Auch ich kann die Lektüre der Broschüre wärmstens empfehlen. Eine kleine Kritik: Die ganze Broschüre ist recht plakativ gehalten. Damit sind nicht die vielen Bilder gemeint, die als Beleg bzw Veranschaulichung eine wichtige Berechtigung haben, sondern in erster Linie die seitenfüllenden, aus dem Text entnommenen Schlagworte. Sie füllen immerhin 8 der 50 Seiten der Broschüre. Der Sinn dieser durchaus mit Wahlkampfbroschüren vergleichbaren Schlagzeilendichte erschließt sich mir nicht, der seriöse Eindruck der Broschüre leidet darunter jedoch bedauerlicheweise sehr. Der Titel "Germanen im Wolfspelz" und die Überschrift des ersten Kapitels "Ein ganz normaler Wikingertag" erwecken, wie auch die Broschüre insgesamt, den Eindruck, die beschriebenen Beobachtungen seien symptomatisch für die gesamte, europäische frühmittelalterliche Living-History-Szene. Allerdings bezieht sich der Autor auf den ersten 10 Seiten seiner Broschüre ausschließlich auf die Veranstaltung in Wolin, auch im weiteren Verlauf werden keine weiteren Veranstaltungen genannt. Eine empirische Studie mit nur einem einzigen Element ist aber noch nicht einmal als unzureichend zu bezeichnen. Daraus Schlüsse auf das Ganze zu ziehen ist nicht nur wissenschaftlich unseriös, es ist überhaupt nicht wissenschaftlich. Das ist der eine große Fehler der Broschüre. Die beschriebene Veranstaltung in Wolin war offenbar in der Tat von, ihre Gesinnung und ihre Symbolik recht offen zur Schau stellenden, politisch rechten Besuchern frequentiert. Soweit ist die Beobachtung korrekt. Schon die erste Schlagwortseite allerdings ["Was ist hier los? Wieso trifft man auf manchen Geschichtsevents auf mehr extrem rechte Propaganda als auf einer Pegida-Demonstration?"] enthält bezüglich einer seriösen Argumentation mehrere Fehler: 1. Es wurden, wie erwähnt, nicht mehrere, sondern nur ein einziger Event untersucht 2. Die zweifellos in auffallend großem Maße vorhandene "Symbolik" wird hier zu "Propaganda" umgedeutet. Beide Begriffe sind aber nicht deckungsgleich, auch wenn Propaganda natürlich Symbole nutzt. Von einem MA univ. sollte soviel Sorgfalt zu erwarten sein. Im weiteren Verlauf erklärt der Autor sehr knapp das Phänomen der LH, auch wenn der Einstieg dazu etwas unglücklich formuliert ist: ["Der Mensch stammt bekanntlich vom Affen ab. Deshalb äfft er nach Leibeskräften und mit einschlägigem evolutionärem Erfolg alles nach, was in seine Reichweite kommt. Auch seine eigene Geschichte. Wenn er Krieg spielt, nennt er das Reenactment, wenn er Frieden spielt, heißt das Living History. Irgendetwas scheint er damit verarbeiten zu wollen – auf eine Art und Weise, die bereits vor seinem Primatendasein von der Evolution angelegt wurde."] Danke für die Blumen. In der Folge kann man zwar erkennen, dass diese zur Schau gestellte Überheblichkeit vielleicht doch nicht ganz so gemeint gewesen sein könnte, denn die LH an sich kommt nicht allzu schlecht weg. Der Autor attestiert ihr, später in der Broschüre, sehr wohl einen gewissen didaktischen Wert in der Geschichtsvermittlung. Trotzdem halte ich persönlich den Einstieg für ausgesprochen missglückt. (Abgesehen davon, dass ich, falls ich Oerlinghausen einmal besuchen sollte, Bananen mitnehmen werde, um die Primaten zu füttern) Die Geschichte der LH, soweit sie vom Autor erläutert wird, beschränkt sich nahezu ausschließlich auf die Verquickung von namhaften Persönlichkeiten der rechten Szene und von ihnen