finde ich eine Garnitur aus Leinenhemd, knielanger seitlich mit Geren versehener naturfarbener Wolltunika ohne Besätze oder Verzierungen, Bruchenvariante, Beinlingen, einfachen Wendeschuhen und Wollkappe für einfache Männer zwischen 800 und 1300 universell - unabhängig vom "Volk".
Nun ja, das ist (nicht nur) im FMA in etwa so verbreitet wie zwei Arme, seitlich am Körper. Damit machste also nie was verkehrt. Das ist vergleichbar mit der Beschreibung eines Autos als "4 Räder, ein Motor und ein Lenkrad, dazu eine Sitzgelegenheit". Also auf die absoluten Basics reduziert. Das ist insofern tatsächlich für den allergrößten Teil des mitteleuropäischen FMA passend, als Du Dich um die Details, bei denen Unterschiede erkennbar wären, wie etwa Besätze und Ornamente, rummogelst. Über die Geren streiten sich die Gelehrten. Manche sagen "ja", andere sagen "nicht immer". Wenn Du nun auch Farbe jedweder Art weglässt, hast Du tatsächlich die oben beschriebene Auto-Analogie. Wie sollte eine Tunika denn nun sonst auch sein... Also auch hier: Ja, klar, das passt natürlich für den (arg) einfachen Mann. Definiere "Variante". Jedenfalls haben wir hier das erste, über das man streiten kann. Sowohl zeitlich wie auch regional. Problem: die Unterwäsche ist in Abbildungen eigentlich nie erkennbar, reale, auswertbare Funde überaus rar. Wir Karolinger sind höchstwahrscheinlich aus den Windeln raus bzw noch nicht drin, wir können noch richtige Unterhosen. Die Abbildungen und Funde belegen hier oft genug echte Hosen. Allerdings kommen in der späten Karolingerzeit in der Tat die ersten Beinlinge auf. Soll heißen: Da kannste Dich in die Nesseln setzen. Wenn Du einen Karolinger, Sachsen, Friesen, Briten, Alemannen, Bajuwaren, Langobarden, Skandinavier etcetera um 800 darstellen willst, sind Beinlinge raus. ... Siehe Pafnutii. Im Übrigen liefen bei den Franken auch die Frauen oft genug barhäuptig herum, ebenfalls so ein Szenemythos mit dem Kopfbedeckungszwang. Wenn Schutz vor Sonne, Wind, Regen angebracht, dann etwa Strohhut, Kappe, vielleicht auch was Gugelartiges. Die prygische Kappe, für die Pafnutii sich entschuldigt hat, wäre für einen Karolinger problemlos belegbar. Im Stuttgarter Psalter sind nahezu alle Männer barhäuptig, wenn sie nicht einen Helm oder eine prygische Kappe tragen, vereinzelt auch einen Stirnreif. (Die Kronen lass ich jetzt mal weg) Das mit der Belegbarkeit ist so eine Sache und die Darstellung leidet etwas unter ein paar Szenemythen und ungeschriebenen Szenegesetzen, die vor Jahren von der in erster Linie selbsternannten Elite der FMA-Darstellung in die Welt gesetzt worden sind und die sich bisher als unausrottbar erwiesen haben. Das mit den Kopfbedeckungen ist so einer dieser Mythen, deren Entstehung ich beim besten Willen nicht nachvollziehen kann, weil schon ein oberflächlicher Blick in die Bildquellen genügt, um ihn vollständig zu widerlegen. Ich vermute, diese Mythen sind entstanden, weil irgendein elitärer Szenepapst halt selber so was hatte, stolz (weil selbstgemacht) zur Schau trug und dann jeden abfällig anschaute, der das nicht hatte und auf die Frage nach dem Beleg aggressiv wurde, um seine eigene Unwissenheit zu verschleiern. Aber das ist ein ganz eigenes Thema. Jedenfalls, und da bin ich ganz bei Dir, gibt es in der Folge für so ziemlich jedes Völkchen eine Standard-Darstellung, nicht nur