Parallelschlüsse bei skandinavisch/slawischen Darstellungen

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Die "Standart-Wiki-Tracht" hat ihre Ursache wohl in der etwas dünnen Fundlage und zum zweiten wie angesprochen, in Szenen-Legenden/Modestömungen... Vor der Naalbindingmütze war die Filzmütze mit dickem Fellbesatz... usw. Beinlinge scheinen ja im Hafen von Haithabu gefunden worden zu sein, jedoch wie trug man diese bzw. was drunter? Schon eine Bruche? Gab es sofort neben den Beinlinge die Bruche dazu, oder erst Beinlinge die zusätzlich über eine Hose gezogen wurden? Wann wurde dann die Hose weggelassen? Würde mich schon interessieren. Für mein Gefühl (!) wäre Beinling mit Bruche im skandinavischen Raum um 900 (& auch 1000) sehr früh. Weiss da jemand etwas? Ich lass mich gerne überzeugen.
 
Nachtrag zum Buch von M. Toplak: Eine Sache gefällt mir darin gar nicht. Zitate werden in der original Sprache ohne Übersetzung gebracht. Doof wenn man kein Latein oder Altnordisch beherrscht.
 
finde ich eine Garnitur aus Leinenhemd, knielanger seitlich mit Geren versehener naturfarbener Wolltunika ohne Besätze oder Verzierungen, Bruchenvariante, Beinlingen, einfachen Wendeschuhen und Wollkappe für einfache Männer zwischen 800 und 1300 universell - unabhängig vom "Volk".
Nun ja, das ist (nicht nur) im FMA in etwa so verbreitet wie zwei Arme, seitlich am Körper. Damit machste also nie was verkehrt. Das ist vergleichbar mit der Beschreibung eines Autos als "4 Räder, ein Motor und ein Lenkrad, dazu eine Sitzgelegenheit". Also auf die absoluten Basics reduziert. Das ist insofern tatsächlich für den allergrößten Teil des mitteleuropäischen FMA passend, als Du Dich um die Details, bei denen Unterschiede erkennbar wären, wie etwa Besätze und Ornamente, rummogelst. Über die Geren streiten sich die Gelehrten. Manche sagen "ja", andere sagen "nicht immer". Wenn Du nun auch Farbe jedweder Art weglässt, hast Du tatsächlich die oben beschriebene Auto-Analogie. Wie sollte eine Tunika denn nun sonst auch sein... Also auch hier: Ja, klar, das passt natürlich für den (arg) einfachen Mann. Definiere "Variante". Jedenfalls haben wir hier das erste, über das man streiten kann. Sowohl zeitlich wie auch regional. Problem: die Unterwäsche ist in Abbildungen eigentlich nie erkennbar, reale, auswertbare Funde überaus rar. Wir Karolinger sind höchstwahrscheinlich aus den Windeln raus bzw noch nicht drin, wir können noch richtige Unterhosen. Die Abbildungen und Funde belegen hier oft genug echte Hosen. Allerdings kommen in der späten Karolingerzeit in der Tat die ersten Beinlinge auf. Soll heißen: Da kannste Dich in die Nesseln setzen. Wenn Du einen Karolinger, Sachsen, Friesen, Briten, Alemannen, Bajuwaren, Langobarden, Skandinavier etcetera um 800 darstellen willst, sind Beinlinge raus. ... Siehe Pafnutii. Im Übrigen liefen bei den Franken auch die Frauen oft genug barhäuptig herum, ebenfalls so ein Szenemythos mit dem Kopfbedeckungszwang. Wenn Schutz vor Sonne, Wind, Regen angebracht, dann etwa Strohhut, Kappe, vielleicht auch was Gugelartiges. Die prygische Kappe, für die Pafnutii sich entschuldigt hat, wäre für einen Karolinger problemlos belegbar. Im Stuttgarter Psalter sind nahezu alle Männer barhäuptig, wenn sie nicht einen Helm oder eine prygische Kappe tragen, vereinzelt auch einen Stirnreif. (Die Kronen lass ich jetzt mal weg) Das mit der Belegbarkeit ist so eine Sache und die Darstellung leidet etwas unter ein paar Szenemythen und ungeschriebenen Szenegesetzen, die vor Jahren von der in erster Linie selbsternannten Elite der FMA-Darstellung in die Welt gesetzt worden sind und die sich bisher als unausrottbar erwiesen haben. Das mit den Kopfbedeckungen ist so einer dieser Mythen, deren Entstehung ich beim besten Willen nicht nachvollziehen kann, weil schon ein oberflächlicher Blick in die Bildquellen