gegründete oder beeinflusste frühmittelalterliche, vornehmlich germanische, LH- bzw Reenactmentgruppen. Berücksichtigt man dabei evolutorische Prozesse und Umbenennungen, kommt er für einen Zeitraum von 30 Jahren auf insgesamt 4 Gruppen, allen voran die sattsam bekannten Ulfhednar. Zwar raunt er, dies wären nur einige Beispiele von vielen, einen Beweis irgendeiner Art, etwa eine Liste im Anhang, bleibt er jedoch schuldig. Eingedenk der von ihm selbst geschätzten, derzeit gut 1 Million LH-Aktiven europaweit dürfte die Zahl der extrem Rechten in der Szene also eher marginal sein. Auf dieses zahlenmäßige Verhältnis geht er jedoch nicht ein, dafür setzt er auf die starke Symbolwirkung von Einzelnamen. [1997 etwa seien auf einem vom Thüringer Heimatschutz organisierten Wikingerfest (einem der Beschreibung nach wohl ziemlich wüsten Besäufnis, das selbst mit GroMi nichts zu tun hatte, schon gar nicht mit LH) Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und und Uwe Bönhardt aufgetaucht.] Von da schlägt er schließlich den Bogen zur Pagan Metal Musik, in der etliche der bereits genannten Namen wieder auftauchen. Den weiteren Teil der Broschüre bildet eine kritische Betrachtung der Vereinnahmung des Germanenkultes durch die (echten) Nationalsozialisten und des in dieser Zeit gegründeten Museums Oerlinghausen. Für diesen Teil gebührt dem Autor Anerkennung, nicht zuletzt, weil er sich hier kritisch mit dem eigenen Metier, der politischen Einflussnahme und der Instrumentalisierung von Geschichtsvermittlung auseinandersetzt. Zum Schluss liefert Der Autor noch eine kleine Übersicht zu einigen gängigen Symbolen an der Schnittstelle zwischen Frühmittelalter und rechter Symbolik nebst ihrer Geschichte, der Beleglage und ihrer Bedeutung - falls eine nennenswerte solche existiert(e). Dabei ist im Übrigen nicht uninteressant, dass einige der hier so geschassten Symbole, die auch hin und wieder auf Schilden zu sehen sind, wie Sonnenrad bzw "schwarze Sonne", Triskel oder Thorshammer zwar auch von den Rechten verwendet werden, aber als Symbol bzw Ornament durchaus frühmittelalterlich belegt sind. Speziell die Verwendung dieser drei kann also - das verkneift er sich zwar als explizite Äußerung, ist aber klar erkennbar - keinem Vertreter der LH vorgeworfen oder benutzt werden, ihn allein dadurch als "Rechten" zu identifizieren. Fazit: Der zweite Teil der Broschüre ist nicht uninteressant. Diesen kann ich ohne Ironie empfehlen. Der erste jedoch scheint mir sehr vom Ergebnis her argumentiert zu sein. Offenbar war der Autor von seinem Wolin-Besuch (nachvollziehbarerweise) derart geschockt, dass er quasi im Affekt diese Broschüre schrieb. Wolin, soweit sei ihm zugestimmt, scheint dabei in der Tat ein dicker Knochen gewesen zu sein. Aber die Schlussfolgerung, die gesamte LH-Szene hätte ein signifikantes Problem, wird an keiner Stelle schlüssig belegt. Es ist ein klassischer Argumentationsfehler: Die Gleichsetzung von Beispiel und Beweis. Ein Fehler, der einem MA univ. eigentlich nicht passieren dürfte. Im besten Falle war der Autor sorglos und oberflächlich. Im schlimmsten Falle handelte er bewusst und mit Absicht. Wenn ein Beispiel, wie Wolin, als Beweis gölte, dann muss auch mein Gegenbeweis erlaubt sein: Ich jedenfalls habe in den letzten 20 Jahren so etwas wie vom Autor beschrieben auf keiner einzigen Veranstaltung erlebt. Ich sehe kein flächendeckendes, signifikantes Problem der LH-Szene.