Spielleute und Gewandungsfreiheit

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Viator

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Hallo, Ich stelle selber im Mittelalter einen Spielmann dar. Da ich weiss, das diese Leute rechtlos waren und meistens ein ziemlich bunt zusammengewürfeltes Gewand hatten, wollte ich Fragen wo nach Eurer Meinung die Grenzen liegen? Was ist für Euch an der Gewandung eines Spielmannes (noch) erträglich? Was ist bei Euch neben Piratenschnürhemden und Pannensamt (Pannésamt) ein absolutes "Nein und Danke"? Liebe Grüsse, der Viator.
 
Hallo zusammen, Wieso waren Spieleute generell Rechtlos? ?( Frage 2 Springerstiefel mit Flokatiumwickelung ist ein weiters No Go :D Gruß Hakon
 
Hallo Lukas, ich liege im Zeitraum 1350 - 1420; wobei ich mich bisher auf kein genaues Jahr festgelegt habe. Hintergrund dieser Zeitspanne ist die Musikalische Wende zwischen den späten Klängen des Minnesangs und den ersten Liedern der sog. "Bauernminne" (Bänkel - und Meistersang). Diese Aussage stellt einen groben Überriss einer Epoche dar und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. :) **** Hakon fragte, warum Spielleute im Mittelalter 'rechtlos' waren. Ein lateinischer Ausspruch besagt: "Inter Deum et Diabolum semper Musica est". (freie Übersetzung für alle nicht - Inhaber eines Latinums: "Die Musik liegt zwischen den himmlischen Chören und den Pforten der Hölle"). Dieser Satz bringt eine grosse Ambivalenz auf den Punkt => Die Musik war einerseits in den Kirchen erwünscht, weil es eine Form des Gotteslobes darstellt (Ich nehme als Zeitgenössisches Beispiel die Cantiagas di Santa Maria aus Spanien). Eine der ältesten und schönsten Formen stellt das singen von Psalmen dar, welches (nach meinem bescheidenen Laienwissen) das gesamte Mittelalter in den Klöstern praktiziert wurde und neben dem gregorianischen Gesang seinen festen Platz hatte. Was Gregorianik ist, kann ich bei Bedarf in der Rubrik "Musik" genauer definieren. :) Die christliche Kirche verteufelte die weltlichen und politischen Lieder und Dichtungen, weil sie unter anderem... a) nicht in ihr Weltbild passten; b) anstössige weltliche Inhalte hatten. c) unabhängig von der Zeit nicht politisch korrekt waren. (Als Beispiel nenne ich hier das Palästinalied von Walther von der Vogelweide; welches eines der populästen und ältesten Protestsongs darstellt, welche überliefert wurden.) Darüber hinaus wurden Spielleute in vielen Stadterhebungsurkunden für minderwertig und rechtlos; sprich Vogelfrei erklärt. Gründe: - Sie zogen durch die Lande und wussten manches Mal zu viel. (Die lebende BILD Zeitung des Mittelalters :whistling: ) - Sie liessen keine Gelegenheit aus, ihre Armut zu erleichtern und besassen ihre eigene Sprache und ihre eigene Schrift, die kein normaler Bürger verstand. Ich spreche vom sog. Rot-Welsch und den Zinken. - etc. Auf Festen waren sie geduldet bis geachtet, weil sie zum Tanz aufspielten und mit Ihrer Musik für eine gewisse Fröhlichkeit sorgten... Um den oben genannten Missstand zu lindern und sich eine eignee Lobby zu verschaffen, wurden vielerorts sog. "Spielleut' Burschenschaften' oder 'Bruderschaften der Spîlleut' gegründet. Diese gaben sich oftmals eine eigene Ordnung, wählten eine eigene Schutzheilige. (Als bekannteste nehme ich die Hl. Magdalena als Patronin der Huren und Spielleute und den Hl. Christopherus. Es gab noch einen speziellen Namen, der mir gerade entfallen ist.) Darüber hinaus stellte die Bruderschaft mit ihrem Oberhaupt, dem sog. Pfifferkunig eine eigene Gerichtsbarkeit. In manchen Orten bauten sie auch Spitäler und andere Stiftungen auf. Ich empfehle dir als weiterführende Quelle das Königreich der Spielleute von Hartwig Büsemeier und danach eine Recherche auf eigene Faust. :) **** Zurück zur Gewandung.... In wie weit darf ein Spielmann seine Gewandung aus den verschiedensten Zeiten und Ständen vermischen? Wie GNI (nach aktuellen Grabungsfunden geschichtlich nah interpretiert) sollte seine Gewandung sein? Wie viel Gewandungsfreiheit gebt ihr einem Spielmann generell, der sich eine bestimmte Epoche herraus gesucht hat? Muss seine Gewandung auf Jahr, Monat, Tag und Stunde stimmig sein? :D liebe Grüsse, Der Viator
 