genügt, um ihn vollständig zu widerlegen. Ich vermute, diese Mythen sind entstanden, weil irgendein elitärer Szenepapst halt selber so was hatte, stolz (weil selbstgemacht) zur Schau trug und dann jeden abfällig anschaute, der das nicht hatte und auf die Frage nach dem Beleg aggressiv wurde, um seine eigene Unwissenheit zu verschleiern. Aber das ist ein ganz eigenes Thema. Jedenfalls, und da bin ich ganz bei Dir, gibt es in der Folge für so ziemlich jedes Völkchen eine Standard-Darstellung, nicht nur für Wikinger. Abweichungen werden günstigstenfalls sehr skeptisch angesehen. Standard-Argument ist: "Ja, wenn Du davon abweichst, ist es halt nicht mehr ein typischer [beliebiges Volk einsetzen]". Das ist in der Form natürlich schon arg naiv. Es gibt vielleicht ein "typisches" Stuttgarter-Psalter-Männchen, aber eben keinen typischen Karolinger. Man beschreibe mir bitte mal einen "typischen" Franzosen. Das Ergebnis wird eine Karikatur sein, die mit der Realität herzlich wenig gemein hat. Genau so vielfältig war mit Sicherheit das FMA. Kein Angriff der Klonkrieger. Bei den Farben der Kleidung etwa beruht die Uniformität der Kontinentaleuropäer der Merowinger bis Karolingerzeit in erster Linie darauf, dass die interessierten Laien der ersten Stunde halt in ihrer Anfangszeit erst mal nur eine Handvoll Farben selbst färben konnten. Diese Farben - ein etwas helles Waidblau, ein leicht ins Rostrote gehendes Krapp, ein etwas olives Goldruten-Grün und Zwiebel- Birken- oder Reseda-Gelb. Und natürlich viele Varianten von Zahnbelags- bis Kackbraun, auf die der Färber als sein Erstlingswerk verständlicherweise unheimlich stolz war. (wär ich ja auch...) Mit dem Ergebnis, dass jeder Frühmittelalterdarsteller, der mitspielen wollte, in genau diesen und keinen anderen Farben herumzulaufen wagte. In der Regel beruhen viele dieser "Standard-Darstellungen" nicht auf konkreten Belegen, sondern schlicht auf Gruppenzwang. Ein anderer Grund für die auffällige Einheitlichkeit von FMA-Kitguides ist die dünne Fundquellenlage. Da Bild- und noch mehr Schriftquellen sehr interpretationslastig sind, lehnen manche Hobbyisten diese als Quelle für eine textile Rekonstruktion rundweg ab und verlangen ausschließlich Fundquellen. Das ist aber leider für etliche Bereiche des FMA in etwa so ambitioniert wie die Forderung nach dem Weltfrieden. Die wenigen brauchbaren, weil halbwegs gut erhaltenen Funde werden wie Ikonen herumgereicht und nachgebaut. Ob das eine Thorsberghose ist, die einem als Karolinger aufgedrängt werden soll (Karolinger ab 752 n.C., besagte Hose wird derzeit - das wechselt hin und wieder mal, selbst die Experten sind sich da nicht einig - auf 2. bis 4. Jhdt n.C. datiert...) oder die Sankt-Afra-Treter als der FrühMi-Schuh schlechthin. Regionale und zeitliche Unterschiede sind nebensächlich, wenn man den einzigen Fundbeleg unter's Volk bringen will, den man kennt. Ein dritter Grund ist die Fehlinterpretation von Grenzen, seien sie räumlich oder zeitlich. Es ist ja nun mitnichten so, dass nördlich des Inns alle rote Wadenwickel trugen und südlich davon weiße. Selbst wenn die politischen Grenzen zur Abwechslung mal halbwegs klar gewesen sein sollten, die kulturellen und ethnischen waren es nie. Gerade in den Grenzregionen lebten Franken, Thüringer, Bajuwaren und Alemannen nebeneinander. Die stilistischen Unterschiede zwischen einem Bajuwaren und einem Franken waren an meinen heutigen Wohnort im Jahre 800 erheblich geringer als die Unterschiede zwischen einem Franken hier und einem Franken in Tours. Den "typischen" Franken festzulegen ist ein Ding der Unmöglichkeit. Schon innerhalb einer Ethnie sind die stilistischen Unterschiede zum Teil gewaltig. Im Gegensatz dazu ein Franke aus Köln und ein sächsischer Edler, der sich mit den neuen Machthabern arrangiert hat und seine Stellung behalten möchte: Kaum ein Unterschied.
 
