Ich glaube, wir müssen uns erstmal genau einig werden, worüber wir hier überhaupt sprechen. Darüber sind sich imho die einzelnen Schreiber garnicht einig. Die Emotionalen Spannungen, die in diesem Thread gerade entstehen (auch wenn sich alle Beteiligten erstaunlich gut im Zaum halten) basieren größtenteils darauf, dass der eine etwas anderes gemeint und von einer vollkommen anderen Vorstellung der Einbindung von Religion in die Darstellung ausgegangen ist, als der Antwortende verstanden hat. Dieser Antwortet nun mit Argumenten, die auf einer völlig anderen gedanklichen Grundlage stehen. Auf diese Art kann keine Einigung erzielt werden. Wie soll man eine gemeinsame Antwort finden, wenn jeder über ein anderes Thema redet? Die Große Frage, die sich jeder stellen sollte, bevor er schreibt, ist also: Worum geht es eigentlich? Geht es um eine "echte" Messe, die wirklich für Gott gedacht ist, oder zumindest den Eindruck erwecken soll, oder wird der Eindruck erweckt, hier fände gerade eine "echte", "ernstgemeinte" liturgische Handlung statt? In dem Fall haben wir es in der Tat mit Amtsanmaßung zu tun, wenn der Praktizierende kein Priester ist. Zudem wird mit den religiösen Gefühlen der Teilnehmenden gespielt, sowie Beteiligte und Zuschauer glatt belogen. Ich als praktizierender und verkündender Atheist nehme an sowas auch dann nicht teil, wenn der "Gottesdienst" von einem echten Priester gehalten wird, weil ich als "ungläubiger" bei einer echten Messfeier nunmal nichts zu suchen habe und es heuchlerisch fände, mich da als Christ auszugeben. Ganz anders sieht die Sache aus, wenn Beteiligten und Zuschauern UNMISSVERSTÄNDLICH vorher klargemacht wird, dass es sich um ein Schauspiel handelt. Wenn von vorneherein allen klar ist, dass die Beteiligten unabhängig von ihren tatsächlichen Glaubensvorstellungen hier ihre Rollen in einer Theater-ähnlichen Inszenierung spielen und, salopp formuliert, "nur so tun, als ob", dann bin ich gerne dabei und betrachte das als wertvolle Ergänzung des Hobbys. Hier stellen, ebenso wie bei Polizisten, Militärs oder Priestern, die in Filmen oder Theateraufführungen gespielt werden, weder Amtsanmaßung noch der von Ragnar angesprochene gesetzliche Schutz von Habit oder Uniform eine Rolle. (Sonst müsste jeder Schauspieler, der bei Tatort einen Polizisten spielt, mit einer Anzeige rechnen. Und egal wie locker die Kirche das Thema sieht; die Polizei versteht da überhaupt keinen Spaß!) Da allen klar ist, dass das gezeigte nicht echt ist, kann den Darstellern auch niemand vorwerfen, sie würden die Besucher hinters Licht führen, sich mit fremden Federn schmücken oder sonstiges. Das das ganze mit dem angemessenen Ernst, einem profunden Hintergrundwissen, der nötigen Würde und dem Respekt vor dem Thema und den Menschen, deren Religiöse Riten wir da darstellen, ablaufen sollte, sollte sich eigentlich von selbst verstehen. Das ist aber Imho bei der Religion nicht anders, als bei jedem Anderen Thema auch. Die Frage lautet also: Intime oder Outtime (mal in LARP-Worten ausgedrückt), Schauspiel oder Ernst, Reenactment oder Living History? Oder anders Ausgedrückt: Rollenspiel oder Basisrollenspiel? Ragnar hat angeführt, dass man echte Religiösität nicht darstellen kann. Da stimme ich ihm zu, frage aber im gleichen Atemzug: Wollen wir das Überhaupt? Ich möchte Ragnars Einwand noch etwas ausweiten, indem ich sage: Gefühle und Einstellungen von Mittelalterlichen Menschen sind nicht darstellbar. Beim Rollenspiel, wie es im LARP verwendet wird, spielt man einen Charakter aus, mitsamt seinen Gefühlen, Wünschen und Zielen. In einer fiktiven Umwelt mag das gut funktionieren. Für eine realistische Darstellung des Mittelalters jedoch ist dieser Ansatz jedoch völlig ungeeignet. Die Gegenlösung habe ich das erste Mal beim Ffc beschrieben gesehen und halte sie für die beste Möglichkeit, die Alltagskultur (und da zähle ich Religion einfach mal zu) einer vergangenen Epoche darzustellen, ohne uns lächerlich zu machen, oder die Menschen dieser Zeit zu beleidigen. Beim Basisrollenspiel beschränkt man sich auf das