Oo das mit dem vogelfrei war mir neu... naja ich kenn mich damit nicht aus aber ich würde meine Kleidung nach der zeitgemäß auf Bildern abgebildeten Kleidung machen, und da gibt es bestimmt genug aber wie gesagt ich hab da nüschts Woher nimtm man eigendlich das Liedgut? Außer gregorianischen Chorälen gibt es doch kaum Aufzeichnungen? edit: ich meint damit natürlich gibts was aber nicht in solch riesen Mengen wie man unterschiedliche Lieder hört :p
 
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Hallo Dani, Können wir diese Frage bitte im Bereich "Musik" vertiefen? Ich werde dir dort Rede und Antwort stehen. :) liebe Grüsse, der Viator
 
Original von Viator Ein lateinischer Ausspruch besagt: "Inter Deum et Diabolum semper Musica est". (freie Übersetzung für alle nicht - Inhaber eines Latinums: "Die Musik liegt zwischen den himmlischen Chören und den Pforten der Hölle").
Inter = zwischen, Deum = der Gott, Diabolum = der Teufel, semper = immer. Zwischen Gott und (dem) Teufel ist immer Musik. Zu deiner eigendlichen Frage: Die Klamotten eines normalen (mittleren bis unteren) Standes der jeweiligen Epoche wären eines Spielmannes angemessen. Absolutes no-go (sofern man seine Darbietung dort macht wo Otto-Normalbürger eine Art von Mittelalter erwartet): Lederkluft, zuviel Haut zeigen, schwarz und diese Gothic-Röcke!!! Aber auf einem entsprechenden Festival habe ich da kein Problem damit.
 
Original von Viator Was ist bei Euch neben Piratenschnürhemden und Pannensamt (Pannésamt) ein absolutes "Nein und Danke"? Liebe Grüsse, der Viator.
Alles was nicht nachweisbar ist oder nicht belegt. et=und musica=musik est=ist wurde noch vergessen :D
 
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Original von Oliver et=und musica=musik est=ist wurde noch vergessen :D
Ich gehe davon aus dass das jedem klar sein sollte. :D BTW: Ich freu mich wie Bolle auf die Events der Bachritterburg dieses Jahr. Alle zwei Wochen. Meine Frau wird mich schlagen :D :D
 
Hallo, Hier ein Link für ein bisschen Literatur zu der Thematik, die ich gerade wälze: Musikanten, Gaukler und Vaganten Meinungen dazu können gerne in das entsprechende Thema gepostet werden. **** Mal eine andere Frage, die auch etwas mit der Ausstattung eines Spielmannes zu tun hat: Wie GNI müssen Eurer Meinung nach die Musikinstrumente eines Spielmannes sein? Wenn ich daran denke, das eine mittelalterliche Sopranblockflöte aus Pflaumenholz mal eben 285 englische Pfund kosten soll, wird mir ohne eine deutlichste Einkommenserhöhung schlecht. ;( (Quelle: http://www.hanchet-woodwind.co.uk -> Preisliste) Moeck und Mollenhauer baut Flötenserien, die sich erst ab der frühen Renaissance belegen lassen. Als Beispiel seien hier die Blockflöten nach Garnassi und die Kynsecker - Serie genannt... Liebe Grüsse, der Viator, welcher gerade bei sich mit einigen Vorurteilen aufräumt. :)
 
Original von Viator Wenn ich daran denke, das eine mittelalterliche Sopranblockflöte aus Pflaumenholz mal eben 285 englische Pfund kosten soll, wird mir ohne eine deutlichste Einkommenserhöhung schlecht. ;(
Ui, ich denke ich lasse mal den Dudelsackbau sein, und fange an Blockflöten und Pommern/Schalmeyen zu bauen :schock1 Jedenfalls danke mal für den Link. Bei den Instrumenten halte ich es wie mit der restlichen Ausstattung: Der "look and feel" sollte stimmig sein. Die Herstellungsmethode, und im Falle der Instrumente die Stimmung darf durchaus modern sein. Da es, bis auf sehr wenige Ausnahmen, keine erhaltenen Instrus gibt, ist man in diesem Bereich mehr als sonstwo auf Improvisation angewiesen. Dies ist warscheinlich der Grund warum das Thema Musik in den meissten Reenactorgruppen "totgeschwiegen" wird. Nach dem Motto: Ist nicht sicher belegbar - machen wir nicht. Erst ab der Rennaisance (Praetorius) wird die Beweislage besser.
 