für Wikinger. Abweichungen werden günstigstenfalls sehr skeptisch angesehen. Standard-Argument ist: "Ja, wenn Du davon abweichst, ist es halt nicht mehr ein typischer [beliebiges Volk einsetzen]". Das ist in der Form natürlich schon arg naiv. Es gibt vielleicht ein "typisches" Stuttgarter-Psalter-Männchen, aber eben keinen typischen Karolinger. Man beschreibe mir bitte mal einen "typischen" Franzosen. Das Ergebnis wird eine Karikatur sein, die mit der Realität herzlich wenig gemein hat. Genau so vielfältig war mit Sicherheit das FMA. Kein Angriff der Klonkrieger. Bei den Farben der Kleidung etwa beruht die Uniformität der Kontinentaleuropäer der Merowinger bis Karolingerzeit in erster Linie darauf, dass die interessierten Laien der ersten Stunde halt in ihrer Anfangszeit erst mal nur eine Handvoll Farben selbst färben konnten. Diese Farben - ein etwas helles Waidblau, ein leicht ins Rostrote gehendes Krapp, ein etwas olives Goldruten-Grün und Zwiebel- Birken- oder Reseda-Gelb. Und natürlich viele Varianten von Zahnbelags- bis Kackbraun, auf die der Färber als sein Erstlingswerk verständlicherweise unheimlich stolz war. (wär ich ja auch...) Mit dem Ergebnis, dass jeder Frühmittelalterdarsteller, der mitspielen wollte, in genau diesen und keinen anderen Farben herumzulaufen wagte. In der Regel beruhen viele dieser "Standard-Darstellungen" nicht auf konkreten Belegen, sondern schlicht auf Gruppenzwang. Ein anderer Grund für die auffällige Einheitlichkeit von FMA-Kitguides ist die dünne Fundquellenlage. Da Bild- und noch mehr Schriftquellen sehr interpretationslastig sind, lehnen manche Hobbyisten diese als Quelle für eine textile Rekonstruktion rundweg ab und verlangen ausschließlich Fundquellen. Das ist aber leider für etliche Bereiche des FMA in etwa so ambitioniert wie die Forderung nach dem Weltfrieden. Die wenigen brauchbaren, weil halbwegs gut erhaltenen Funde werden wie Ikonen herumgereicht und nachgebaut. Ob das eine Thorsberghose ist, die einem als Karolinger aufgedrängt werden soll (Karolinger ab 752 n.C., besagte Hose wird derzeit - das wechselt hin und wieder mal, selbst die Experten sind sich da nicht einig - auf 2. bis 4. Jhdt n.C. datiert...) oder die Sankt-Afra-Treter als
der FrühMi-Schuh schlechthin. Regionale und zeitliche Unterschiede sind nebensächlich, wenn man den einzigen Fundbeleg unter's Volk bringen will, den man kennt. Ein dritter Grund ist die Fehlinterpretation von Grenzen, seien sie räumlich oder zeitlich. Es ist ja nun mitnichten so, dass nördlich des Inns alle rote Wadenwickel trugen und südlich davon weiße. Selbst wenn die politischen Grenzen zur Abwechslung mal halbwegs klar gewesen sein sollten, die kulturellen und ethnischen waren es nie. Gerade in den Grenzregionen lebten Franken, Thüringer, Bajuwaren und Alemannen nebeneinander. Die stilistischen Unterschiede zwischen einem Bajuwaren und einem Franken waren an meinen heutigen Wohnort im Jahre 800 erheblich geringer als die Unterschiede zwischen einem Franken hier und einem Franken in Tours. Den "typischen" Franken festzulegen ist ein Ding der Unmöglichkeit. Schon innerhalb
einer Ethnie sind die stilistischen Unterschiede zum Teil gewaltig. Im Gegensatz dazu ein Franke aus Köln und ein sächsischer Edler, der sich mit den neuen Machthabern arrangiert hat und seine Stellung behalten möchte: Kaum ein Unterschied.