Erwachsene, die manchmal Probleme sehen, wo Kinder keine haben. Und ja, ich würde bestimmte Begriffe und ihre Bedeutung zum Thema machen. Ich habe 18 Jahre mit Kindern in einem sozialen Schmelztiegel gearbeitet. In unserem Haus waren 120 Kinder aus 32 Nationen, verschiedenen Glaubens, verschiedener sozialer Herkunftsfamilien. Sozialverhalten wurde ständig eingeübt und eingefordert. Es war immer möglich (wenn auch manchmal mühsam) mit den Kindern über Probleme zu sprechen. Ich hätte es als unlauter meinen Kindern gegenüber empfunden, wenn ich ihnen manche Passagen "schöngelesen" hätte. Zudem sinnlos, denn ähnliches begegnet ihnen ja trotzdem - im TV, im Internet, im täglichen Leben. Da aber höchstwahrscheinlich unreflektiert.
Gut, aber wo die Kinder die Probleme eben offensichtlich doch haben, sieht das dann schon wieder anders aus. Würdest du ernsthaft "Neger" vorlesen, als ob nichts wäre, wenn da farbige Kinder dabeisitzen, die gerade einen Tag zuvor abwertend als eben solche beschimpft wurden, um bloß kein Literaturfledderer zu sein? ...bzw. es versuchen, in einer Reflexion mit den Kids das bei ihnen längst schon negativ besetzte Wort nach dem Vorlesen zu rehabilitieren versuchen...? Dass solche Bezeichnungen durchaus mal in einem anderen Zeitkontext standen, kann man ihnen sicher erklären, jedoch den Gebrauch dann durch klassische Literatur legitimieren zu wollen, trägt nicht gerade zur Schlichtung der durch sie hervorgerufenen Konflikte bei.
Wie sich wer nennt, ist manchmal übrigens gar nicht so leicht zu durchschauen. Bei Sinti und Roma Kindern habe ich es z.B. häufig erlebt, daß sie sich selbst stolz als Zigeuner bezeichnet haben. Und als damals Disneys "Glöckner von Notre Dame" rauskam, war die Zigeunerin Esmeralda auch für diese Kinder eine durchweg positive Figur, keines nahm Anstoß an dem Begriff Zigeuner (und die nahmen durchaus lautstark Anstoß, wenn ihnen was nicht in den Kram paßte).
Das ist wirklich kompliziert, und auch ich verbinde "Zigeuner" eher mit Lagerfeuerromantik und Django Reinhardt's Jazzgitarre. Jedoch sind es bei mir vor Ort bulgarische Kinder, die mit einem ganz eigenen Akzent türkisch sprechen, und zu ihrem Leidwesen von den Kindern mit direkt türkischem Hintergrund als solche betitelt werden.
Grundsätzlich benenne ich jede Volksgruppe so, wie diese es sich wünscht. Wenn diese aber das Gefühl haben, durch Literaturklassiker verunglimpft zu werden, so daß eine vermeintlich politisch korrekte Korrektur erfolgen muß, dann läuft in meinen Augen etwas falsch. Wo kommen wir denn hin, wenn wir verlernen, Texte in ihrem Entstehungskontext zu sehen (und in diesem auch gern kritisieren zu können) und stattdessen die Zensurkeule schwingen? Ich bin allerdings der Meinung, daß weniger die "betroffenen" Gruppen damit ein Problem haben, als Menschen wie diese Professorin, die sich imho allzusehr in die Materie hineinsteigern. Wertvoller als Retusche ist für mich die kritische Auseinandersetzung mit derartigen Entwicklungen.
Ja, die Äusserungen der Professorin finde ich ja auch völlig überzogen dramatisiert. Es ist auch ein lobenswertes Vorhaben, den Entstehungskontext zu vermitteln, jedoch muss man (hier zumindest) z.B. berücksichtigen, dass unsere Prägungen kaum auf die Situation zu übertragen sind. Die abwertende Einstufung seitens anderer Kinder,hat bei einigen nicht nur negative, sondern in einigen Fällen höchst traumatische Narben hinterlassen. Darüber hinaus gibt es in vielen Elternhäusern immense Sprachbarrieren, sowie völlig unterschiedliche Mentalitäten, die evtl. ganz anders auf den Versuch, etwas auf intellektueller Ebene darzulegen reagieren können, als man es (nach unserer Gewohnheit) erwartet. Da kommen wir ja schon auf die Integrationsfrage... ...alles wichtig zu bearbeiten, jedoch sehr brisant - also der Schuss kann gewaltig nach hinten losgehen, und dann evtl. auf dem Rücken von Kindern landen. Wenn Du Dich mal mit etwas Sensibilität in das Denken und Fühlen eines Menschen hineinversetzt, der mitunter schon seit seiner Kindheit ausgegrenzt wurde, z.B. mit "Zigeuner" o.Ä., dann kann man es doch gar nicht erwarten dass er es versteht, wenn z.B. der Horterzieher seiner Kinder dieses in irgendwelchen alten Geschichten ihnen als völlig normal vorliest - es würde sofort eine Negation hervorrufen - und ich kann nun wirklich nicht die Eltern therapieren. Absolut falsch fände ich es aber auch, die brisanten Wörter kommentarlos zu streichen, als hätten sie immer schon so dagestanden. Urs, liest Du denn die Pipi in ihrer ganz ursprünglichen Form vor? Also, sagst Du echt Negerkönig? ...bei allem Respekt, das assoziert meiner Meinung nach echt den puren machtbesessenen Kolonisationsweißen, der sich für einen Herrenmenschen hält. Wenn auch der Wortlaut der Professorin völlig überzogen ist, ich finde, DAS GEHT GAR NICHT!