Original von hellobello Erst ab der Rennaisance (Praetorius) wird die Beweislage besser.
Da muss ich dir leider widersprechen.:) Es sind etliche Bildbelege ab der Antike überliefert. *** Off Topic. Thema Dudelsäcke: Die meisten "mittelalterlichen" Säcke/ mittelalterliche Sackpfeifen, die du auf Märkten findest, sind von der Bauweise scottish Bagpipes ohne sog. Drones, die eine andere Holzkarosse und damit eine antikere Optik haben. (Auskunft von Jürgen Ross; Dudelsackbauer und Inhaber des Verlages der Spielleute in Reichelsheim/Odenwald) Es gibt aber auch belegte Ausnahmen: - Den böhmisch - bayrischen Bock - Die flämische Schäferpfeife (ab etwa 1400 durch verschiedene bekannte und unbekannte Meister) - Die skandinavische Säckpipa. Es wäre einmal interessant, ob es aus dem Orient entsprechende Abbildungen von Sackpfeifen gibt. Machen wir hier in einem eigenen Thema weiter? :) Liebe Grüsse, der Viator
 
Du hast natürlich Recht. Bilder von Instrus gibts schon seit jeh her. Aber diese sind meist sehr vom Künstler überzeichnet, weshalb ein Rückschluss auf die Stimmung der Instrumente äusserst schwer ist. Mit meiner Aussage "erst ab Praetorius wird die Beweislage besser" meinte ich, dass erst er angefangen hat die Instrus möglichst exakt zu zeichnen. Oft auch mit Angabe der Stimmung. Dadurch wird es für uns erst ab Praetorius möglich die damaligen Instrus genauer zu rekonstruieren. Aber mir ist ein Rätsel wie du darauf kommst dass MA-Säcke keine Drones hätten? Die haben sogar teilweise recht gewaltige Exemplare von Drones. Zur Erklärung: Der Drone ist nur eine andere Bezeichnung für ein und das selbe Bauteil (Die Bass / Tenor Tröte(n) über der Schulter). Die Dinger nennen sich Drones, Bordune, Brummer etc. etc. je nachdem wo der Dudel gebaut wurde, und unabhängig von der Bauform (mit Trichter (Markthupen), oder ohne Trichter (Schotten (wobei Schottensäcke auch kleine trichter haben, die aber gedackt sind. Das wäre aber zuviel der Details :) ) ) ) Orientalische "Urdudels" wirst du eher nicht finden. Denn nur das Prinzip der Schalmei (Holztröte mit Rohrblatt) kam aus dem Orient. Der Sack wurde erst später, als das Instru über ganz Europa verbreitet war, angebaut. Zunächst benutzte man aber die eigenen Backen als Luftspeicher um einen ausdauernden ton zu erzeugen (Zirkularatmung). Dann kamen Versuche mit Tierblasen (Platerspiel) bis dann schliesslich ein Sack aus Leder verbaut wurde. Zunächst noch ohne Drones, Brummer, Bordune (etc.) Später mit einem Bordun, dann, ab Kollege Praetorius, kam langsam noch ein oder mehrere Bordune dazu.
 
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Drones: Mir war bisher der Begriff nur im Zusammenhang mit schottischen Pipes bekannt. AFAIK werden die Pfeifen nach dem grossen Bordun werden als Drones bezeichnet. Liebe Grüsse, der Viator
 
Sorry mal eine Frage, weil sich mir immer bei einer Schottendarstellung die Haare stellen und ich mich da bei Instrumenten überhaupt nicht auskenne. Haben diese Pipes ihren Ursprung im Mittelalter und regen wir da wie beim Kilt vom 17/18 Jdt. ?
 
Dudelsäcke gab es in Schottland auch schon im MA. Erste belege soll es schon ab dem 12. Jhd. dort geben. Allerdings vom Aussehen noch weit weg von der heutigen form, und als Tanzinstrument. Damals noch mit einem Drone, ab dem 15. Jhd dann mit zwei. Der Dritte kam im frühen 17. dazu. Als die Schotten dann mitte des 18. Jhd besiegt, und ins englische Königreich eingegliedert wurden war erstmal Ende Gelände mit Dudels und Kilts. Die wurden damals verboten. Einige Lieder wurden mündlich überliefert, manche Schotten spielten heimlich Dudels, und bewahrten so die Tradition. Erst als diese Verbote gelockert wurden entwickelte sich der heutige Style als Kriegsinstrument, innerhalb der Pipeband, begleitet mit Trommeln. In ihrer heutigen, standartisierten Form (Great Highland Bagpipe, GHB), mit einem Chanter, einem Bass- und zwei Tenordrones gibt es diese Instrumente noch keine 100 Jahre. Deine neue Sig finde ich gut ;)
 
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Die Instrumente eines Spielmanns gehören zu der Darstellung in jedem Fall dazu. Ich habe durch Beates Einwurf einen Query zum Instrumentenbau erstellt, damit beide Theme syncron diskutiert werden können. *** Aber kommen wir wieder zum Kernthema: In wie weit darf ein Spielmann bei einer geschichtsnah interpretierten Darstellung die verschiedenen Gewandungs - merkmale der Stände mischen? Was sollte ein guter Spielmann in seiner Gewandung auf jeden Fall vermeiden? liebe Grüsse, der Viator
 
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Beitrag kann gelöscht werden. :)
 
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