Ich sehe da ein psychologisches Problem: 1. Es gibt Schlechtes in der Welt, da läuft nicht alles gut. So weit sind sich alle einig. 2. Daran muss irgendetwas oder irgendjemand schuld sein. So weit sind sich auch noch viele einig. 3. Man selbst ist aber grundsätzlich edel, rein und gut, eine gottgleiche Lichtgestalt quasi. Jedenfalls ist man an keinem Übel auf der Welt schuld, man ist sich zumindest keiner Schild bewusst. Ein paar harmlose Macken vielleicht. Das ist die "Negation", die ist instinktiv, sie dient der Seelenhygiene. Die zu überwinden schaffen schon nicht mehr so viele. 4. Ergo: Es müssen andere schuld sein. Soweit sind sich jetzt wieder fast alle einig. 5. Jetzt kommt das Problem: Da man aber sehr wohl selber an dem ein oder anderen zumindest mitschuld ist, das aber unbewusst nicht wahrhaben will, werden die eigenen Unarten auf andere projiziert ("Projektion"). Vereinfacht ausgedrückt: Man sucht sich jemandem, dem man die eigenen Verfehlungen andichten kann. Da ist noch nicht mal böser Wille dabei, das geschieht eher unbewusst. 6. Auf diesen Sündenböcken, die für die eigenen Fehler herhalten müssen, hackt man nun kollektiv herum. Man dämonisiert sie, man kriminalisiert sie, man stigmatisiert sie. Je energischer, je fanatischer, um so eher lenkt man sich und andere von den eigenen schwarzen Flecken auf der weißen Weste ab. Man hat dabei ein echt reines Gewissen, denn man ist ja unbewusst überzeugt, die Richtigen zu treffen. 7. Gesamtgesellschaftlich schießt sich die Bevölkerungsmehrheit bevorzugt auf mehr oder weniger entbehrliche Minderheiten ein. Das waren über die Jahrhunderte mal Christen, mal Juden, mal Rothaarige, mal Schwule. Das sind aber nur die, die sich zumindest in unserer Gesellschaft erfolgreich aus dieser Opferrolle befreien konnten und jetzt ihrerseits munter beim Bashing mitmachen, nun halt auf andere Minderheiten. Also leider nix gelernt aus dem eigenen Schicksal. 8.
Mit Angst kann man hervorragend Politik machen und gerade in Deutschland hat es halt irgendwie Tradition, dass man Probleme immer von anderen lösen lässt, in letzter Konsequenz eben vom Staat.
Er löst sie ja eben nicht. Das wäre einerseits aufwendig, bräuchte desweiteren Sachverstand und würde zum Dritten nicht wirklich gedankt werden. Man stelle sich vor: Eine problemfreie Gesellschaft, gegen wen kann man sich da noch als Beschützer und Verfechter von Law and Order in Stellung bringen. Die tatsächlichen Fallzahlen von Kapitalverbrechen sind seit Jahrzehnten weitgehend konstant. Die Fälle von Kindesmissbrauch etwa seit gut 30 Jahren, trotz aller Verschärfungen in diesem Bereich. Die Politik, deren "demokratische Werte" einzig auf der Zahl der zu erringenden Wählerstimmen basieren, widerspricht diesem Bashing leider nicht, sie nutzt es gezielt, um bei den mehrheitlichen Bashern auf Stimmenfang zu gehen. Regel Nummer 1 einer erfolgreichen demokratischen Partei: Wenn eine Aktion mehr Wählerstimmen bringt als sie verliert, tu es! Schlecht für die Minderheiten. Das ist auch der Grund, weshalb so bedeutende Risiken für die Volksgesundheit wie Alkohol, Kippen und Autos ungestraft alljährlich tausende von Menschen krank machen oder umbringen dürfen, während ein einziges Armbrustopfer die volle Härte des Gesetzes auf den Plan ruft. Es gibt halt nun mal ungleich mehr Biertrinker, Raucher und Autofahrer als Armbrustbesitzer. Auch wenn, statistisch gesehen, der