Wesentliche: Es werden eben nicht nur Handwerk und Kleidung vorgeführt, sondern auch übliche Sitten und Gebräuche der Zeit. Heist also, ich wasche meinem Gast unter verwendung einer Aquamanile und einer Schüssel die Hände (oder lasse das von einer Magd erledigen), Ziehe meinen Hut vor einem höherrangigen, erfülle die Pflichten, die nunmal zu meinem Stand gehören und sitze als Knecht nicht an der Tafel, während mein Herr das Geschirr schrubbt. Bei alledem bleibe ich aber ständig ein Mensch des 21. Jhdt., versuche also nicht, Besucher irgendwie "mittelalterlich" anzusprechen, eine "Rolle", im Sinne eines Charakters mit ausgearbeiteter Persönlichkeit, auszuspielen sondern bleibe immer Benjamin aus Ratingen, der gerade einen mittelalterlichen Brauch vorführt. Vor und nach der Vorfühung einer Historischen Sitte, sind wir also wieder voll im 21. Jhdt. und das ist mir wichtig Ich kann also z.B. an einer theatermäßigen vorführung einer Gerichtsverhandlung teilnehmen, in deren Verlauf ich zu einer sofort anzutretenden Romwallfahrt verurteilt werde, und trotzdem nach Ende der Vorführung gemütlich im Lager bleiben, während ich im Rollenspiel entweder sofort aufbrechen, oder die Konsequenzen tragen müsste. Ebenso sollte bei der Darstellung einer Messe kein Rollenpiel betrieben werden, also nicht Bernd F. (Name ist frei erfunden) in der Rolle von Kuno dem Schmied zur Messe gehen, und erst recht nicht Bernd F. die Messe besuchen, um ersthaft an einem Gottesdienst teilzunehmen, bei welchem er ernsthaft zu Gott beten will (das währe dann die Verzerrung von Religion zum Possenspiel, wie Ragner Ormenwolf es nannte). Stattdessen führt Bernd F. sich selbst, den anderen Teilnehmern und den Zuschauern vor, wie sich ein Schmied beim Besuch einer Messe unseres Wissens nach am wahrscheinlichsten verhalten hätte. Wer tatsächlich im wirklichen Leben religiös ist, sollte sich den Gedanken machen, ob es wirklich angemessen ist ein Ernsthaftes Gespräch mit Gott zu führen (und eine Messe ist ja in erster Linie eine Abfolge von Gebeten, also gesprächen mit Gott), und sich zu seiner Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft zu bekennen (Credo, Sakramente...) während man gerade in der Rolle von jemand anderes Steckt. Ich finde, wenn man schon an Gott glaubt, sollte man ihm auch als der gegenübertreten, der man ist und nicht als jemand, der man zu sein glaubt, oder gerne währe. Wenn ihr euren Glauben praktizieren wollt, dann tut das bitte, aber trennt es bitte von eurer Darstellung. Denn euer Glaube unterscheidet sich nuneinmal von dem des Menschen, den ihr darstellt und Gott, so er denn existiert, möchte von euch angebetet werden und nicht von eurer Rolle. Das Ist auch nur Fair den Anderen gegenüber, da ich sonst Gefahr laufe, durch das korrekte, sachliche und nüchterne Nachspielen einer religiösen Praxis, die du zeitgleich mit vollem Ernst betreibst, unabsichtlich deine religiösen Gefühle zu verletzen, ohne dass ich es merke. Im Übrigen: Ich bin zwar persönlich überzeugter Atheist, wurde aber tief Religiös erzogen. Daher kann ich die Ansichten beider Seiten verstehen und nachfühlen, und bin daher vielleicht geeignet, die Missverständnisse zwischen den verschiedenen Seiten aufzuklären. Können wir uns also abschließend für die Zukunft in dieser Diskussion auf folgenden Sachverhalt einigen? Die ernsthafte, respektvolle und möglichst wirklichkeitsgetreue schauspielerische Nachstellung, nicht von Religion selbst, sondern lediglich von religiösen Praktiken und Bräuchen, wie sie zu einer bestimmten Zeit, in einer bestimmten Region, von bestimmten Menschen ausgeübt wurden, das ganze völlig losgelöst von dem persönlichen Glauben der Teilnehmer mit vorhergehender unmissverständlicher Erklärung der Natur der Vorführung für Teilnehmer und Zuschauern um Missverständnissen und Verwechslungen mit einer echten religiösen Veranstaltung vorzubeugen? Ich denke (und hoffe) das ist ein gemeinsamer Ansatz, über den wir sachlich diskutieren können, ohne aneinander vorbei zu reden, oder uns unabsichtlich gegenseitig zu beleidigen. Pax Benno