In der Regel beruhen viele dieser "Standard-Darstellungen" nicht auf konkreten Belegen, sondern schlicht auf Gruppenzwang.
Ist aber auch irgendwie interessant zu beobachten. Immerhin liegt der Entstehung und Entwicklung von Re-enactormoden die gleichen Dynamik zugrunde, die auch echte Trachten formen :D (bitte jetzt keine Diskussion darueber ob hier das Wort Trachten angebracht ist).
 
Nachtrag zum Buch von M. Toplak: Eine Sache gefällt mir darin gar nicht. Zitate werden in der original Sprache ohne Übersetzung gebracht. Doof wenn man kein Latein oder Altnordisch beherrscht.
In wissenschaftlichen Arbeiten aber üblich, da die eigene Übersetzung bereits eine Interpretation darstellt und tendenziös geprägt sein kann
 
Man beschreibe mir bitte mal einen "typischen" Franzosen.
Kein Problem: Krachlederne Hose, Rot-weißkariertes Hemd, Filzhut mit Gamsbart, dazu ein Bierkrug(1Liter) und ein Teller mit Schweinshaxe, wahlweise Wehrmachtshelm und Knobelbecher. Ach nee, das is ja gar kein Franzose... prost1
 
Nachtrag zum Buch von M. Toplak: Eine Sache gefällt mir darin gar nicht. Zitate werden in der original Sprache ohne Übersetzung gebracht. Doof wenn man kein Latein oder Altnordisch beherrscht.
Wenn du was Übersetzt haben willst (gult auch für alle anderen) und es ist nicht zu lange, dann kann ich es gerne Übersetzen, bin sowohl in Latein als auch Altwestnordisch Lektürefähig :) Das Buch werde ich mir auch mal besorgen bzw. ausleihen, klingt sehr interessant :)
 
