Das ist eines der großen Mysterien des Reenactments. Analog zu den Beinen hat der geneigte Dengler ja auch schon die schmerzhafte Erfahrung gemacht, dass man ständig was auf die Finger bekommt, selbst wenn der Gegner/Partner das überhaupt nicht will. Trotzdem sind Hand- und Armschutz genausowenig (fund)belegt wie der Beinschutz. Geht nicht nur Dir als Wiki so, auch mir als Karolinger und anderen frühmittelalterlichen Regionen und Zeiten. Die Logik dahinter erschließt sich auch mir nicht. Solcher Schutz ist sinnvoll und wer Helme, Schildbuckel und Rüstungen herstellen kann, für den ist, etwa der beschriebene, Bein- und Armschutz ein Klacks. Bei Handschutz aus Metall sieht es etwas kniffliger, weil filigraner und anspruchsvoller aus, aber gegen leichte Schnitte und Risse reichen schon Handschuhe aus Leder. Besser als nix. Dass es bei den Wikingern grundsätzlich Handschuhe gab, halte ich in Anbetracht der kalten nordischen Winter für selbstverständlich. Diese aber dürften, wie so viele andere organsiche Materialen auch, selbst falls damals vorhanden schlicht nicht erhalten sein. Bleiben Arm- und Beinschutz. Für die Karolinger - also Eure südlichen Nachbarn - zumindest kann ich deren Existenz zumindest bildlich und schriftlich belegen. Bildlich, wenn auch zahlenmäßig eher karg, etwa in der Vivan-Bibel, wenngleich die dortigen Wachen sicherlich stark historisierend römisch zu sehen sind. Und im Stuttgarter Psalter ist der ein oder andere Krieger zu sehen, der eine Art Schuppenhose trägt. Wie weit diese allerdings nach unten, zum Fuß hin, reicht, ist nicht genau zu erkennen. Schriftlich fällt mir da spontan die Gesta Karoli Magni ein, von Notker dem Stammler. Jajaja, der Mann war kein Zeitgenosse Karls mehr, die Gesta wurde von Karls Enkel in Auftrag gegeben und ihr Zweck war erkennbar die Verherrlichung des großen Ahnen, so dass Notker nebst seiner Gesta im Detail etwas umstritten ist, aber trotzdem kann er nichts beschreiben, was er nicht kennt. Bei der Belagerung von Pavia wird Kalle beschrieben als "mit eisernen Spangen an Armen und Beinen", worunter du Dir jetzt im Detial vorstellen darfst, was Du magst. "Das ganze Heer", so Notker, "eiferte in der Ausrüstung seinem großen Führer nach". Warum man, bei solcherart weiten Verbreitung, dann nichts von den Dingern gefunden hat, ist, wie Du Dich ja auch schon gefragt hast, seltsam. Allerdings hat man aus der Karolingerzeit auch keine Rüstungen, Helme und (kaum) Schilde gefunden. Von daher ist das Fundloch also nicht exklusiv für Arm- und Beinschutz. Fakt ist, es gab Rüstungen, Helme und Schilde. Also liegt die Vermutung nahe dass es auch Arm und Beinschutz gegeben haben muss. In der Bronzezeit gab es das, in der Antike gab es das, in der Spätantike gab es das, in der Völkerwanderungszeit gab es das (zumindest bei den Römern), in Byzanz gab es das, im Hochmittelalter gab es das, im Spätmittelalter gab es das. Nur im Frühmittelalter soll es das plötzlich nicht gegeben haben? Sehr unwahrscheinlich. Der Grund, weshalb man keinen Arm- und Beinschutz gefunden hat, dürfte der selbe sein, weshalb man auch andere Rüstungsgüter kaum gefunden hat. Wie üppig ist denn, mal ehrlich, die Fundlage bei wikingerzeitlichen Helmen oder Rüstungen? Die meisten Rekonstruktionen sind doch selber Anleihen aus Byzanz, der Rus oder aus anderen periphären Regionen. Wie viele endemisch skandinavische Funde sind denn nun bekannt? Analog zu den Franken: Mit Axt, Sax, Schwert, Speer und Schild wurden die Jungens gerne beerdigt (zumindest die Merowinger noch), davon haben wir Funde in großer Zahl. Aber Rüstungen? Oder Helme? Fehlanzeige. Das war wohl schlicht die Grabbeigabensitte. Waffen ja, warum auch