen dürfte (norden/süden /berge/tal/meer usw.)
 
du kannst deine familie bis ins mittelalter nachweisen? Respekt! Buchempfehlung: Jan Keupp, "Die Wahl des Gewandes"
 
Aber der eigentliche Punkt an der Sache ist doch der Darstellerische Aspekt an dem Ganzen. Wenn es wirklich so verarmte Adlige gab, dass sie sich die prunkvolle Kleidung nicht leisten konnten, dann können sie sich auch das Pferd nicht leisten oder die Dienerschaft, sie müssen Land verkaufen, selber im Haushalt und am Feld mithelfen usw, wie auch immer man das sich ausdenkt, wie stark der Adelige betroffen ist. Am Ende hat dieser Adlige also nicht mehr Land oder Besitz oder Kleidung als ein Bauer oder Handwerker. Ergo zieht sich der Darsteller an wie ein Bauer oder Handwerker. Aber was ist dann der Sinn dahinter, zu sagen, dass man adelig ist? Genauso gut könnte man doch dann auch einfach einen Handwerker oder Bauern darstellen, denn alles, was man darstellerisch umsetzen kann in dieser speziellen Form der Darstellung entspricht dem, was man auch in der Darstellung eines Bauern oder Handwerkers machen würde. Also wo liegt der Sinn darin, so etwas darzustellen? Für den Besucher ergibt sich daraus überhaupt kein Mehrwert, denn was er sieht und beobachtet ist das selbe, was der Handwerker nebenbei auch macht. Genauso gut könnte ich eine Ratsherrentochter darstellen, die aus irgendwelchen dubiosen Gründen zur Prositution gekommen ist. Am Ende stelle ich aber auch einfach nur eine Hure dar. Also was soll dann diese Hintergrundinformation, dass ich eigentlich ja einem besseren Stand angehöre? Meine These dazu lautet: Es ist eine gelungene Ausrede für alles, was man sich so in den Kopf setzt und was im Bild des Handwerkers fehl am Platz ist bzw um Dinge zu rechtfertigen, die man aus eigener Bequemlichkeit heraus macht. zB ein fettes Schwert zur Bauernkleidung oder ein dicker Gold-Fürspan am naturbraunen Wollköper. Aber das finde ich ist darstellerisch einfach nur der falsche Ansatz.
 
Was ist daran so außergewöhnlich das man seine Familie bis ins Mittelalter zurück verfolgen kann? Das kann ich auch, bis ins 14 Jhdt als Ministeriale in Spielberg.
 
Ich denke mal, wir kennen maximal 20% von dem, wie es damals wirklich war, wahrscheinlich viel weniger. Uns allen, die wir jetzt darauf bestehen nur das zu zeigen, was man auch genauestens belegen kann sollte daher klar sein, dass wir damit im Endeffekt ein genauso verfälschtes Bild wiedergeben wie manch normaler Markteilnehmer, nur auf wesentlich höherem Niveau. Aus dem einfachen Grund, dass alle Nuancen zwischen 21% und 100% fehlen, die das Mittelalter bot. Ob es Sinn macht, eine Ratsherrentochter, die zur Prostitution gekommen ist darzustellen, oder gleich eine Hure; stelle ich mal so hin, ich selber sehe das auch nicht ganz. Aber der Werdegang, warum eine Frau Hure wurde dürfte wieder interessant sein. Für mich ist es daher vielleicht nicht ganz von der Hand zu weisen einen ärmeren Adeligen zu zeigen, auch wenn man damit eigentlich einen Bauern darstellt. Somit hätten wir zumindest wieder eine Facette mehr und kämen von unserer "vereinheitlichten Uniform" ein wenig weg. Wenn ich interpretiere, dass es den armen Adeligen nicht gegeben hat; dann hat kann jemand anderes natürlich auch interpretieren, das es ihn gab, vorausgesetzt er hat gute und stimmige Argumente die dafür sprechen. Wobei ich selber Goldfürspan auf naturbraunem Wollköper für gewagt halten würde, da ich, wenn ich kein Geld und Hunger habe, mich im Normalfall von der Goldfibel trennen würde. Bei einem Schwert mag es etwas anders aussehen, das brauchte man wohl gelegentlich. Die Frage hier wäre, wieweit man Abstriche macht und was noch im Rahmen sein könnte, ohne das es völlig daneben liegt. Und wieviel Mut man hat, sich mal die einzelnen Nuancen vorzunehmen, allerdings erst nach einer guten und fundierten Recherche. Sei es um zu zeigen, so hätte zum Beispiel ein Adeliger unter bestimmten Voraussetzungen auch aussehen können. Zugeben muss ich aber leider auch selber, dass ich mittlerweile ebenfalls zu den Leuten gehöre, die nur das zeigen, was man irgendwie belegen oder aus gegebenen Fakten interpretieren kann. Ich weiß aber auch, das ich so garantiert ein verfälschtes Bild wiedergebe und ganz wichtig, erwähne es grundsätzlich auch in den Gesprächen, die ich mit Publikum führe.
 