Mir ist am Wochenende wieder was ähnliches aufgefallen, nur irgendwie andersrum. Es gibt ja diese Gruppen, bei denen jeder Darsteller seine Zeit und Ansprüche selbst festlegen darf. Klammern wir mal König Leonardo II. von Carbone aus, bleiben noch verschiedene Sachen die ihre Geschichte verschieden genau erzählen können, zum Beispiel niederer Adel erstes Viertel 13. Jahrhundert in Süddeutschland, oder Wikinger Olaf Björnsson aus dem Jahr 974 aus einem kleinen Dorf in Südwest-Norwegen, der 200 Jahre lang schwer am linken Bein verwundet auf dem Schlachtfeld herumgeirrt ist und sich dann 1189 einer Gruppe Söldner auf dem Weg zum Dritten Kreuzzug angeschlossen hat und dabei der einzige ist, der noch offen den alten Glauben ausübt. Sprich, mal ernsthafter, mal verrückter zusammengedichtet. Also ein ohne höheres Konzept zusammengewürfelter Haufen, Unterschiede vor Allem in Kleidungsschnitten, Materialien sind überall Leinen und mehr oder weniger grobe Wolle, Schmuck gibt es wenig, Waffen und Rüstungen liegen in den Zelten und alle stehe zusammen irgendwo im Lager rum. Ab und zu hat man da mal einen auffälligen Hut oder eine Pumphose, aber im Großen und Ganzen ergibt sich trotzdem ein äußerst einheitliches Bild. Ich bin kein großer Freund von sowas, trotzdem bin ich überrascht, wie gut etwas ernsthafteres Grobmittelalter funktioniert. Und warum funktioniert das? Weil sich tatsächlich modetechnisch gar nicht sooo viel tut in der Zeit von 800-1300. Es sind eher die Details, die aber untergehen, wenn nicht die ganze Gruppe das ganze Ziel verfolgt. Ob der oberschenkel- bis knöchellange Kittel jetzt Geren hat oder nicht und wie viele und wo die im Einzelnen angesetzt sind fällt kaum jemandem auf, der Kittel verdeckt den Hintern und damit die wichtigste Unterscheidungsmöglichkeit von Beinlingen und Hosen. Ab dem Spätmittelalter wirds dann natürlich deutlicher, weil figurbetonter und der Hintern plötzlich sichtbar ist. Für den Touri wird schwer zu unterscheiden was nun Mittelalter und was Middelalder ist, weil es in einigen Fällen tatsächlich schwer zu unterscheiden ist. Hier setzt meiner Meinung nach dann aber die Verantwortung des Darstellers ein. Wenn man auf Veranstaltungen lagert, statt sie nur zu besuchen, betreibt man sein Hobby eben nicht nur für sich selbst, sondern auch für den Zuschauer, dann ist es mehr als ein einfacher Campingausflug mit Kostümen. Hochwertig wird es nur, wenn man als Gruppe arbeitet, nicht als Einzelperson die sich nichts vorschreiben lassen will."Weiß ja keiner" sollte kein Argument sein, ich brauch was, hab aber gerade nicht das passende dafür schon eher. Von dieser Verwechselbarkeit kann man als Darsteller aber auch profitieren, ohne den Zuschauer zu verarschen, eben die Parallelschlüsse aus der Threadüberschrift. Es gibt in Region X keinen Beleg für Beinkleider, aber in Region Y tragen sie zeitgleich Hosen? Oder es gibt den Beleg für Beinlinge, aber erst 20 Jahre später? Dann wären meiner Meinung nach Hosen, Beinlinge und unten ohne legitim, solange man ehrlich damit umgeht. Schwierig wird dabei natürlich, dass man auf Märkten selten die Gelegenheit bekommt, über solche Sachen aufzuklären. Dazu müsste man nämlich mit den Touristen reden, die schauen aber meistens nur aus der Distanz mal hin, sagen sich so war das damals und gehen wieder. Suchen sie das Gespräch und fragen zum Beispiel wann man sich wo so gekleidet hat, kann man direkt erzählen dass das im Jahr X im Ort Y so war, wobei die Hose reine stilistisch passende Interpretation ist, weil es dazu keine erhaltenen Originale gibt. Vielleicht sollte man wie im Zoo eine Tafel aufhängen was da im Einzelnen zu sehen ist. Touris lesen gerne. Und zwar laut vor.
 
Jep, das fände ich auch sehr cool. Eine Tafen mit allen teilen drauf aufgelistet, und daneben welche Zeit welcher Ort und vielleicht ein Fundbild. Auch für die Mastermyrwerkzeuge praktikabel.
 
Vielleicht sollte man wie im Zoo eine Tafel aufhängen was da im Einzelnen zu sehen ist.
Das habe ich meiner Gruppe für Märkte vorgeschlagen. Also eine gesamte Tafel fürs Lager, da wir eh alle die gleiche Zeit/Region darstellen. Hätte mir das in etwas so vorgestellt: "Norwegen, 860-910 n.Chr., Großbauer (Hersir) mit regionaler Autorität und sein Gefolge" Also ohne Details, dann würd's sicher jeder beim Vorbeigehen durchlesen. Leider waren die anderen alle dagegen, eben weil "das ist ja wie im Zoo".
 

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