immer, Rüstungen nicht, warum auch immer. Kann man jetzt spekulieren. Wenn man dem Gliederschutz bezüglich der Beleglage so skeptisch gegenüber steht, dann müsste man das beim genausowenig gefundenen Rest ebenso tun. Da sehe ich in der Szene aber eine gewisse Ungleichbehandlung. Zu Deiner Frage nach der Relevanz bei diversen "Fechtweisen": Ob das, was wir heute als "frühmittelalterlichen Kampf" praktizieren, mit den realen Verhältnissen übereinstimmt, wage ich zumindest im Detail zu bezweifeln. Ob Arm- und Beinschutz für eine klassische wikingsche Raiding-Party notwendig war, sei dahingestellt. In Schlachten zwischen Heeren, wie es sie auch bei den Skandinaviern gab (nein, die haben nicht nur 365/24 fremde Küsten geplündert), sah es sicherlich anders aus. Aber der heutzutage so beliebte, klassische MA-Todeskreis-Zweikampf zweier Eisenmänner dürfte doch eher selten vorgekommen sein. Auch zwei Schlachtreihen bzw Schildwälle, die sich gegenüberstehen und irgendwie aufeinander eindengeln, erscheinen mir eher den heutigen Spielregeln geschuldet. Das macht in der Realität eines echten Kampfes keinen Sinn. Führe ich eine solche Formation richtig, dann hat der Gegner keine große Gelegenheit, zwischen den Beinen seiner Vordermänner durchzustochern. Ein großer Unterschied von heute zu damals ist der Umstand, dass wir heute ja nicht wirklich verletzen wollen. Von daher sind unsere Hiebe um Längen schwächer und sanfter als sie damals gewesen wären. Das verleitet (heute) sehr zu elegantem, flinken Fechten, Stochern oder sonstigen Techniken, die zwar in einem "Treffer" in Form einer Berührung münden, aber selbst bei moderatem Schutz keinen wirklichen relevanten Schaden verursachen. Und nein, es ist im Kampfgeschehen selbst für mich vollkommen uninteressant, ob der Getroffene vielleicht nach zwei Wochen am Wundbrand stirbt. Ich will, dass er jetzt aufhört, gegen mich zu kämpfen. Ich will keinen Schnitt an seinem Bein, das Teil soll ab. Es dürfte also viel mehr ausgeholt worden sein als heute, was Schwerthand und -arm seltener in die Gefahrenzone bringt als heute, wo viele Kämpfer ihre Waffenhand eher vorne platzieren, um die Gelegenheit zu einem schnellen Wischer ausnutzen zu können. Auch dürften, wenn wir schon von Zweikämpfen reden, die Distanzen anders gewesen sein als heute. Ran, Angriff, dann sofort wieder weg. Liegt er da, hat es nicht geschadet, dass ich wieder weg bin, steht er noch: gut, dass ich wieder weg bin! Dieses Schild an Schild Geprügel erinnert eher an studentische Mensur. Da ist es über kurz oder lang eher Zufall, wer einen abbekommt, das will ich aber nicht. Ich will Kontrolle über das Geschehen. Fazit: Bei aller gesunder Skepsis gegenüber den "Notwendigkeiten", die aus heutigen Kampfspielchen abgeleitet werden, war Arm- und Beinschutz zumindest in richtigen Gefechten durch alle Zeiten hindurch sinnvoll und auch vorhanden. Die Fundlücke im FMA ist eigenartig, aber eher unrealistisch. Historisches Nichtvorhandensein ist dafür nur eine mögliche Erklärung, die bei anderen Rüstungsgütern (Körperpanzer/Helm) seltsamerweise weit weniger in Betracht gezogen wird. Ich bin überzeugt, es gab dieses Zeug. Dass es nicht haptisch überliefert wurde (=Fund) muss andere Gründe haben, welche auch immer. Ein Wikinger etwa, der lange Jahre in byzantinischen Diensten stand (Harald Hardrada) und dort mit nachweislich üblichen Gliederschutz ausgestattet war, hat diesen mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit mit zurück nach Skandinavien gebracht. Und dort war bzw blieb er sicherlich nicht der einzige. Eine Antwort auf Deine konkrete Frage, warum man nichts davon gefunden hat, muss ich aber leider auch schuldig bleiben.