@ Martina Sehr guter Beitrag - gut geschrieben und sehr gut argumentiert. Find ich echt gut. Grüsse vom Niederrhein
 
Ja, Martina, ich bin voll bei dir, wenn du sagst, du findest ungewöhnliche Darstellungen super, aber in dem Fall macht es einfach überhaupt keinen Sinn. Das sind Szenarien für szenische Darstellung im Theater oder für historische Romane, meinetwegen auch für schriftliche Aufarbeitung, aber nichts für die Living History. Denn du kommst nie und nimmer dazu, einem Besucher oder Außenstehenden die gesamte Geschichte deines Charakters zu erzählen - so plausibel und elegant sie auch gemacht zu sein scheint - so dass er es auch mit nach Hause nimmt und versteht, dass er hier eine Ausnahmedarstellung gesehen hat. Der Besucher wird immer nach Hause gehn und sagen ja klar, so sieht ein Adeliger aus, mit abgerissenen Fersen und speckiger Bundhaube. Solche Darstellungen sind etwas nicht nur für fortgeschrittene Darsteller, die solche Themen auch fachgerecht aufarbeiten, sondern auch für fortgeschrittene Besucher, die nicht fragen "leben sie immer in diesen Zelten?". Und so weit ist die Szene leider auf beiden Seiten noch lange nicht. Für mich ist ein verarmter Adeliger genau das selbe wie ein plündernder Wikingerhäuptling oder ein Söldner, der alles mitnimmt, was er kriegt beim Kämpfen oder der Erbenkel eines Kreuzritters, der arabische Technik mitgebracht hat und Kaffee zu seinem Frühstücksbrei trinkt. Es sind in 99,9% aller Fälle einfach nur lahme Gromi-Ausreden, die sich auf dem "aber es könnte ja so gewesen sein, oder hast du einen Gegenbeweis"-Niveau bewegen.
 
Denn du kommst nie und nimmer dazu, einem Besucher oder Außenstehenden die gesamte Geschichte deines Charakters zu erzählen - so plausibel und elegant sie auch gemacht zu sein scheint - so dass er es auch mit nach Hause nimmt und versteht, dass er hier eine Ausnahmedarstellung gesehen hat. Der Besucher wird immer nach Hause gehn und sagen ja klar, so sieht ein Adeliger aus, mit abgerissenen Fersen und speckiger Bundhaube.
Umgekehrt kann ich jetzt aber auch behaupten, dass der Besucher, der nicht mit dem Darsteller ins Gespräch kam, davon ausgeht, da hat jemanden einen Bauern dargestellt. Denn warum sollte der Besucher auf die Idee kommen, an einen Adeligen zu denken, wenn er garnicht weiß, was dargestellt wurde? Auch kann ich behaupten, dass der Besucher, der nicht mit den Darstellern richtig ins Gespräch kommt davon ausgeht, dass ein Adeliger immer nur in Seidenbrokat rumgelaufen ist, weil gerade auf dieser einen Veranstaltung auf der er war, eben nur ein Adelsdarsteller mit Seidenbrokat-Cotte rumlief .......... Ich kann also dem Besucher unwahrscheinlich viel unterstellen, wenn ich denn wollte. Daher sehe ich das Ganze auch ein wenig differenzierter, siehe meine Begründung oben. Und letztendlich sind wir doch alle durch die fehlenden 80% ein bisschen "Gromi". Es gibt keine perfekte Darstellung, wir machen alle mehr oder weniger nur eine Anlehnung, "so könnte es gewesen sein".
 
Moin, die Ausgangsfrage war doch, ob es den armen (Land)-Adel gab; nicht ob seine Darstellung Sinn macht. Und die Frage ob es ihn gab ist klar mit ja zu beantworten. Die Frage, wie sich ein damaliger Adliger als arm bezeichnet werden wir wohl nicht klären können. Als Bauer unter Bauern, als Bettler unter Bettlern? Die Spanne reicht weit. Darstellerisch ist er dann natürlich nicht von Nichtadligen zu unterscheiden. René
 
die Ausgangsfrage war doch, ob es den armen (Land)-Adel gab; nicht ob seine Darstellung Sinn macht. Und die Frage ob es ihn gab ist klar mit ja zu beantworten.
Fein! Dann beleg doch mal bitte den armen Landadel .. solange du das nicht kannst gilt nämlich: Klares NEIN .. es gab keinen verarmten Landadel!!
 
Ist es nicht eher ein klares Wir wissen es (noch) nicht?
Sehe ich genauso. Die Frage wäre dann nämlich auch, gibt es umgekehrt konkrete Belege, das Adelige NIE verarmt sein konnten.
 
es gab auch hochadel der kein geld hatte und es sich bei seinen fürsten/untertanen leihen musste. siehe 30j. krieg habsburger haus, der kaiser musste wallenstein mit ländereien die wallenstein für ihn erobert hatte bezahlen da er pleite war warum also sollte der niedere adel nicht auch mittellos sein und auf pump leben. mann kann eben nicht alles mit bildern oder schriftlich belegen, es gibt auch die mündliche überlieferung. bitte jetzt nicht den vergleich mit der stillen post, das meiste wurde über generationen mündlich weitergegeben und erst nach jahrhunderten aufgezeichnet und wenn wir ehrlich sind bilder zeigen auch nicht immer die wahrheit. heute machen wir das mit bildbearbeitung am pc damals halt der maler mit pinsel.
 
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