Autofahrer die größere Gefahr darstellen mag. Diese Schwäche der Politik, dieser Unwillen, objektiv aufklärend tätig zu werden, ist niederträchtig. Im Prinzip ist es genau dasselbe erfolgreiche Prinzip wie weiland bei Adolf, nur darf man das nicht sagen. Nur die Zielgruppen haben sich geändert. Schwule, Behinderte und Juden darf man nicht mehr. 9. Die zweite gesellschaftliche Institution, die gerne als "vierte Gewalt" titulierte Presse, die aufklärend tätig werden müsste (das ist ihre verfassungsgemäße Aufgabe, verdammt noch mal!), hat dasselbe Ziel wie die Politik, nur nicht in Form von Wählerstimmen, sondern von Lesern, Abonnenten, Zuschauern. Die hat leider auch nicht die Eier in der Hose, der Mehrheit zu widersprechen, um Minderheiten in Schutz zu nehmen. 10. Das Ganze verstärkt sich von selbst. Denn je mehr Leute in dasselbe Horn stoßen und wenn Presse und Politik auch noch mitmachen, dann muss ja schließlich was dran sein. Das Ganze sieht in der Praxis so aus: Ein Politiker, von dem bekannt ist, dass er sich gerne FKK-Bilder von nackigen Jungs ansieht, wird über alle Grenzen von Politik und Gesellschaft zerfleischt. Man fühlt sich total gut, weil man "das Schwein" fertiggemacht hat und so gezeigt hat, wie wichtig einem der Schutz von Kindern ist. Und am selben Tag kauft man sich Klamotten, bei deren Preis und Herkunft jedem nicht mit völliger Blödheit geschlagenen Menschen klar sein muss, dass die unter unwürdigen Bedingungen von sklavengleich ausgebeuteten Kindern irgendwo in Südostasien genäht worden sein müssen. Oder man demonstriert umweltbewusst gegen Fahrer von dicken Autos und fliegt dann, völkerverbindend und um fremde Kulturen kennenzulernen, für ein paar Tonnen CO2 nach Indien, um sich dort von einem Guru Öl auf die hohle Birne träufeln zu lassen. Und fühlt sich total gut dabei, weil man Kosmopolit ist und so die Menschen auf der Welt zusammenbringt. Oder man klagt bekennende Fleischesser an, sie würden die Umwelt zerstören und frisst dabei guten Gewissens einen Sojaburger, für dessen Anbau ein paar Hektar Regenwald abgeholzt wurden. Und wenn nun jemand kommt, der auf die Misere hinweist, wird dieser wahlweise als Verschwörungstheoretiker, "selber wohl so einer" oder schlicht als Idiot abgekanzelt. Und genau das ist mir zuwider. Gerade die Diffamierung als "selber wohl so einer" schreckt viele Leute ab, den Mund aufzumachen, obwohl sie insgeheim merken, dass da was nicht stimmt. Ganz speziell in der Politik, da ist man ganz schnell abgeschossen. Als "widerwärtigen Pädophilen" hat Alexander Dobrindt (das ist der, der später als Bundesverkehrsminister seine politische Unfähigkeit mit dem PKW-Maut-Debakel so grandios bewiesen hat) den Grünen Cohn-Bendit mal bezeichnet. War politisch opportun. Lenkte von der eigenen Unfähigkeit ab. Und die Presse hat das nicht durchschaut und nicht die durchaus berechtigte Frage gestellt, ob er nicht besser vernünftige Politk machen könnte anstatt einen unbequemen politischen Gegner zu beschimpfen. Das Problem ist, dass die Leute gar nicht aufgeklärt werden
wollen. Denn dann gäbe es ja ihre schöne, seelenschmeichelnde Wohlfühlecke nicht mehr. Dann wären sie ja mitschuld an so vielem und das wollen sie nicht sein. Was unbequem ist, will verdrängt werden. Kritisch, ganz besonders selbstkritisch, nachdenken kostet Kraft, Energie und Überwindung. Die wollen oder können viele Menschen nicht aufbringen.